Vor hundert Jahren wurde die NSDAP gegründet: Bis heute ist ihr Aufstieg ein Lehrstück für das Scheitern einer Massendemokratie

Im Februar 1920 gründete Adolf Hitler die NSDAP. Rasch stieg sie zur verbrecherischen Massenpartei auf und führte zum Untergang der Weimarer Republik – mithilfe von Verführung und Gewalt, Hass und Ausgrenzung.

Hans-Ulrich Thamer
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Adolf Hitler während seiner Rede im Festsaal des Hofbräuhaus in München am 23. Februar 1940. Von dieser Stelle aus verkündigte er am 23. Februar 1920 das Programm seiner NSDAP.

Adolf Hitler während seiner Rede im Festsaal des Hofbräuhaus in München am 23. Februar 1940. Von dieser Stelle aus verkündigte er am 23. Februar 1920 das Programm seiner NSDAP.

Scherl / SZ

Am 24. Februar 1920 verkündete der völkische Agitator Adolf Hitler im Münchner Hofbräuhaus die Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), nachdem er schon vier Tage zuvor als Werbeobmann der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) gegen Bedenken des Vorstandes deren Umbenennung beantragt hatte. Nichts deutete damals auf den kometenhaften politischen Aufstieg und die zerstörerische Gewalt des 30-jährigen Weltkriegsgefreiten hin, der noch bis zum 31. März 1920 in Diensten der Reichswehr stand.

Und auch die NSDAP, deren Gründung seine eigentliche politische Laufbahn eröffnete und Grundlage seiner Macht wurde, war zunächst nur eine radikalnationalistische Splittergruppe, von denen es in dem unruhigen nachrevolutionären München und anderswo in Deutschland und Europa damals viele gab. Zur selben Zeit hatte beispielsweise der ehemalige sozialistische Parteiführer Benito Mussolini in Mailand die «fasci italiani di combattimento», den Kern des italienischen Faschismus, gegründet.

Im Unterschied zu Mussolini war Adolf Hitler ein politisch völlig unbeschriebenes Blatt. Ihm drohte mit der endgültigen Entlassung aus der bayrischen Armee erneute Heimatlosigkeit. Darum war er Ende September 1919 in die DAP eingetreten. Bis dahin war er ein Niemand, ohne Schulabschluss, ohne Berufsausbildung und auch ohne politische Erfahrung. Was er konnte, war reden. Seine Hasstiraden und seine mit bitterer Ironie gewürzte, leidenschaftliche Rhetorik verschafften ihm bald volle Säle.

Seine aggressiven Auftritte machten ihn zu einer stadtbekannten Person, brachten ihm aber auch das Misstrauen des DAP-Vorstands um den Sportjournalisten Karl Harrer ein, der eher einen politischen Debattierzirkel als eine öffentlichkeitswirksame Polit-Inszenierung wollte. Das führte schliesslich zum Bruch und zur Neugründung. Die Begriffe «national» und «sozialistisch» sollten nach dem Willen Hitlers und seiner Entourage im Parteinamen zusammen erscheinen, um durch die Verbindung von politisch Gegensätzlichem Aufmerksamkeit zu erzeugen, um zu provozieren, um den Gegnern Anhänger und Themen zu entwinden.

Autoritäre «Volksgemeinschaft»

Die Gründungsveranstaltung am 24. Februar, bei der auch das Parteiprogramm der NSDAP vorgestellt wurde, fand zunächst wenig Aufmerksamkeit. Zusammen mit dem Mitbegründer der DAP, dem Werkzeugschlosser Anton Drexler, verkündete Hitler politische Parolen, die man auch anderswo in völkisch-nationalistischen und rechtsextremen Parteien hören konnte: Die Forderungen nach einem «Grossdeutschland» und nach der Aufhebung des Versailler Vertrags sowie nach Rückgabe der Kolonien standen an erster Stelle. Es folgten antisemitische und fremdenfeindliche Forderungen: Juden könnten keine deutschen Volksgenossen sein und sollten unter ein Fremdengesetz gestellt werden. Jede Einwanderung sollte unterbunden werden.

Der Einfluss des bereits bekannten Ingenieurs Gottfried Feder, der mit seiner Forderung nach «Brechung der Zinsknechtherrschaft» von sich reden gemacht hatte, zeigte sich in den sozialistisch klingenden, damals recht populären Programmpunkten: die «restlose Einziehung aller Kriegsgewinne» und die Verstaatlichung der Grossunternehmen sowie die Gewinnbeteiligung für Arbeiter, der Ausbau der Altersversorgung und – als Lockmittel für den Mittelstand – die Kommunalisierung der grossen Warenhäuser. Was in diesem Gemisch einander widersprechender Vorstellungen nicht fehlen durfte, war die Forderung nach Beseitigung der eben erst geschaffenen Weimarer Demokratie und stattdessen der Schaffung einer autoritären «Volksgemeinschaft».

Hitlers Anteil am Programm der Veranstaltung vom 24. Februar 1920 war – obwohl später propagandistisch verklärt – unklar bis gering. Viel wichtiger war sein Beitrag zum visuellen Werbeprogramm der NSDAP, an dessen Vervollkommnung der Opernfreund und verhinderte Bühnengestalter immer weiterarbeiten würde. Mit roten Werbeplakaten wollte er besonders auffallen und zugleich den sozialistischen Gegner reizen.

Die Farben des Reiches

In der neuen Parteifahne, der Hakenkreuzfahne, wurden Elemente der Tradition und der Revolution verbunden. Erinnerte doch Schwarz-Weiss-Rot an die alten Reichsfarben, der dominierende rote Grund nahm hingegen Anleihe bei den Farben der revolutionären Arbeiterbewegung; das Hakenkreuz stammte aus dem völkisch-antisemitischen Symbolhaushalt und war in München bis dahin von der völkischen Thule-Gesellschaft, einer Keimzelle der DAP, verwendet worden. Hitler verstand es als Symbol für den Kampf und den Sieg des «arischen Menschen»: Es sollte den Anhängern immer wieder das Kernelement der NS-Ideologie vor Augen führen – den «Rassenantisemitismus».

Nach der Kundgebung vom 24. Februar 1920 häuften sich die Veranstaltungen der NSDAP; manchmal hielt Hitler gleich mehrere Reden an einem Abend. Ab Ende März 1920 war er Berufspolitiker und war bereits zu einem Zuhörermagneten geworden, der regelmässig zwischen 800 und 2000 Menschen anzog; in den Circus Krone, den grössten Versammlungsraum in München, kamen sogar 6000 Besucher. Damit übertraf die NSDAP ihre Konkurrenz bei weitem, und Hitler galt nach einem Jahr als der «König von München».

Er wusste, dass er als Redner für seine Partei inzwischen unentbehrlich war, und konnte sein Publikum auch über zwei Stunden unterhalten. Das ersparte dem Autodidakten zudem längere Diskussionen. Hitler wirkte authentischer als andere, wenn er sich als Frontsoldat, blass und ausgehungert, auf der Rednertribüne mit Leidenschaft und voller Hass als jemand präsentierte, der sich mit dem Versailler Vertrag von den Siegermächten betrogen fühlte. Sein ehemaliger Vizefeldwebel aus Kriegstagen und späterer Geschäftsführer in der Parteiverwaltung, Max Amann, erkannte ihn kaum wieder: «Der Mann schrie, er führte sich auf, ich habe so etwas noch nie gesehen! Aber alle sagten: ‹Der Mann meint es ehrlich.›»

Gewalt statt Politik

In der ersten Parteikrise vom Sommer 1921, als es um Fragen von Organisation und Programmatik ging, konnte Hitler erfolgreich diktatorische Vollmachten beanspruchen. Nach nur einem Jahr war er der unbestrittene Führer; organisatorisch entwickelte sich alles in Richtung Führerpartei, in der Erwartungen an innerparteiliche demokratische Willensbildung und Wahlvorgänge, wie sie in Vereinssatzungen vorgeschrieben waren, nur noch das Hohngelächter der vorwiegend männerbündischen Versammlungen hervorriefen. Organisation und Propaganda der Partei folgten seitdem mehr und mehr dem Führergedanken. Politik wurde seit der Gründung der SA, der künftigen Parteiarmee, durch Gewalt ersetzt.

Mit der innerparteilichen Machtübernahme im Sommer 1921 entstand auch der Führermythos um Hitler. Die Bezeichnung «Vorsitzender» verschwand, und die Clique, die sich um den «Führer» bildete, bemühte sich mit Erfolg, Hitler zunächst in der eigenen, sich bis 1923 kontinuierlich vergrössernden Partei und dann auch darüber hinaus als deutschen Messias beliebt zu machen. Der Versuch, den Agitator zu einer Heilsfigur zu stilisieren, wäre indes erfolglos geblieben, wenn Hitler nicht über Eigenschaften verfügt hätte, die es ihm erlaubten, in diese Rolle zu schlüpfen. Dazu gehörte vor allem das Charisma seiner Rede mitsamt ihren performativen, theatralischen Effekten; die scheinbare Glaubhaftigkeit, mit der er seine Botschaft von nationaler Misere und nationaler Grösse, von völkischer Geschlossenheit und von Heroismus immer wieder vortrug.

Politisch-programmatischer Vertiefung und praktischer politischer Erfahrung bedurfte es dazu nicht. Wichtiger war, dass Hitler eine Anhängerschaft fand, die dieselben Ängste und Erwartungen hegte, wie er sie vermittelte. Zu dieser charismatische Fähigkeiten eines «Führers» versprechenden Verheissung gehörte überdies eine charismatische Gefolgschaft – ein Kreis von Jüngern und Propagandisten, die Hitler mit der Hilfe von Förderern und Gönnern, aber auch durch die eigene Agitationskraft um sich scharte. Erst diese Kombination erklärt die Massenwirksamkeit Hitlers und dessen Aufstieg vom «Trommler» zum «Führer».

Die Wirkung lässt sich an der Mitglieder- und Wählerentwicklung der NSDAP ablesen, die trotz vielen Rückschlägen – und das heisst umgekehrt: trotz vielen Chancen auf ein Aufhalten der verhängnisvollen Bewegung – schliesslich profitierte von der Verheissung auf Kampf und Entschlossenheit. Die von Hitler forcierte Substitution von Politik durch Gewalt bestimmte bald nicht nur die Mentalität des harten Kerns der Parteigefolgschaft, sondern war in einer krisengeschüttelten Gesellschaft zunehmend auch «hoffähig», was ein eindeutiges Alarmzeichen für den drohenden Zerfall einer demokratischen Kultur darstellt.

Der Untergang bzw. die Selbstpreisgabe der Weimarer Republik beruhte letztlich auf Verführung und Gewalt, auf Hass und Ausgrenzung, auf Mitmachbereitschaft und Opportunismus. Dieses politische Lehrstück für das Scheitern einer politischen Massendemokratie gilt auch hundert Jahre nach der unscheinbaren Gründung einer Kampf- und Glaubensbewegung, die in relativ kurzer Zeit und mit beinahe atemberaubender Geschwindigkeit zu einer verbrecherischen Organisation wurde.

Hans-Ulrich Thamer ist emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Münster. 2018 publizierte er das Buch «Adolf Hitler – Biografie eines Diktators», im März erscheint «Die NSDAP – von der Gründung bis zum Ende des Dritten Reiches» (beide C. H. Beck).

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