Mormonen können auch lustig sein

Zwei junge Männer aus Salt Lake City versuchen, arme Ugander für den richtigen Glauben zu gewinnen: Das Erfolgsmusical «The Book of Mormon», das zurzeit in Zürich gastiert, bietet beste Unterhaltung. Und vermittelt dazu eine klare Botschaft.

Felix E. Müller
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Clash of Civilizations auf der Musical-Bühne: In Afrika treffen die verklemmten Kurzarmhemdenträger aus Utah auf Menschen mit ziemlich anderen Werten.

Clash of Civilizations auf der Musical-Bühne: In Afrika treffen die verklemmten Kurzarmhemdenträger aus Utah auf Menschen mit ziemlich anderen Werten.

Paul Coltas

Würde Theodor W. Adorno in diesen Wintertagen einen abendlichen Besuch im Theater 11 in Zürich Oerlikon wagen, träfe er in der Vorstellung des Musicals «The Book of Mormon» gerade das an, was er in seinen kulturtheoretischen Schriften abgelehnt hat: ein Werk der amerikanisch geprägten Unterhaltungsindustrie. Diese will die Zuschauer laut Adorno bloss einlullen und mit sinnlichem Blendwerk betäuben, weshalb die Kultur, die sie hervorbringe, jeden emanzipatorischen Anspruch vermissen lasse. Für den Philosophen trägt künstlerische Tätigkeit, die einer marktwirtschaftlichen Logik verpflichtet ist, im Gegenteil dazu bei, dass die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gefestigt werden.

Nun ist das Erfolgsmusical «The Book of Mormon», das 2011 am Broadway in New York seine Premiere erlebte, in der Tat unterhaltsam – sehr sogar. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, verbindet man mit den Mormonen spontan ja nicht gerade Begriffe wir humorvoll, lustig, entspannt. Aber den beiden erfahrenen Drehbuchautoren Trey Parker und Matt Stone, welche sich als Erfinder der amerikanischen TV-Kultserie «South Park» einen Namen gemacht haben, ist das satirische Potenzial, das in diesem Stoff liegt, nicht entgangen.

Zusammen mit dem Komponisten Robert Lopez schrieben sie ein Musical, das sich nur schon handwerklich durch ausserordentliche Qualitäten auszeichnet, mit einer Hauptgeschichte und einer Binnengeschichte und teilweise einprägsamen Songs. Darin eingestreut werden historische Rückblenden, welche die Gründungsgeschichte des Mormonismus erklären und in denen es nicht an Elementen mangelt, die an die Glaubensbereitschaft doch überdurchschnittliche Anforderungen stellen. Wer an Persiflage denkt, findet hier dankbare Ansatzpunkte.

Mission Uganda

Ein breiteres Publikum kommt in der Schweiz am ehesten mit den Mormonen in Kontakt, wenn zwei propere junge Männer an der Türe läuten und versuchen, ein Gespräch über Glauben und Religion zu beginnen, um schliesslich das «Book of Mormon» abzugeben. Hier setzt das Musical ein: Wie alle jungen Mormonen sind auch die beiden Hauptfiguren 20-jährig geworden und sollen nun Salt Lake City verlassen, um ihre zwei obligatorischen Missionsjahre zu absolvieren.

Es ist ein höchst ungleiches Paar, das da ausgesandt wird: Der eine gross, schlank, überangepasst, ehrgeizig, karrierebewusst – der andere klein, dick, ungeschickt, emotional. Und er nimmt es erst noch mit der Wahrheit nicht immer so genau. Wie sich das Verhältnis der beiden zueinander verändert und wie der Dicke gerade wegen seiner – aus Sicht der Mormonen – problematischen Charaktereigenschaften zum Helden wird, ist die Binnengeschichte, die das Musical durchzieht.

Den grossen Rahmen spannt der Plot, dass sie als Einsatzgebiet Uganda zugeteilt erhalten, ein Dorf tief in der Provinz. Clash of Civilizations ist angesagt: hier die verklemmten Kurzarmhemdenträger aus Utah, dort fröhliche Afrikaner, die etwas andere Werte leben, beispielsweise was die Sexualmoral betrifft. Ihre Lebensrealität ist aber auch eine völlig andere als diejenige der Neuankömmlinge.

Diese Ugander leben in Armut; sie werden von blutrünstigen Warlords bedroht, die mit Mord und Vergewaltigung operieren. Aids grassiert, Frauen sehen sich von der Beschneidung bedroht – kurz: Die jungen Missionare müssen rasch feststellen, dass ihre Botschaft, ihre eher skurrilen Geschichten über die Gründung des Mormonismus um 1830 im Norden des Bundesstaats New York keinerlei Antworten auf die Sehnsucht dieser Afrikaner enthalten, dem elenden Leben zu entkommen. Auch eine Auswanderung ins vermeintliche Paradies Salt Lake City muss ein Traum bleiben, weil die Immigrationsgesetze der USA dies nicht zulassen.

Erfolgreich und doch geächtet

Kein Wunder, vermochten die Mormonen in der Vergangenheit nie nur eine einzige Bekehrung aus Uganda an die Zentrale in Utah zu melden. Das ändert sich erst, als der kleine, runde, unbeholfene Missionar im Dschungel auftaucht und dank seiner Fähigkeit, mit der sogenannten Wahrheit kreativ umzugehen, bei den Menschen ankommt.

Weil sein Erfindungsreichtum auch nicht vor dem heiligen Buch der Mormonen haltmacht, trägt ihm dies dennoch den Bannstrahl der Mormonenchefs ein. Wie jedem Machtapparat ist es auch diesem wichtiger, die Reinheit der Lehre, die Unversehrtheit der Doktrin zu verteidigen, als den Menschen in ihrer konkreten Lebensrealität zu helfen. Der Umgang des Vatikans mit Themen wie Geburtenkontrolle oder Homosexualität könnte einem in diesem Zusammenhang auch in den Sinn kommen.

Von inhaltsfreier Spassbewirtschaftung mag man im Zusammenhang mit Gölä sprechen. «The Book of Mormon» spielt da in einer anderen Kategorie, enthält es doch eine klare Botschaft: Jeder Fundamentalismus ist falsch, jede Doktrin, jede Religionsdoktrin verfehlt. Denn sie sind – werden sie rigoros durchgesetzt – letztlich menschenfeindlich. Wer meint, er könne aus Ugandern weisse Kurzarmhemdmormonen machen, wie sie den Alltag von Salt Lake City prägen, begeht die Sünde der Hybris.

Das Musical leistet also gerade das, was Adorno stets von echter Kultur gefordert hat. Es legt Herrschafts- und Machtverhältnisse bloss, es kritisiert diese und ruft zur Selbstbestimmung der Menschen auf. Folglich leistet es das, was wahre Kunst sollte, nämlich das emanzipatorische Potenzial der Zuschauer zu fördern.

Es tut dies allerdings mit unterhaltsamen Mitteln – aus Sicht des elitären Philosophen eine Todsünde. Hätte er sich das Musical dennoch angeschaut, müsste er sich eigentlich nachher beim Einsteigen ins Tram 11 unwillig, aber anerkennend eingestehen: Eigentlich illustrierte der Abend das, was ich stets gesagt habe. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.