Umfassende Antikörpertests könnten einen zweiten generellen Lockdown verhindern

Mit Antikörpertests kann man herausfinden, welche Person sich schon mit Sars-CoV-2 angesteckt hatte und jetzt immun ist. Nach Massentests wüsste man, wie viele Menschen noch gefährdet sind.

Stephanie Lahrtz
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Röhrchen mit Blutproben werden für Tests vorbereitet. Gemäss dem Deutschen Roten Kreuz hat in den letzten Tagen die Bereitschaft, Blut zu spenden, wegen der Corona-Krise spürbar abgenommen.

Röhrchen mit Blutproben werden für Tests vorbereitet. Gemäss dem Deutschen Roten Kreuz hat in den letzten Tagen die Bereitschaft, Blut zu spenden, wegen der Corona-Krise spürbar abgenommen.

Jens Meyer / AP

Noch immer weiss kein Land, wie viele seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sich jeweils wirklich mit dem neuen Sars-CoV-2 infiziert haben – und daher bereits immun sind. Keiner kann daher derzeit vorhersagen, ob die Infektionsrate nach einer Beendigung der strengen Ausgangssperren und sonstigen den Kontakt einschränkenden Massnahmen sofort wieder in die Höhe schnellen wird. Um dies – und damit einen weiteren, für Wirtschaft und Gesellschaft katastrophalen Lockdown – zu verhindern, müsste man baldmöglichst mit sogenannten Antikörpertests beginnen.

Schüler und Lehrer vor Schulöffnung testen

Mit solchen Tests lässt sich nämlich feststellen, ob eine Person mit dem neuartigen Coronavirus infiziert war. Danach ist sie gemäss jetzigem Stand der Erkenntnis zumindest für einige Wochen oder Monate immun. Denn der Organismus bildet spezifisch gegen den Erreger gerichtete Antikörper. Experten gehen derzeit davon aus, dass solche Sars-CoV-2-Antikörper zwischen dem achten und elften Tag nach dem Ausbruch der ersten Symptome im Blut auftauchen. Während der Infektion zirkulieren vor allem Antikörper vom Typ IgM, danach vom Typ IgG. Durch jeweils für diese Subtypen spezialisierte Tests kann man somit erkennen, ob sich ein Patient noch in der akuten Krankheitsphase oder bereits in der Phase danach befindet. Wegen der verzögert nach der Infektion einsetzenden Antikörperbildung sind Antikörpertests jedoch nicht zum Erkennen einer Infektion geeignet. Dafür werden weltweit sogenannte PCR-Tests angewandt, die das Erbgut des Virus in Nasen- oder Rachenabstrichen aufspüren.

Flächendeckende Testprogramme liefern für eine Vielzahl von Fragestellungen die dringend benötigten Fakten. Zum Schutz der Risikogruppen nach einem Lockdown müssten diejenigen Mitarbeiter in Spitälern oder in Alters- und Pflegeheimen ausfindig gemacht werden, die dank ihrem Immunschutz vorrangig bei der Versorgung von Patienten oder Senioren eingesetzt werden sollten. Damit würden alle, Mitarbeiter ebenso wie Patienten beziehungsweise Heimbewohner, vor Infektionen geschützt.

Ebenso könnte in der ersten Phase nach dem Lockdown vorrangig immunen Mitarbeitern der Zutritt zu Firmen gestattet oder könnten jene Schulen und Kindergärten geöffnet werden, in denen eine grosse Anzahl an Lernenden und Lehrenden immun ist. Gerade bei Kindern und Jugendlichen dürfte es viele unerkannte Sars-CoV-2-Infektionen gegeben haben und weiterhin geben, denn in dieser Altersgruppe verläuft die Infektion oft mild und bleibt daher unbemerkt.

Auch die Entlassung von Patienten, die die von dem Virus ausgelöste Lungenerkrankung Covid-19 haben, könnte dank Antikörpertests effizienter und sicherer für die Bevölkerung werden, wie ein Spital in Wuhan berichtet. Dort werden gemäss chinesischen Medienberichten solche Tests seit Anfang März eingesetzt. Wenn ein Patient keine IgM, aber viele IgG-Antikörper aufweise, dann wisse man, dass er die Erkrankung überstanden habe und entlassen werden könne, erläutern die Ärzte.

Weltweit sind zahlreiche Tests in der Entwicklung

Singapur hat kürzlich ein grosses Testprogramm zur Erfassung der Immunität in der Bevölkerung gestartet. Tatsächlich müssten in jedem Land Millionen an Antikörpertests für diese sehr umfangreichen Screenings durchgeführt werden. Und diese müssten in regelmässigen Abständen wiederholt werden. Da die Herstellung wie auch die Auswertung von Antikörpertests vergleichsweise einfach und automatisierbar ist, kostet das Testen einer Blutprobe im Massenbetrieb nur wenige Rappen oder Cent. Solche Programme wären also für jedes Land deutlich kostengünstiger als die millionenschweren Hilfsfonds, die derzeit vielerorts aufgelegt werden.

Weil Antikörpertests ein so wichtiges Instrument sind, werden sie derzeit weltweit von einer Vielzahl von Institutionen und Firmen entwickelt. Vorreiter ist China: Dort sind bereits ein knappes Dutzend solcher Tests zugelassen, einige auch in den USA. In der Schweiz und in Deutschland stehen Antikörpertests für Sars-CoV-2 derzeit nur für Forschungszwecke zur Verfügung; einer wird beispielsweise am Universitätsspital Zürich erprobt.

Allerdings gibt es da ein Problem: Die Antikörpertests wurden so rasant entwickelt, dass derzeit niemand so genau weiss, wie zuverlässig sie sind. Noch ist wenig dazu publiziert. Und die wenigen einsehbaren Daten wie jene von der Universität Rotterdam oder der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York zeigen, dass die Tests zwar zuverlässig sind, bisher aber nur mit dem Blut von sehr wenigen Covid-19-Patienten erprobt wurden. Für aussagekräftige Massen-Screenings muss aber in umfangreichen Analysen bewiesen sein, dass ein Test jeweils sehr spezifisch die Antikörper gegen Sars-CoV-2 aufspürt, nicht jedoch jene gegen andere Coronaviren (die seit Jahren in der Bevölkerung vorkommen). Nur wenn die Spezifität sehr hoch ist, liefert ein Screening der Bevölkerung verlässliche Ergebnisse. Bei vielen falsch positiven Ergebnissen hingegen würde die Immunität gegen Sars-CoV-2 massiv überschätzt.

Antikörpertests alleine verhindern natürlich keine Neuansteckung. Dafür braucht es eine umsichtige Bevölkerung, die nach der Aufhebung der Social-Distancing-Massnahmen das soziale Leben mit der gebotenen Vorsicht wiederaufnimmt. Personen mit Symptomen oder Verdacht auf eine Infektion müssten auch weiterhin isoliert und mit PCR-Tests untersucht werden.