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Eine Insel im Schatten des Terrors – ein Foto-Tableau von Alex Kühni

Die philippinische Insel Mindanao trägt den Beinamen «Land der Verheissung», heute ist sie aber einer der gefährlichsten Orte der Welt. Die Bilder des Berner Fotojournalisten Alex Kühni zeigen eine von Terror und Gewalt geprägte Insel.

Kathrin Klette, Gilles Steinmann
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Im tiefsten Dschungel der philippinischen Insel Mindanao sichert ein Soldat den Ort, an dem vor drei Jahren ein grausames Verbrechen stattgefunden hat. Im August 2017 ermordeten dort Mitglieder der New People’s Army (NPA), dem militärischen Flügel der Kommunistischen Partei der Philippinen, drei Männer: einen früheren Polizisten, einen Soldaten und einen Stammesführer. Laut Angaben der philippinischen Armee hatten rund 30 bewaffnete Mitglieder der NPA die Männer, die alle miteinander verwandt waren, gekidnappt und in die Berge der Provinz Bukidnon gebracht.

Sie zwangen die drei zunächst, ihre eigenen Gräber zu graben, dann wurden sie erschossen. Genau zwei Jahre später, im August 2019, ist der Berner Fotojournalist Alex Kühni nach Mindanao gereist, um einen Einsatz der Armee gegen die Rebellen zu begleiten. Kurz zuvor war der Ort, an dem die drei Männer vergraben worden waren, durch Verhöre von früheren NPA-Mitgliedern lokalisiert worden. Mit etwa 40 bewaffneten Soldaten fuhr Kühni mitten in der Nacht los, in zwei Lastwagen ging es über holprige Strassen. Als ein Fahrzeug bei einer Flussüberquerung stecken blieb, ging es drei Stunden zu Fuss weiter, teilweise durch hüfthohes Wasser.

Den Ort, der auf dem Foto zu sehen ist, erreichten sie gegen Mittag. Mehrere Soldaten sicherten die Stelle gegen alle Seiten ab. Kurz danach stellte der Funker Kontakt zu einer nahen Militärbasis her, um Verstärkung und ein Team von Kriminologen für die Exhumierung der Skelette anzufordern.

Eine zerstörte Tankstelle in der Stadt Marawi. Das Bild, sagt Kühni, stehe stellvertretend für die Zerstörung der Häuser dieser Stadt. Am 23. Mai 2017 wurde Marawi von Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erobert. Zu ihnen gehörten Kämpfer der Maute, einer lokalen Gruppe im Umfeld des IS, sowie Mitglieder der Organisation Abu Sayyaf, die seit 1991 im Süden der Philippinen aktiv ist. Ihr Ziel war es, in Marawi ein Kalifat zu errichten. Insgesamt dauerte der Kampf zwischen den Islamisten und der philippinischen Armee, auch «Schlacht von Marawi» genannt, fünf Monate; er gilt als längste städtische Schlacht in der jüngsten Geschichte des Inselstaates. Mehr als tausend Personen kamen ums Leben.

Durch Fliegerbomben, die die Armee zur Befreiung der Stadt einsetzte, und Sprengsätze, mit denen die Islamisten ganze Strassen durchzogen, wurde die Innenstadt von Marawi weitestgehend zerstört. Die meisten Häuser, Moscheen und Geschäfte sind durch die Einschüsse wie von einem pockennarbigen Muster überzogen. Alle der mehr als 200 000 Einwohner hatten Marawi damals verlassen müssen. Da die Stadt noch heute voller Blindgänger ist, wurde sie zur militärischen Sperrzone erklärt. Für die früheren Einwohner ist an eine Rückkehr nicht zu denken. In den leeren Wohnungen, das hat Kühni beobachtet, vermodern nun ihre Bücher, Matratzen und Möbel.

Diese Gruppe Schamanen vom Stamm der Ata Manobo hatte sich Kühni und den Soldaten der Armee angeschlossen, als diese im Sommer 2019 die Stelle erreicht hatten, wo die Überreste der drei ermordeten Männer exhumiert werden sollten. Die Ata Manobo zählen zu den mehr als hundert indigenen Volksgruppen, die noch auf den Philippinen leben. Die Schamanen hätten zunächst den Boden gesegnet, damit die Geister der Männer bei der Exhumierung nicht gestört werden würden, erzählt Kühni. Anschliessend opferten sie drei Hühner über den Gräbern. Für die Familien der Ermordeten bedeutete die Exhumierung das Ende einer langen Ungewissheit. Sie konnten nun endlich ihre Verwandten bestatten.

Laut Uno-Angaben sind noch immer 66 000 Menschen offiziell obdachlos, die 2017 wegen der «Schlacht von Marawi» flüchten mussten. Die meisten von ihnen sind bei Freunden oder Verwandten untergekommen. Mehr als 10 000 Menschen leben in Flüchtlingscamps. Eines von ihnen war «Sarimanok 2», wo bis Ende Januar 2020 etwa 2000 Flüchtlinge lebten. Laut Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR wurden am 25. Januar die letzten der dort lebenden Familien in ein Übergangslager umgesiedelt. Das Bild stammt aus dem Jahr 2019. Kühni hatte in dem Lager prekäre Bedingungen vorgefunden. Die Zelte hätten grosse Risse aufgewiesen und seien von Schimmel befallen gewesen, sagt er. Eine Rückkehr nach Marawi liegt für die ehemaligen Bewohner in weiter Ferne. Der Wiederaufbau der Stadt geht nur schleppend voran.

Als Kühni im August 2019 auf Mindanao die Soldaten der Armee begleitete, schloss sich ihnen dieser Stammeskrieger an. Laut Kühni kennen diese Männer die Gegend und agieren als Führer für die Soldaten. Mindanao ist die südlichste Inselgruppe der Philippinen. Wegen ihrer vielfältigen Natur, der Vulkane, der langen Strände und der zahlreichen Bodenschätze trägt sie den Beinamen «Land der Verheissung». Dennoch ist Mindanao kein Touristenziel. Die jüngste Geschichte der Insel ist von bewaffneten Konflikten, Terroranschlägen und Geiselnahmen geprägt. Mit zwanzig Prozent stellen Muslime eine Minderheit. Die meisten von ihnen leben im Süden, wo es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und der Armee kommt und wo auch die islamistische Terrormiliz Abu Sayyaf aktiv ist. Zwischen 2015 und 2018 dokumentierte Kühni schon den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Irak. In beiden Ländern habe er das Vorgehen der Armeekräfte als verzweifelt erlebt, sagt er. Eine Befreiung vom Terror der Islamisten sei möglich, aber nur unter der Bedingung der weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur.

Bilder Alex Kühni

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