Der billigste Strom der Welt, keine Regulierung, korrupte Behörden: In Paraguay schürfen Pioniere Kryptowährungen – mit hohem Risiko, aber auch hohem Gewinn

In Schuppen mit Wellblechdächern röhren Hunderte Rechner in der Grösse von Schuhkartons. «Wir arbeiten alle im Graubereich», sagt einer der Bitcoin-Unternehmer: ein Besuch in Ciudad del Este.

Alexander Busch, Ciudad del Este
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Bitcoin generieren in Paraguay: In einem Schuppen in Ciudad del Este arbeiten Tausende von Computern vor sich hin.

Bitcoin generieren in Paraguay: In einem Schuppen in Ciudad del Este arbeiten Tausende von Computern vor sich hin.

Jorge Saenz / AP

Wenn man von Ciudad del Este in den Norden Paraguays fährt, dann sieht es dort aus wie überall in den Landwirtschaftsregionen Südamerikas: Getreidesilos, Sojafelder, ein paar Rinder, Traktorwerkstätten. Alle paar Minuten zeigt Antonio Li jedoch auf unscheinbare Schuppen mit Wellblechdächern inmitten der Felder und behauptet: «Alles Krypto-Fabriken!»

Auch Li, 39 Jahre alt, hat seine Produktion in einem schon lange stillgelegten Sägewerk versteckt. Die Mangobäume sind voll von noch grünen Früchten. Der rote Lehm klebt zentimeterdick an den Stollen seines SUV, als er in die «Fabrik» fährt. Kein Schild weist darauf hin, was hier passiert. Sechshundert Rechner in der Grösse von Schuhkartons röhren in Regalen und blasen heisse Luft aus, wie überhitzte Föhne, mit dem Lärm eines Düsenjets im Leerlauf. Ventilatoren, gross wie Flugzeugpropeller, drücken Frischluft in die Regale mit den blinkenden Geräten.

Es ist schnell zu heiss

Die Abluft wird direkt ins Freie geblasen. Doch bei Aussentemperaturen von bis zu 40 Grad, die hier ein halbes Jahr lang herrschen, steigt die Temperatur im Geräteraum schnell auf über 60 Grad. «Wenn es heisser wird, müssen wir die Kapazitäten herunterfahren, sonst brennt die Hardware durch», sagt Li. Vor dem Maschinenraum reinigen Lis Mitarbeiter die Maschinen vom roten Staub, wechseln durchgebrannte Teile aus. Es sieht aus wie auf einem Schrottplatz.

Die Produkte, die hier entstehen, existieren nur im Internet: Bitcoin, Ether und andere Kryptowährungen. Die «Miner» verifizieren die Krypto-Transaktionen. Für diesen Vorgang erhalten sie als Belohnung die Gebühren der Transaktionen, die in diesem Block enthalten sind. Zusätzlich bekommen sie Krypto-Coins für das Erstellen von einzelnen Blöcken der Blockchain. Ähnlich wie beim Gold im Amazonas schürfen Li und seine Konkurrenten Bitcoin im Netz.

Technologisches Aufrüsten

Als der Bitcoin vor einer Dekade an den Start ging, konnten sie noch handelsübliche Computer dafür benutzen. Doch je beliebter der Bitcoin wird und je mehr Nutzer sich diesem Netzwerk anschliessen, desto komplizierter werden die Rechenaufgaben. Deshalb nutzen Bitcoin-Schürfer seit einigen Jahren spezielle Hochleistungsrechner. Weltweit verbrauchen diese Rechner sehr viel Strom – es gibt Beobachter, die behaupten, es sei so viel, wie Österreich in einem Jahr verbrauche.

Und so suchen Bitcoin-Schürfer wie Li weltweit nach den Standorten, an denen sie den billigsten Strom bekommen. Je günstiger der Strompreis, desto rentabler wird ihr Geschäft mit den Rechnerzentren. Mit vier US-Cent pro Kilowattstunde ist Strom in Paraguay so billig wie in nur ganz wenigen Staaten weltweit. Das liegt am Wasserkraftwerk Itaipú, das zwanzig Kilometer nördlich von Ciudad del Este steht. Als in Brasilien und Paraguay Generäle an der Macht waren, planten sie das grösste Kraftwerk der Welt.

Bei den Bauarbeiten am Wasserkraftwerk (Aufnahme vom 28. Juni 1979) waren 34 000 Arbeiter involviert. Das Megakraftwerk am Rio Parana ging 1983 in Betrieb.

Bei den Bauarbeiten am Wasserkraftwerk (Aufnahme vom 28. Juni 1979) waren 34 000 Arbeiter involviert. Das Megakraftwerk am Rio Parana ging 1983 in Betrieb.

Keystone
Der Itaipu-Damm ist Teil eines der grössten Wasserkraftwerke der Welt – links des Flusses liegt Brasilien, rechts Paraguay.

Der Itaipu-Damm ist Teil eines der grössten Wasserkraftwerke der Welt – links des Flusses liegt Brasilien, rechts Paraguay.

Jorge Saenz / AP

Ein Kraftwerk mit etwas Land darum herum

Der Rio Paraná wurde aufgestaut, seine Fluten werden nun durch zwanzig Turbinen geleitet. Paraguay, heisst es in Südamerika, ist seitdem «ein Kraftwerk mit etwas Land darum herum». Itaipú liefert seit fast vierzig Jahren zuverlässig Strom nach Brasilien. Paraguay selbst kann mit den Strommengen nicht viel anfangen. Es gibt in dem Land, das zehnmal so gross ist wie die Schweiz, aber nur sieben Millionen Einwohner hat, kaum Industrie.

«Von den USA bis Mexiko ist Krypto-Schürfen risikolos – man verdient aber nichts», sagt Li. In Paraguay sei das umgekehrt: «Man kann damit Geld verdienen. Nur das Risiko ist hoch.»

Verschwiegenes Schmugglerparadies

Li ist einer der wenigen Bitcoin-Unternehmer in Ciudad del Este, die offen über ihr Geschäft sprechen. Die Verschwiegenheit mag am Standort im Dreiländereck von Paraguay, Brasilien und Argentinien liegen. Hier reden viele ungern über Geschäfte. Ciudad del Este gilt in Südamerika als Schmuggelparadies. Seit Jahrzehnten gehen hier gepanschter Whisky, Textilien und Elektronik aus Fernost über die Grenzen.

Horacio Cartes, bis August 2018 Präsident Paraguays, wurde Milliardär, weil seine Tabakfabriken den brasilianischen Markt mit geschmuggelten Zigaretten überschwemmen. Die Mafia in Argentinien und Brasilien bezieht aus Ciudad del Este Drogen und Waffen. Und die CIA warnt seit Jahren davor, dass die libanesische Terrororganisation Hizbullah hier im Dreiländereck ihren wichtigsten Standort ausserhalb des Nahen Ostens unterhält.

Taiwaner mit brasilianischer Geburtsurkunde

Lis Vita ist typisch für Ciudad del Este: Eigentlich heisst er Yiau Chun Lin. Doch mit zwei Jahren brachte ihn sein Vater aus Taiwan nach Paraguay und kaufte ihm eine brasilianische Geburtsbescheinigung. Seitdem heisst er eben auch Antonio Li. Inzwischen hat er vier Pässe, spricht neben Mandarin und Taiwanisch akzentfrei Spanisch und Portugiesisch, auch Guaraní, die indigene Amtssprache Paraguays, versteht er. Er hatte jahrelang Videospiele und Elektronik aus Fernost importiert, bis er die ersten Blockchain-Rechner in seiner Garage aufstellte.

Jetzt lebt er vom Krypto-Business, so wie geschätzt rund zwanzig andere Unternehmer in Ciudad del Este. In seiner Geldbörse stecken drei Kreditkarten, die mit Bitcoin gedeckt sind. Alle stammen aus Argentinien. «In Ländern mit hoher Inflation und Devisenkontrollen, wie in Venezuela oder Argentinien, sind die Menschen besonders interessiert an Bitcoin», sagt Li.

Zollfreie Rechner

Ausser billigem Strom hat Paraguay noch einen Standortvorteil: Die Hochleistungsrechner dürfen zollfrei importiert werden. Li kauft sie gebraucht aus China für 150 $ das Stück – doch die Preise schwanken: Berechnet werden sie in Bitcoin. Mit dem Schiff sind sie zwei Monate, mit dem Flugzeug zwei Wochen unterwegs. Wegen des billigen Stroms kann Li auch stromfressende Geräte mit niedrigen Verarbeitungskapazitäten noch lukrativ arbeiten lassen, deren Betrieb selbst in Russland oder China nicht mehr rentabel ist.

Die Masseinheit für die Leistung aller im Bitcoin-Netzwerk angeschlossenen Rechner ist die Hashrate. Insgesamt stehen im Bitcoin-Netz derzeit rund 93 Millionen Terahash zur Verfügung. Ein einzelnes Schürfgerät von Antonio Li trägt 14 Terahash dazu bei. Selbst dieser wenig effiziente Rechner kann 14 Billionen Berechnungen pro Sekunde ausführen. Dank der enormen Rechenkapazität des Netzwerks lassen sich Bitcoin-Überweisungen sicher und unveränderbar speichern.

Rechnerpreise korrelieren mit Bitcoin

Li verhandelt gerade mit einem schwedischen Bitcoin-Unternehmer, der seine Geräte kurz nach dem bisherigen Höchstkurs Ende 2017 gekauft hat, als der Bitcoin knapp die Marke von 20 000 $ verfehlte, also fast dreimal so hoch wie heute notierte. Doch mit dem Bitcoin-Kurs waren auch die Preise für die Hardware in die Höhe geschossen. «Bis heute haben sich die Investitionen des Schweden nicht gerechnet», sagt Li. «In Paraguay hätte er eine Chance, doch noch einen Gewinn zu erwirtschaften.»

Andere Anbieter setzen auf möglichst billige Geräte und einfachste Infrastruktur. Rocelo Lopes, einer der Krypto-Pioniere in Paraguay, hat in einem Schuppen mehrere tausend Geräte auf Gerüsten installiert, die aus PVC-Abflussrohren montiert sind. Es sind wackelige Konstruktionen, die aber schnell ausgebaut werden können, falls Bedarf besteht. Die Schürfer in Paraguay setzen darauf, dass bald noch mehr Investoren nach Südamerika kommen werden, deren Produktion nicht mehr rentabel ist.

Probleme mit chinesischen Visa

Li sagt, er verhandele auch mit chinesischen Schürfern. Die meisten seien an der Grenze zur Mongolei angesiedelt und würden unter Stromrationierungen leiden. Li will sie nach Paraguay holen. Doch Paraguay erkennt als einziges südamerikanisches Land nur Taiwan als legitime Vertretung der Volksrepublik China an. Chinesische Unternehmer bekämen kein Visum, sagt Li, sie dürften offiziell nicht investieren.

Doch das kann sich alles ändern. «Wir arbeiten alle im Graubereich», sagt Li. Für ihn sei das kein Problem. Er kenne genug Beamte in der Justiz, im Zoll, beim Finanzamt und bei der Strombehörde: «Man kann sich hier alles kaufen.» Ein Transformator müsse die Behörde abnehmen. Das dauere zwei Monate, eine Ewigkeit im Schürfgewerbe. Für 500 $ erteile der Inspekteur in zehn Tagen die Genehmigung. Die gebrauchten Geräte müssten als Informatik deklariert werden, nur dann könnten sie zollfrei importiert werden. Doch auch das kostet. Hinter jeder grösseren Fabrik in Paraguay stehe ein Minister, ein Richter oder ein General, der die Hand aufhalte, aber dafür den Betrieb garantiere, sagt ein Journalist aus Asunción.

Ciudad del Este: Die Grenzstadt ist bekannt für Drogenschmuggler, Waffenhändler und Fälscher.

Ciudad del Este: Die Grenzstadt ist bekannt für Drogenschmuggler, Waffenhändler und Fälscher.

Jorge Saenz / AP

Grossfamilie arbeitet mit

Wer hinter Antonio Silva steht, ist unklar. Er ist der König der Bitcoin-Schürfer in Ciudad del Este. Und man kann nicht sagen, dass er sich versteckt. Ganz im Gegenteil. An seinem Büro im Zentrum steht in grossen Lettern: «Es ist wie Gold schürfen – nur besser!» Mit Antonio zu sprechen, ist nicht einfach. Denn er versucht manchmal alles gleichzeitig: auf dem Smartphone zu tippen, an der Zigarette zu ziehen, ein Stück Kuchen in den Mund zu schieben – und seine Sicht auf die Krypto-Branche und die Welt darzustellen.

Seine Karriere erzählt er in Ruflautstärke: 52 Jahre alt, ehemals ein Waisenkind aus Brasiliens mittlerem Westen, LKW-Fahrer, gescheiterter Parfumhersteller und jetzt Krypto-Unternehmer. Erfolgreich – was er mit schweren Goldketten am Handgelenk und dem Kreuz um den Hals demonstriert. «Wir sind ein Familienbetrieb», sagt er. Von seinen sechzehn Kindern arbeiten mehrere mit. Der Schwiegersohn führt durch den Laden für Fanartikel, zeigt die Kurstabellen für Kryptowährungen an den Wänden. Die Tochter serviert den Kaffee im Plastikbecher und beruhigt Silva, wenn er sich echauffiert. Silva sagt gerne: «Ich verkaufe Vertrauen, Transparenz und Simplizität.»

Registrierung in Deutschland geplant

Doch Silva weiss, dass das mit dem Vertrauen nicht so einfach ist, wenn man in Paraguay seinen Firmensitz hat. Deswegen war er gerade in Berlin. Mit der Unterstützung der Fintech-Solaris-Bank will er eine Krypto-Tauschbörse in Deutschland registrieren. «Ich will dort sein, wo es die strengste Regulierung gibt», sagt er. «Nur dann vertrauen die Kunden mir.» Solaris sagt, man rede «aufgrund des Bankgeheimnisses» nicht über mögliche Partnerschaften. (Anmerkung: Ein Sprecher der Solaris-Bank erklärt gegenüber dem Autor im November 2020, dass sein Institut keinerlei Geschäftsbeziehungen zu Herrn Silva und seinem Unternehmen unterhält.)

Silva betreibt ein regelrechtes Krypto-Imperium in Paraguay. Gerade hat er eine eigene digitale Währung, LQX, zum Laufen gebracht. Er schürft, handelt mit Kryptowährungen und betreibt eine Produktion für Investoren. Am liebsten seien ihm Kleininvestoren mit maximal 50 000 $ Einsatz. Er hält Kurse ab für Kleinanleger, auch auf Youtube zu sehen. Mit seinem mächtigen Bauch, den zerrissenen Shorts und ausgelatschten Crocs wirkt er authentisch auf andere südamerikanische Selfmade-Unternehmer. Besucher müssen sich T-Shirts mit dem Logo seines Unternehmens MDX überstreifen. «Immer wieder haben Betrüger meine Anlagen gefilmt und als ihre ausgegeben – um dann mit dem Geld der Anleger zu verschwinden», sagt er.

Ständig im Visier der Hacker

Im Industriepark Monte Carlo, vierzig Kilometer nördlich der Stadt, hat Silva den Grossteil seiner insgesamt 26 000 Rechner am Laufen, am Rande eines Regenwaldes und zwischen Reisfeldern. Sie sind in einem dreistöckigen Gebäude und einem halben Dutzend Containern untergebracht. Sie werden mit einem Air-Conditioning-System gekühlt, das er von Hühnermästern in Südbrasilien abgeschaut und verfeinert hat. Wegen der lahmen Internetverbindungen in Paraguay ist er über eine Antenne an einen brasilianischen Netzbetreiber angeschlossen. Er beschäftigt einen Informatiker. Der fährt die Anlagen nach den häufigen Stromausfällen wieder kontrolliert hoch und hält Hacker fern. Diese versuchen ständig, die Maschinen umzupolen, damit sie für andere schürfen.

Mit Blick auf die um ihn herumwuselnden Mitarbeiter zündet sich Silva eine Zigarette an und stösst befriedigt den Rauch aus: «Niemand in den Tropen weltweit schürft mehr und besser als ich.» Er könnte auch sagen: Niemand schürft mit sichererem Gewinn als er. Denn Silva kümmert sich gegen Gebühr um die Kleinanleger, für die er die Rechner aufstellt. Das bedeutet: Auch wenn die Kryptowährungen abstürzen, Silva wird immer Gewinn machen.

26. 11. 2020: Der Artikel wurde mit einen Statement der Solaris-Bank ergänzt, wonach die Fintech-Bank keinerlei Geschäftsbeziehungen zu Herrn Silva und seinem Unternehmen unterhält.