Der Intellektuelle, den die Clans hassen

Der Migrationsforscher Ralph Ghadban berät die deutschen Regierungsparteien im Kampf gegen kriminelle Clans. Er geriet selbst ins Fadenkreuz der Grossfamilien, gibt aber nicht klein bei.

Jonas Hermann, Berlin
Drucken
«Überall, wo ihr ihn findet, seid mit ihm gnadenlos», hiess es in der Drohkampagne gegen Ralph Ghadban. Das Bild zeigt ihn bei einem Besuch in der Talkshow «Maybrit Illner».

«Überall, wo ihr ihn findet, seid mit ihm gnadenlos», hiess es in der Drohkampagne gegen Ralph Ghadban. Das Bild zeigt ihn bei einem Besuch in der Talkshow «Maybrit Illner».

Müller-Stauffenberg / Imago

Ralph Ghadban hat endlich erreicht, was er immer wollte. Seine Botschaft wird gehört. Kurz nach der Jahrtausendwende erkannte der Migrationsforscher, welche Gefahr von kriminellen türkisch-arabischstämmigen Grossfamilien ausgeht.

Hören wollte das damals in Deutschland kaum jemand, doch die Zeiten haben sich geändert. Im Herbst hatte ihn die Bundestagsfraktion der Unionsparteien (CDU/CSU) als Berater eingeladen. Mit Mitgliedern des Innenausschusses sprach der Siebzigjährige über die Frage, wie der Staat kriminelle Clans in den Griff bekommen könnte. Wenig später präsentierten die Unionsparteien einen Zwölf-Punkte-Plan, um die kriminellen Grossfamilien in die Schranken zu weisen.

Für die Anerkennung zahlt Ghadban einen hohen Preis. Er lebt unter Polizeischutz und steht im Fadenkreuz der Clans. Im Frühling erhielt er Dutzende Drohungen von kriminellen Grossfamilien, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiteten.

Auslöser dafür war ein Interview, das er im libanesischen Fernsehen gegeben hatte. Was er in Deutschland über Clans sagte, hatte deren Mitglieder nie interessiert. Vielleicht hatten sie es auch nicht mitbekommen. Dass er aber auf Arabisch im Fernsehen ihre Machenschaften anprangerte, wurde als Ehrverletzung aufgefasst.

Die Grossfamilien riefen zur Gewalt gegen ihn auf: «Überall, wo ihr ihn findet, seid mit ihm gnadenlos», hiess es in einer Sprachnachricht, die im Clan-Milieu verbreitet wurde. Ein Clan-Mitglied forderte, man müsse mit Ghadbans Gesicht «den Boden wischen».

Ein fragwürdiger Verein

Der Migrationsexperte wehrte sich und erstattete mehrere Anzeigen gegen die Anführer der Kampagne. Beteiligt daran waren offenbar auch Mitglieder eines Vereins namens «Familien Union» aus Essen. Laut eigenen Angaben geht es dem Verein um «die Förderung des interkulturellen Zusammenlebens» und um «Toleranz auf allen Gebieten». Eine Zeitlang kooperierte sogar die Stadt Essen mit der «Familien Union». Sie hat die Zusammenarbeit aber mittlerweile eingestellt.

Nach einer sogenannten Gefährderansprache hörten die Drohungen auf. Mit diesem Instrument versucht die deutsche Polizei, Straftaten im Vorfeld zu verhindern. Potenzielle Täter werden ermahnt, ihre Pläne lieber einzustellen.

Die Clans seien darüber erstaunt gewesen, erzählt Ghadban. «Die dachten, der Staat müsste eigentlich mich verfolgen, weil ich ihre Ehre verletzt hätte.» Ghadban lacht. Die Clans haben seine Freiheit eingeschränkt, doch den Humor konnten sie ihm nicht nehmen.

Empfehlung in den Wind geschlagen

Mit seiner Frau lebt er in einer perfekt aufgeräumten Berliner Altbauwohnung, nur die verstärkte Eingangstür erinnert an die Bedrohung durch die Clans. Umziehen will er nicht, auch wenn es anderswo sicherer wäre.

Ausserhalb der Wohnung ist er seit der Drohkampagne vorsichtiger geworden. «Man darf aber keine Schwäche zeigen, nicht nachgeben», sagt er. Die Polizei empfahl ihm Zurückhaltung. Stattdessen gab er der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» kurz nach den Drohungen ein Interview, das grosse Resonanz auslöste.

Zwischen Ghadban und vielen Clan-Mitgliedern gibt es eine biografische Gemeinsamkeit: Auch er kam aus Libanon nach Deutschland – allerdings nicht als Asylbewerber, sondern mit einem Promotionsstipendium.

Mitte der siebziger Jahre engagierte er sich zunächst ehrenamtlich für Flüchtlinge aus Libanon und wurde dann Sozialarbeiter. Insgesamt arbeitete er 16 Jahre mit der Gruppe, auf die sich ein Grossteil der Clan-Kriminalität zurückführen lässt: den sogenannten Mhallamiye-Kurden.

Sie stammen ursprünglich aus der Türkei und siedelten auf libanesisches Territorium über. Als dort in den siebziger Jahren der Bürgerkrieg ausbrach, wanderten einige von ihnen nach Deutschland aus und beantragten dort erfolglos Asyl.

Ein toxischer Schwebezustand

Der deutsche Staat konnte die Mhallamiye-Kurden aber nicht ausschaffen, denn sie waren staatenlos oder hatten ihre Papiere weggeworfen. Weil sie nur über den Duldungsstatus verfügten, durften sie nicht arbeiten.

Laut Ghadban fiel auch die Schulpflicht weg, weshalb viele Jugendliche als Analphabeten aufgewachsen sind. Die Politiker hätten damals darauf spekuliert, die Mhallamiye-Kurden aus Deutschland hinausekeln zu können, sagt er. Doch sie blieben, und einige wurden kriminell.

Dass manche Mhallamiye-Kurden in einer finsteren Parallelwelt leben, wird an der Kampagne gegen Ghadban deutlich. Angeblich wurde an einem Treffen der «Familien Union» in Essen beschlossen, den Migrationsexperten ins Visier zu nehmen.

Wenige Stunden später ergossen sich die Drohungen über ihn. Auf seinem Mobiltelefon zeigt er Videos, die stets der gleichen Inszenierung folgen: Bärtige Männer lassen sich dabei filmen, wie sie ihn auf Arabisch beschimpfen.

Die unheilvolle Macht der Gruppe

Ein Teil dieser Aufnahmen stammt aus Deutschland, doch es gibt auch Videos, die in Syrien gefilmt worden sind. Dass sich dort Menschen dafür interessieren, was Ghadban über Clans in Deutschland sagt, erklärt er mit archaischem Stammesdenken und Familienstrukturen, die weit über die Landesgrenzen wirksam sind. Er stellt dem Journalisten die rhetorische Frage: «Wen können Sie von Ihren Verwandten anrufen, wenn Sie auf der Strasse Stress haben?» Ghadban wartet kurz und sagt dann: «Eben!»

Das Auftreten in der Gruppe sei der Schlüssel, um alle staatlichen Institutionen ausser Kraft zu setzen. Ghaban vertritt die These, ein Land könne nur Individuen, aber keine Gruppen integrieren. Für die unheilvolle Macht der Gruppe hat er einige Beispiele parat: Wenn Polizisten ein Clan-Mitglied kontrollieren, werden sie manchmal von Dutzenden seiner Verwandten umkreist und bedrängt. Daher kann die Polizei Mitglieder dieser Grossfamilien manchmal nur mit erheblichem Aufwand überprüfen.

«Würden Sie sich für den Rechtsstaat opfern?»

Dennoch gelingt es immer wieder, manche von ihnen vor Gericht zu bringen. Doch auch dort versuchen sie die Strafverfolgung auszuhebeln. Zeugen wird Schweigegeld angeboten. Falls das nichts funktioniert, folgen Drohungen.

Die Methode scheint unheimlich gut zu funktionieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte bereits mehrere Dutzend Mal gegen den Chef des berüchtigten Abou-Chaker-Clans, verurteilt wurde er aber nie. Ghadban zeigt Verständnis für Zeugen, die einknicken, und fragt: «Würden Sie sich für den Rechtsstaat opfern?»

Die Wurzel all dieser Probleme ist für ihn der Multikulturalismus. Er beschreibt ihn als «einen Nebel, der den Blick auf die Realität verdeckt». Nach seiner Interpretation steht der Begriff für das Zusammenleben verschiedener Kulturen ohne gemeinsame Grundlage.

Das unbedenkliche Pendant dazu sei der demokratische Pluralismus, der ebenfalls kulturelle Vielfalt garantiere – allerdings mit den allgemein verbindlichen Menschenrechten als Basis.

Deutschland als «Beutegesellschaft»

Wenn er über die misslungene Integration türkisch-arabischer Migranten spricht, wird Ghadban schnell ungeduldig. Die Kriminalität, die Verachtung des Rechtsstaats: All das habe er früh kommen sehen. Schwierigkeiten hat er vor allem mit Politikern, die immer noch versuchen, die unschönen Nebenwirkungen der Migration wegzumoderieren.

Ein Paradebeispiel dafür sei der rot-rot-grüne Berliner Senat. Der sozialdemokratische Innensenator Andreas Geisel versuche zwar, den Kampf gegen die Clans voranzutreiben, werde aber von den Grünen und der Linkspartei gebremst.

Über Politiker, die den Multikulturalismus verteidigen, urteilt Ghadban hart. Dabei verwischen manchmal die Grenzen zwischen Migrationsforschung und politischem Aktivismus. Konservativ orientierte Medien lieben ihn dafür. Als promovierter Politologe wird er ernst genommen, und seine eigene Migrationsgeschichte schützt ihn gegen Rassismusvorwürfe.

Seine Strategie beschreibt er unverblümt: Ist ihm ein Thema wichtig, versucht er, es medial so stark anzuschieben, dass Politiker unter Zugzwang geraten. Ihm selbst würden die Drohungen der Clans die Freiheit rauben – wenn man die Perspektive aber etwas weite, hätten sie auch ihr Gutes gehabt.

Die Aufmerksamkeit für das Thema habe wegen der Berichterstattung über die Drohungen nochmals zugenommen. Politiker könnten es sich kaum mehr leisten, das Thema kleinzureden. Bis dahin war es ein weiter Weg.

Ghadban sprach bereits vor 33 Jahren davon, dass Clans Deutschland als «Beutegesellschaft» sehen würden. Mittlerweile hat der christlichsoziale Innenminister Horst Seehofer diese Position übernommen und äussert sich mit den gleichen Worten. «Da sehen Sie mal, wie viel Geduld ich habe», sagt Ghadban und lächelt zufrieden.