Klimawandel: Die Natur spielt mit – machtvoll und unberechenbar

Durch seinen ernüchternden Essay zur Unaufhaltbarkeit des Klimawandels zog der Schriftsteller Jonathan Franzen viel Kritik auf sich. Aber der wissenschaftliche Blick auf die Problematik zeigt: Franzen ist näher an der Wahrheit als seine Gegner.

Walter Hehl
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Nicht nur den Schweizer Skigebieten macht der Temperaturanstieg zu schaffen. Im japanischen Ski-Resort Aga stehen die Schneepflüge diesen Winter still.

Nicht nur den Schweizer Skigebieten macht der Temperaturanstieg zu schaffen. Im japanischen Ski-Resort Aga stehen die Schneepflüge diesen Winter still.

Carl Court / Getty Images AsiaPac

Im Sommer 2019 geriet der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen in Deutschland unversehens in einen Waldbrand. Die Gewalt des Feuers im ausgetrockneten Forst führte ihm die Dringlichkeit des Problems Klimawandel vor Augen; daraus entstand der unlängst bei Rowohlt erschienene Essay «Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?».

Franzen glaubt nicht mehr, dass die Zwei-Grad-Grenze für den Temperaturanstieg einzuhalten ist. Seine Argumentation ist vor allem politisch: Sämtliche Nationen müssten den Effort mittragen – ein Ziel, das kaum zu erreichen ist. Und auch die Bürger wollen keine drastischen Steuererhöhungen, keine Stilllegung moderner Kohle- oder Gaskraftwerke, keinen Verzicht auf Flugverkehr.

Unsicheres Kalkül

Aber die Lage ist noch ernster. Die Klimasimulationen sind keine harte, klare Wissenschaft wie die Bahnberechnung eines Planeten: Es sind komplexe Systemaufgaben zu lösen, bei denen sich zahlreiche Faktoren in der Atmosphäre, auf der Erdoberfläche und vor allem in den Ozeanen gegenseitig beeinflussen. Wenn Franzen sich über die quantitativen Werte der Simulationen hinwegsetzt, dann hat das angesichts der Schwierigkeit und Unsicherheit solcher Berechnungen eine gewisse Berechtigung.

Die Einhaltung der von den Experten vorgegebenen Klimaziele hält Franzen für unmöglich. Wäre es nicht besser, fragt er, sich auf die weitergehende globale Erwärmung einzustellen? Damit löste er eine Welle der Empörung aus, einen Shitstorm im Internet und Häme darüber, dass er es als Nichtwissenschafter wagt, zu sagen: Unsere Lage ist wahrscheinlich schlimmer, als ihr annehmt. Und: Eure Massnahmen sind gut gemeint, aber nahezu nutzlos.

Die übliche Vorstellung hinter unseren jetzigen Klimaschutzmassnahmen ist die folgende: hier Investition, dort die positive Auswirkung auf das Klima mit Verringerung des weiteren Temperaturanstiegs oder gar einer Reduktion der Temperatur selbst. Aber dies ist für die nächsten Jahrzehnte eine Illusion – der heutige Wert an CO2 in der Atmosphäre ist zu hoch und wird noch weiter wachsen. Man kann sich das globale Erwärmungsproblem nicht wie ein Heizsystem vorstellen, das man auf- und zudreht.

Zudem sind infolge der Erderwärmung natürliche Prozesse in Gang gekommen, die in die falsche Richtung gehen und die Erwärmung beschleunigen. In zufälliger Reihenfolge wären dies etwa:

  • Der Permafrost taut auf, die Tundren werden feuchter. Wasserdampf und Methan entweichen. Methan ist ein effizientes Treibhausgas. Auch die Gletscher schrumpfen, und das Meereis schmilzt. Dadurch werden die Erde und die Ozeane dunkler und absorbieren mehr Wärme.
  • Der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre steigt. Wasserdampf ist ebenfalls ein Treibhausgas.
  • Das wärmere Wasser der Ozeane kann weniger Kohlendioxid aufnehmen.
  • Durch das gelöste Kohlendioxid in den Ozeanen wird das Wasser saurer. Meeresorganismen produzieren dann weniger Dimethylsulfid, das weniger Aerosole (d. h. weniger Wolken) in der Atmosphäre erzeugt. Der Schutzschirm gegen das einfallende Sonnenlicht wird dünner.
  • Um die Wendekreise verstärken sich die Trockenzeiten, und damit breiten sich die Wüsten aus. Wald- und Savannenflächen gehen verloren.

Ich erwarte, dass sich die Liste verstärkender Klimaeffekte aus der Natur noch verlängern lässt. Dazu kommen menschengemachte Einflüsse wie das Roden weiterer Wälder, die weltweite Verstädterung und die wachsende Anzahl der wegen der globalen Erwärmung benötigten Klimaanlagen (die Heizungen können dafür zurückgedreht werden).

Verzicht allein hilft nicht

Dagegen steht zumindest ein Effekt, der mit höherer Temperatur immer stärker wird: die Abstrahlung von Energie ins All. Dadurch wird die Erdtemperatur gesenkt. Auch dieser Abstrahlungseffekt ist jedoch komplex zu bestimmen – er hängt von der Zusammensetzung der Atmosphäre ab und insbesondere auch von der zukünftigen globalen Bewölkung. Zwar dürfte der Effekt irgendwann so stark werden, dass er die Erwärmung aufhält – aber wann und bei welcher Temperatur der Erdoberfläche? Und wie sähe die Erde dann aus?

Man sieht angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe, verlässliche Prognosen für den Klimawandel zu erstellen, dass der skeptische Jonathan Franzen mit seinem Pessimismus durchaus nicht lächerlich ist. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, uns zu sagen, wie es weitergeht und ob allenfalls ein Effekt die Erwärmung aufhalten kann. Ein wenig Verzicht allein in den nächsten fünfzig Jahren kann dies nicht. Die diskutierten Klimaschutzmassnahmen tragen zu einer nachhaltigeren Welt bei, können aber nicht vor dem Klimawandel schützen.

Walter Hehl ist Physiker, Informatiker, Philosoph und Autor mehrerer Sachbücher.