Villen: Sie sind auch ein Produkt von Seuchen und Pest

Die Seuche produzierte nicht nur Tod und Verderben, sondern brachte auch die Villa hervor

Als sichere Fluchtburg in Zeiten der Pest erst etablierte sich das herrschaftliche Wohnhaus. Plausch und Erholung waren nur die Nebensache.

Britta Hentschel
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Die Villa Foscari von Andrea Palladio auf der Terra ferma von Venedig ist die Antwort der Renaissance auf die Dichte der Städte. Der Beiname der Villa, «Malcontenta» – «die Unzufriedene» –, stammt bereits aus dem Jahr 1431.

Die Villa Foscari von Andrea Palladio auf der Terra ferma von Venedig ist die Antwort der Renaissance auf die Dichte der Städte. Der Beiname der Villa, «Malcontenta» – «die Unzufriedene» –, stammt bereits aus dem Jahr 1431.

Imago

«Ich bin gestern in Careggi angekommen, nicht um meine Felder zu pflegen, sondern meine Seele», so beschrieb Cosimo de’ Medici um 1440 seine Beweggründe, eine seiner Villen vor den Toren von Florenz aufzusuchen. Damit legte er einen wichtigen Grundstein für die Villenbegeisterung und Villenrezeption von Generationen und prägt bis heute unsere Wahrnehmung der Renaissancevilla entscheidend mit.

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Rund um Florenz wurde im 15. Jahrhundert die antike Villenkultur wiederbelebt, und jeder Bankier, reiche Händler oder Staatsmann investierte in eine elegante Bleibe ausserhalb der Stadtmauern. Inspiriert wurden die Bauherren und ihre Architekten von den opulenten und detailreichen Villenbeschreibungen von Plinius dem Jüngeren aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Im Sinne des ciceronischen Topos «otium cum dignitate», die würdevolle Musse, widmeten sich die Wirtschaftsbosse und Politiker der Renaissance fernab der Stadt in gepflegten Gartenanlagen und zart ausfreskierten Loggien antiker Literatur, Kunst und Philosophie. Hier reflektierten sie im Kreise der Intellektuellen ihrer Zeit über ein gelingendes Leben und die beste Staatsführung oder liessen sich mit Geschichten und Aufführungen unterhalten, wie es Boccaccio bereits in seinem Dekameron beschreibt.

Cosimo de’ Medici schenkte dem führenden Florentiner Humanisten, Philosophen und Arzt Marsilio Ficino gar 1463 ein Landhaus in Careggi, um ihn immer in seiner Nähe zu wissen. Die berühmte Platonische Akademie, die Ficino im Auftrag Cosimos in Careggi unterhalten haben soll, entspricht wohl eher einer Wunschprojektion des 17. Jahrhunderts. Gleichwohl verdichtete sich die Villa über Jahrhunderte zu einem idealen Ort des Gedankenaustausches und der Kunstbetrachtung in arkadischer Umgebung. Auch in jeder modernen Villa entlang des Zürichsees schwingt dieser Anspruch noch leise als Urtext mit.

Die Villenbegeisterung geht um

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Allein über die Begeisterung für Philosophie und Kunst als Gegengewicht und Ausgleich zum knallharten Alltag in Wirtschaft und Politik lässt sich die Villenbegeisterung im 15. und 16. Jahrhundert in Italien nicht verstehen. Über 600 Villen und villenartige Gebäude zählte man in der Renaissance allein in der näheren Umgebung von Florenz. Die Villa als Pendant zum Palazzo in der Stadt war also ein Massenphänomen, das sich auch Apotheker, reiche Handwerker und erfolgreiche Künstler zu leisten wussten. Repräsentationsansprüche und Statusdenken kamen fraglos hinzu. Ebenso bildete die Villa die wirtschaftliche Basis des umfangreichen, modern kapitalistischen Bankensystems. Mit der Möglichkeit der Belehnung von Grund und Boden wurde dessen Grundlage geschaffen und die Anteilscheine der Florentiner Banken erst erfunden.

Villa und Garten werden auch gerne als Zeichen bürgerlich-republikanischer Freiheiten, als Ausdruck einer Kultur der bürgerlichen Emanzipation verstanden. Das ist sicher ebenfalls keineswegs falsch. Zudem waren die Villen bis ins 19. Jahrhundert landwirtschaftliche (Gross-)Betriebe, die im Halbpachtsystem die Versorgung der Besitzerfamilie mit Lebensmitteln rund ums Jahr garantierten. Dies konnte im Seuchenfall entscheidend sein.

Erschüttert von der Seuche

Zwischen 1347 und 1351 fegte die Pest durch Europa. Innerhalb von nur vier Jahren erlagen ihr 75 bis 80 Millionen Menschen, was etwa einem Drittel der damaligen Bevölkerung Europas entspricht. Laut dem Medizinhistoriker Klaus Bergdolt stellt die Pest «einen der grossen europäischen Erinnerungsorte dar». Leiden, Verzweiflung, ein einsames und qualvolles Sterben, die Auflösung gesellschaftlicher Bindungen, der Verlust religiöser und weltanschaulicher Sicherheit, utilitaristisch begründete Freiheitsbeschränkungen sowie der mentale Ausnahmezustand erschütterten erst Italien und dann die übrigen europäischen Länder.

Aufgrund der raschen Ausbreitung der bakteriellen Infektion über Flöhe, die die Ratte als Zwischenwirt nutzten, aber dann auch per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch – analog zum gegenwärtigen Coronavirus – und aufgrund des Versagens der Legislative, der Exekutive und der caritativen Institutionen angesichts der Wucht der Epidemie sahen viele die Flucht aus den Städten als einzige verbleibende Option zum Schutz vor der Krankheit an.

Auch Galen, der berühmte Arzt der Antike, dessen von der «Vier-Säfte-Lehre» abgeleitete Miasmen-Theorie, die Winde und Feuchtigkeit für die Ausbreitung der Pest verantwortlich machte und die nach wie vor galt und die Medizin in Europa über Jahrhunderte in die Irre leitete, hatte im Jahr 166 n. Chr. wegen der Antoninischen Pest Rom verlassen.

Todesstoss für die Stadt

Zivilisationsbrüche im Sinne von Norbert Elias begleiten unberechenbare, tödliche Epidemien fast regelmässig. In den 1350ern versetzte der Schwarze Tod der spätmittelalterlichen Aristokratie der toskanischen Städte den Todesstoss und führte zum Aufstieg neuer staatstragender Gruppen wie der Zünfte, der Handwerker und der Bankiers – allen voran die Medici. Und diese setzten auf Prävention: Als Reaktion auf die Pest, die ihren Aufstieg überhaupt erst ermöglicht hatte, kauften die Medici eine Villa in Cafaggiolo, nördlich von Florenz nahe dem Lago di Bilancino.

Die mittelalterliche Herkunft der Villa Medici in Cafaggiolo ist unverkennbar: Zinnenbekrönte, dicke Mauern und Wehrtürme bieten Schutz, während die landwirtschaftliche Nutzung des Umlands das Überleben sichert.

Die mittelalterliche Herkunft der Villa Medici in Cafaggiolo ist unverkennbar: Zinnenbekrönte, dicke Mauern und Wehrtürme bieten Schutz, während die landwirtschaftliche Nutzung des Umlands das Überleben sichert.

Museo di Firenze com’era

Optisch noch weit von den späteren lichten und luftigen Renaissancevillen entfernt, ist Cafaggiolo vielmehr ein mittelalterliches Kastell, das im Seuchennotstand wie in politischer Bedrängnis als Fluchtburg dienen konnte und dank seiner Landwirtschaft Autarkie sicherstellte. Dass man sich an einem Ort wie diesem optimal die Zeit vertreiben konnte, hatte Boccaccio in seinem zurzeit viel zitierten Dekameron, dem Pestbuch schlechthin, entstanden zwischen 1349 und 1352, eindrücklich dargelegt. Sieben junge Frauen und drei junge Männer fliehen in ein Landhaus bei Fiesole oberhalb von Florenz und erzählen sich Frivolitäten, während in der Stadt die Pest wütet.

Erst kurz zuvor hatte es die fortschreitende Sicherung des Territoriums, also des Umlands, überhaupt erst möglich gemacht, relativ gefahrlos für Leib und Leben Besitzungen ausserhalb der sichernden Stadtmauer zu erwerben. Das Mittelalter über galt das offene Land als brandgefährlich, und in die Gefahr von Überfällen und Mord begab sich nur, wer das Reisen nicht umgehen konnte.

Gute Politik sichert auch den Genuss

Ein Jahrzehnt vor der grossen Pest hat Ambrogio Lorenzetti die Auswirkungen von guter und schlechter Regentschaft auf Stadt und Land eindrucksvoll in seinem Freskenzyklus im Palazzo Pubblico in Siena (1338/39) dargestellt: Die Tyrannis stürzt Stadt und Land in Krieg, Zerstörung und Krankheit, die gute Regierung aber sichert das Territorium. Landwirtschaft, Jagd und Handel können blühen.

Die reale, gute, das Umland sichernde Politik der Florentiner Republik ermöglichte ab dem 14. Jahrhundert auch den Erwerb und den Genuss von Landsitzen. Die Medici gingen hier strategisch vor: Die Villen der Familie entstanden aus alten Verteidigungsanlagen dort, wo es politisch ratsam erschien, präsent zu sein, in Grenznähe, zur Überwachung von Bodenschätzen und nahe bei den Verwaltungszentren für Landwirtschaft und Fischzucht – so auch die bereits erwähnte und besonders geschätzte Villa in Careggi.

Die grossen Umbauten und Ausgestaltungen im Sinne einer neuen, an das Formenvokabular der Antike anknüpfenden Renaissancearchitektur und die semantische Konnotation der Villen als Sehnsuchtsort erfolgten vor allem unter Cosimo de’ Medici und seinem Haus- und Hofarchitekten Michelozzo, der auch die Pfarrkirche der Medici, San Lorenzo in Florenz, – wenn auch nach Plänen des bereits verstorbenen Brunelleschi – ausbaute und den Familienpalazzo an der Via Larga schuf.

Das Hybrid der Renaissancevilla aus Schutzort bei Seuchen – die Pest kehrte alle zwanzig Jahre nach Florenz zurück und konnte daher mehrmals zur Lebenserfahrung einer Generation gehören –, Musseort, Ort landwirtschaftlicher Produktion und sozialer Repräsentation fand erst mit der Medici-Villa in Poggio a Caiano ab 1490 durch Giuliano da Sangallo zu einer vollkommenen architektonischen Durchgestaltung im Sinne der Renaissance.

Die Villa Medici in Poggio a Caiano, erbaut ab 1490 von Giuliano da Sangallo, öffnet sich erstmalig mit einem antiken Tempelmotiv über einer hohen Arkadenzone.

Die Villa Medici in Poggio a Caiano, erbaut ab 1490 von Giuliano da Sangallo, öffnet sich erstmalig mit einem antiken Tempelmotiv über einer hohen Arkadenzone.

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Und auch Palladios berühmte Villen im Veneto gehen auf eine grossangelegte Kampagne Alvise Cornaros Mitte des 16. Jahrhunderts zurück, das Hinterland Venedigs durch Kanalbauten zu entwässern, um so die gefürchtete Hitze und Feuchtigkeit als Infektionsgefahr für Mensch und Tier aus der Lagune zu vertreiben. Jene Kanalbauten sind es, die den Zugang zu den Villen per Boot von Venedig aus erst ermöglichten. Als wichtigste Handelsstadt und Warendrehscheibe des Mittelmeers war Venedig wie kaum eine andere Stadt von Seuchen und Epidemien betroffen. Allein zwischen 1348 und 1576 wurde es zwanzigmal von der Pest heimgesucht. Der Bedarf an Villen als Fluchtort in Zeiten des Schwarzen Todes war also beträchtlich!

Verdichtung pandemiekonform denken

Auch gegenwärtig, unter der Furcht vor der Krankheit Covid-19, haben sich viele Reiche in ihre Villen und Chalets zurückgezogen. Die Corona-Krise wirft damit auch die Frage auf, was die womöglich langanhaltende soziale Distanz mit dem Raum macht. Wie muss eine Stadt beschaffen sein, wenn sie Lebensqualität bieten möchte und Seuchenprävention betreiben soll? Eine Antwort auf die Spanische Grippe war das Neue Bauen mit seinen Prämissen Licht, Luft und abwaschbare Oberflächen. Doch was wird Covid-19 für Bürogebäude, den öffentlichen Verkehr, die Siedlungsdichte und die Landschaft bedeuten? Die Pest – und in ihrem Abgesang die Renaissance – führte zu einem neuen, veränderten Blick auf die Welt, auf Landschaft und Architektur. Diesen haben wir bis heute in weiten Teilen beibehalten, aber er genügt womöglich den derzeitigen Herausforderungen nicht.

Die durch erzwungene Gemeinschaftserfahrungen wie Militär, Lager oder Bunker geprägte Kriegsgeneration hatte nach 1945 genug vom kollektiven Raum. Der Wunsch nach einer heilen Welt, dem Rückzug ins Private, ins Apolitische, im besten Falle also ins Eigenheim ausserhalb der Stadt – die Miniaturvilla par excellence –, führte zu menschenentleerten, antiurbanen Räumen, zu exuberantem Individualverkehr und zur Verödung der Städte. Eine Wiederholung dieser Bewegung allerdings scheint im 21. Jahrhundert in Anbetracht der weitaus höheren Bevölkerungszahlen, der Raumknappheit und des sich vollziehenden Klimawandels wenig angebracht. Trotzdem müssen wir nun die angestrebte Innenverdichtung pandemiekonform überdenken.

Britta Hentschel ist promovierte Architektur- und Kunsthistorikerin und forscht zur Architektur der Armut, Seuche und Krankheit. Sie lehrt Architektur-, Kunst- und Städtebaugeschichte an der Universität Liechtenstein und ist im Schweizer Ortsbildschutz und in der Denkmalpflege tätig.