Interview

Feuerökologe Johann Georg Goldammer: «Ich reise mit der Fackel im Rucksack um die Welt»

Man könne das Feuer nicht bekämpfen, sondern nur bändigen, sagt der Feuerökologe Johann Georg Goldammer angesichts der Brände in Australien. Waldbrände gehörten zur Menschheitsgeschichte. Und täten sogar Gutes.

Melanie Keim
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Eine neue Ära hat begonnen: das Pyrozän. Die Waldbrände in Australien liefern für Wissenschafter den Beweis.

Eine neue Ära hat begonnen: das Pyrozän. Die Waldbrände in Australien liefern für Wissenschafter den Beweis.

Jerry Mcbride / AP

Die Welt schaut schockiert nach Australien. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Bilder der Waldbrände sehen?

Nachdem ich mich mein ganzes berufliches Leben mit Bränden in der Natur befasst habe, verzweifle ich nicht angesichts der Bilder aus Australien. Das Feuer war schon immer da, doch die betroffenen Menschen haben heute ihre Smartphones dabei, da bekommt die Öffentlichkeit ganz andere Eindrücke als noch vor zehn Jahren. Würden dort keine Menschen leben, könnte man zu den Waldbränden sagen: «So what?» Ein ganz grosser Teil der Arten in Australien wie der Eukalyptus sind an das Feuer angepasst. In diesen Landschaften wohnt das Feuer seit Jahrtausenden. Wenn die Menschen jedoch in diese Gegenden ziehen mit dem Anspruch, unbehelligt von Feuer wirtschaften zu können, beisst sich etwas.

Sind solche Brände nicht immer katastrophal für die Natur?

Feuer per se ist nicht unbedingt schlecht. Es gehört zur Natur. In Steinkohleflözen in Nordamerika findet man 400 Millionen Jahre alte Spuren von Holzkohle, das sind Reste von Waldbränden. Offensichtlich haben diese Feuer die Vegetation nicht vernichtet. Vegetationsformen wie die Buschsavannen Afrikas oder eben die Eukalyptuswälder, wo es heute häufig brennt, sind stark an das Feuer angepasst oder sogar von ihm abhängig.

Wie meinen Sie das?

Feuerökologe Johann Georg Goldammer forscht an der Universität Freiburg.

Feuerökologe Johann Georg Goldammer forscht an der Universität Freiburg.

PD

In Australien schlagen viele Eukalyptusarten nach dem Feuer «schlafende Knospen» am Baumstamm aus, die durch das Feuer aktiviert werden. Andere Eukalyptusarten brauchen zur Fortpflanzung – wie auch die Mammutbäume Kaliforniens – einen von Feuer freigelegten Mineralboden, auf dem die Samen besser keimen können. In den Gras- und Buschsavannen Afrikas, die regelmässig brennen, hätten viele Tierpopulationen keinen Lebensraum, wenn man das Feuer künstlich heraushalten würde.

Welche Bedeutung hat das Feuer für die Entwicklung des Menschen?

Aus der Frühgeschichte der Aborigines und von frühen Gesellschaften in den Savannen Afrikas weiss man, dass sie das Feuer sehr intensiv nutzten, um die Landschaften offen zu halten. In einem dichten Wald konnten die Menschen nicht richtig jagen, sie konnten sich nicht richtig bewegen und sahen die Tiere nicht. Durch Blitzeinschlag entstandene, aber auch gezielt gelegte Feuer haben dazu beigetragen, diese Landschaften zu öffnen und regelmässig durchzubrennen. Auf der frisch gebrannten und durch die Asche gedüngten Fläche wuchs rasch Gras nach und lockte Wild an, später waren es die domestizierten Tiere. Die Menschheit hätte sich in einem dichten, geschlossenen Wald nicht entwickeln können.

Seit wann nutzen Menschen überhaupt Feuer?

In Höhlen des südlichen Afrika fand man Holzkohle, die 1,3 Millionen Jahre alt ist. Das heisst, dass die Menschen schon damals in der Lage waren, durch Blitzschlag entstandenes Feuer einzufangen, es zu bewahren und gezielt zum Wärmen und zur Fleischverarbeitung einzusetzen. Wenn es ihnen einmal nicht gelang, das Feuer zu erhalten, mussten sie warten, bis es wieder Feuer in der Natur gab. Im Moment, wo der Mensch mit Feuersteinen selbst Feuer schlagen konnte, kam er einen wichtigen Schritt voran.

Im Zusammenhang mit den Bränden in Australien tauchte der Begriff des Pyrozäns, des Feuerzeitalters, auf. Was ist damit gemeint?

Ich verwende den Begriff anders als der Feuerhistoriker Stephen Pyne, der ihn als Alternative zum Anthropozän ins Spiel brachte. Ich sehe das Pyrozän als neue Ära nach dem Anthropozän. Der Begriff des Anthropozän impliziert, dass wir mit Beginn der Industrialisierung und der Verbrennung fossiler Energieträger unsere Umwelt entscheidend zu verändern begannen. Seit einigen Jahren beobachten wir einen Feedback-Mechanismus, der das Pyrozän prägt. Die Verbrennung fossiler Energieträger führt zu einem Klima, das Landschaftsbrände verstärkt. Diese wiederum verstärken den Treibhauseffekt. Die australischen Brände sind ein machtvoller Ausdruck dieses Teufelskreises.

Wie beeinflusst die Lebensweise des Menschen die Ausbreitung der Feuer sonst noch?

Heute haben wir zwei gegenläufige Tendenzen. Der Mensch dringt in verbliebene Naturräume ein und wandelt diese mittels Feuer in Kulturlandschaften um. Umgekehrt beobachten wir einen Trend zur Urbanisierung. Vor allem hier in Europa zieht die Landbevölkerung in die Städte und verlässt damit Kulturlandschaften, die über Jahrtausende sehr intensiv bewirtschaftet worden sind. Die Natur holt sich dieses Land zurück, und das Feuer findet Nahrung, das es früher nicht gefunden hätte, weil die Landwirte alles brennbare Material für die Tieraufzucht oder zum Heizen und Kochen gebraucht hatten. Heute bringen wir Landwirten und Forstmanagern das kontrollierte Brennen bei, um den Wald von Brennmaterial zu befreien. Ich reise quasi mit der Fackel im Rucksack um die Welt.

Sie legen Feuer, um Brände zu verhindern?

Das entspricht dem, was die Aborigines und die australischen Fachleute machen: Ganz früh in der Trockenzeit brennen sie Wälder durch und entfernen so brennbares Material. Wenn die Eukalyptuswälder am Anfang der Trockenzeit schon einmal durchbrennen, kann das Feuer bei grosser Dürre nicht so richtig oder nicht so intensiv brennen. Im Englischen nennt man das «prescribed burning», der Wissenschafter verschreibt dem Landmanager ein besonderes Mass an Feuer zu einer bestimmten Jahreszeit, um ein ganz bestimmtes Ziel zu erreichen. In Mitteleuropa geht es meistens um den Erhalt von Biodiversität.

Wie das?

Offenlandökosysteme Mitteleuropas wie die Heidelandschaften in Deutschland bieten bestimmten Arten einen Lebensraum, den Wälder nicht bieten können. Die Heidepflanzen verholzen aber nach ein paar Jahren und eigenen sich nicht mehr als Nahrungsgrundlage für die Weidetiere. Mit dem Feuer verjüngt man die Pflanzen und erzielt quasi ein Recycling des Ökosystems. Dieses kontrollierte Brennen in der Landwirtschaft wurde ab den 1970er Jahren in Deutschland und später in ganz Europa verboten. Dabei wurde nicht mit einberechnet, dass das Feuer in gewissen Schutzgebieten, die nicht verwalden sollen, nötig ist.

Ein Brand in einem Naturschutzgebiet würde mich sehr irritieren. Das will doch niemand sehen!

Tatsächlich gibt es bei der Bevölkerung und bei Behörden Vorbehalte gegen das präventive Brennen. Das Wissen über die Folgen von Russpartikeln verstärkt die Angst vor der Rauchbelastung. Für uns ist es nichts Neues, dass sich die Rauchfahnen aus Australien bis nach Argentinien und Chile ausbreiten. Doch nun ist das Thema in den Medien, und die Menschen machen sich Sorgen. Viele hätten am liebsten, dass es gar nicht mehr brennt.

Das Feuer spielt in vielen Religionen, aber auch in traditionellen Bräuchen wie dem Zürcher Sechseläuten eine zentrale Rolle. Tragen die Säkularisierung und die schwindende Bedeutung des Brauchtums zu dieser Angst vor dem Feuer bei?

Das ist eine wichtige Frage. Kultfeuer wurden in den verschiedensten Religionen überall auf der Welt gelegt. Wie die katholischen Priester mit der Entzündung von Weihrauch ein Signal an Gott sendeten, schickten die Maya mit dem Sauberbrennen von Feldern ein Signal an ihre Götter und schufen eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Die kultische Rolle des Feuers wurde mit pragmatischen Dingen verbunden. Die Feuerbräuche, die bis heute überlebt haben, haben sich aber inhaltlich entleert.

Zum Beispiel?

Nehmen wir das Biikebrennen auf Sylt am 21. Februar. Um diese Zeit verliessen die Wal- und Fischfangflotten die Inseln. Die Fischerfamilien legten am Strand Feuer, um möglichst lange mit den aufbrechenden Schiffen in Kontakt zu bleiben. Dieses Aufbrechen der Schiffe gibt es nicht mehr. An vielen anderen Orten in Europa wird um diese Jahreszeit mit Feuern dem Winter der Garaus gemacht. Der Winter war früher eine bitterkalte, schwierige Zeit. Auch das ist nicht mehr der Fall. Mittlerweile sind diese Feste, bei denen Feuer symbolisch angezündet wird, Unterhaltung in unserem Alltagsleben, Events für Touristen.

Wie gelingt es, dem Feuer auch wieder Positives abzugewinnen?

Wir arbeiten insbesondere in den Wäldern zwischen der Ukraine und dem Osten Russlands. Dort hat man das Feuer genauso wie in den USA in die Knie gezwungen. Als ich 1991 in der Sowjetunion zu arbeiten begann, durfte ich Streichholz und Fackel also noch nicht richtig benutzen, um zu zeigen, wie man durch kontrolliertes Brennen Waldbrände verhindern kann. Um ein Umdenken zu bewirken, gruben wir in diesen alten sibirischen Wäldern zunächst Spuren von Feuer aus. Wir zeigten an Jahrringen von sehr feuerresistenten Baumarten, dass es in vielen dieser Wälder alle zehn bis 20 Jahre gebrannt hatte.

Damit überzeugten Sie die Leute, dass Feuer gut ist?

Wir haben in den Köpfen dort viel erreicht. Die Menschen merken, dass wir nicht versuchen sollten, dem Feuer den Krieg zu erklären und es auszumachen. Das wird nicht funktionieren. Stattdessen müssen wir das Feuer aktiv in die Hand nehmen, dann können wir unseren Lebensraum so gestalten, dass er nicht so katastrophenanfällig wird.

Johann Georg Goldammer ist Feuerökologe an der Universität Freiburg. Goldammers Team berät Regierungen, Feuerwehren und Landmanager in der nachhaltigen Nutzung von Feuer für den Natur- und Waldschutz und zur Reduktion von katastrophenartigen Bränden.

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