Die Corona-Krise wird mit gigantischen Geldsummen bekämpft. Droht deshalb die grosse Inflation?

Regierungen und Notenbanken haben im Kampf gegen die Pandemie riesige Hilfspakete geschnürt. In naher Zukunft ist deswegen zwar kaum ein Hochschnellen der Inflation zu befürchten. Langfristig könnte die Geldschwemme aber gefährliche Folgen haben.

Thomas Fuster
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Die Erinnerung an hohe Inflationsraten verblasst. Zuletzt sorgte in den 1970er Jahren die Erdölkrise, auf die man mit autofreien Sonntagen reagierte, für Raten über 10%.

Die Erinnerung an hohe Inflationsraten verblasst. Zuletzt sorgte in den 1970er Jahren die Erdölkrise, auf die man mit autofreien Sonntagen reagierte, für Raten über 10%.

Keystone

Das Nachdenken über Inflation fühlt sich an wie das Sinnieren über Schreibmaschinen. Man weiss, dass es solche Apparate einmal gab, und auf dem Estrich liegt vielleicht noch ein Exemplar. Doch die Erinnerung, wie sich das Schreiben auf den Maschinen anfühlt oder wie sie tönen, verblasst von Jahr zu Jahr. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Inflation. Auch sie erscheint manchem Zeitgenossen bereits als Relikt aus längst vergangenen Tagen. So weist deren langfristiger Trend klar nach unten, und die Zahl jener Zeugen, die in den 1970er Jahren noch Raten von über 10% erlebten, wird von Jahr zu Jahr kleiner.

Erinnerungen an die Finanzkrise

Dieser Tage erinnert sich aber mancher Bürger an das Phänomen. Der Grund dafür ist die Corona-Pandemie beziehungsweise deren Bekämpfung. So haben in den vergangenen Wochen diverse Regierungen und Notenbanken gigantische Geldbeträge in die Hand genommen, um die ökonomischen Folgen der Krise abzufedern. Rund um den Globus wurden Hilfspakete geschnürt, wobei die Geldpolitiken schon vor der Krise sehr expansiv und die Haushalte vieler Staaten hoch verschuldet waren. Die Wirtschaft wird gleichwohl mit zusätzlicher Liquidität geschmiert.

Wenn etwas in grösserer Menge verfügbar ist, sinkt in der Regel der Preis. Das besagt das Gesetz von Ange­bot und Nachfrage. Es gilt für Früchte und Schrauben ebenso wie für Geld. Einige Ökonomen warnen daher vor einem steilen Anstieg der Inflation im Zuge der Corona-Krise. Ähnliche Stimmen waren indes auch in der Finanzkrise von 2008 zu vernehmen. Auch damals reagierten die Notenbanken und Regierungen mit sehr expansiver Politik auf die Herausforderung, und auch damals wurde ein Anziehen der Teuerung befürchtet. Zu markant höheren Preisen kam es dann aber nur bei den Vermögens­werten, etwa Immobilien und Aktien, nicht aber bei den Waren und Dienstleistungen.

Wie wird es dieses Mal sein? Niemand weiss es. Offenkundig ist aber, dass sich die Corona-Krise deutlich von der Finanzkrise 2008 unterscheidet. Zwei Unterschiede stechen ins Auge: Erstens kämpft die Wirtschaft derzeit gleichzeitig mit einem Angebots- und einem Nachfrageschock; sowohl die Produktion als auch der Konsum brechen also ein. Das ist deshalb aussergewöhnlich, weil zu Beginn einer Rezession zumeist nur die Nachfrage ein­bricht. Zweitens fliessen die vielen Hilfegelder momentan direkt in die Realwirtschaft, während jene Gelder, die zur Bekämpfung der Finanzkrise gesprochen worden waren, vorwiegend innerhalb des Finanzsystems verharrten.

Deflationäre Kräfte in kurzer Frist

Wenn das viele Geld nun direkt zu den Firmen und Haushalten fliesst, spricht dies für mehr Inflation, als wenn die Liquidität innerhalb eines einzelnen Sektors eingekapselt bleibt. Dennoch erscheint das Szenario rasch steigender Preise in der kurzen Frist als unwahrscheinlich. In den nächsten Monaten dürften vielmehr deflationäre Kräfte überwiegen. Der wichtigste Grund dafür ist der jüngst massiv eingebrochene Preis für Erdöl. Dieser Effekt verdrängt momentan alle anderen wirtschaftlichen Einflussfaktoren. Er war auch massgeblich dafür verantwortlich, dass die annualisierte Inflation im März in den OECD-Staaten so stark sank wie noch nie seit der Finanzkrise.

Für kurzfristig sinkende Preise spricht auch die sich eintrübende Stimmung bei den Konsumenten. In Zeiten grosser Verunsicherung halten sie sich mit Ausgaben zurück. Auch Unternehmen ver­schieben ihre Investitionen in die Zukunft. Die Nachfrage sinkt, die Lager füllen sich. Um dieser Zurückhaltung entgegenzuwirken, werden Preise gesenkt. Dieser Effekt wird noch verstärkt durch den Rückgang des Lohndrucks. Denn in einer Krise verfügen Arbeitnehmer oder Gewerkschaften über wenig Verhandlungs­macht. Wenn Fabriken geschlossen und Stellen gestrichen werden, pocht man nicht auf höhere Löhne. Höhere Saläre als Treiber von Inflation fallen also weg.

Doch gilt diese Beobachtung auch für die Corona-Pandemie? Zur Besonderheit dieser Krise zählt ja, dass das An­gebot an Gütern und Dienstleistungen nicht in gewohntem Mass verfügbar ist, sei dies aufgrund unterbrochener Lieferketten (den Firmen fehlt es an Vorprodukten) oder behördlicher Verfügungen (die Firmen müssen ihren Betrieb schliessen oder einschränken). Wenn nun das Angebot einbricht, müsste dies eigentlich zu einer Überschussnachfrage und somit zu steigen­den Preisen führen. Ein Unternehmen wäre demnach bereit, für wichtige Zulieferteile mehr zu zahlen, um die Produktion fortsetzen zu können. Und auch private Haushalte müssen für knapp gewordene Güter tiefer in die Tasche greifen.

Deglobalisierung als Kostentreiber

Ob es in absehbarer Zukunft wirklich zu einer Überschussnachfrage kommen wird, ist ungewiss. Vieles hängt davon ab, was sich schneller erholen wird: das Angebot oder die Nachfrage. Für Ökonomen, die mehr Inflation erwarten, ist die Sache klar: Sie argumentieren, die Reparatur komplexer Lieferketten benötige weit mehr Zeit als die Erholung der Nachfrage; dies auch deshalb, weil der Wohlfahrtsstaat vielerorts einen Teil der Einkommensverluste ausgleiche. Die Gegenthese lautet, dass die vielen Entlassungen und das Trauma der Pandemie die Stimmung derart verschlechtern, dass noch für lange Zeit mit einer schwachen Nachfrage und gedämpfter Preisentwicklung zu rechnen sei.

Für langfristig steigende Preise spricht derweil der Gegenwind, der der Globalisierung entgegenbläst. Die Corona-Krise hat vielen Unternehmen die Verletzlichkeit weltumspannender Wertschöpfungsketten vor Augen geführt. Besteht die Reaktion dieser Firmen nun darin, wieder einen grösseren Teil der Vorprodukte selber herzu­stellen oder aus der Nachbarschaft (statt aus China) zu beziehen, ginge dies wohl mit höheren Produktionskosten einher. Auch die Abstützung auf breiter diversifizierte Lieferanten oder eine wieder etwas grosszügigere Lagerhaltung hätte wohl inflationäre Wirkung, sofern es gelingt, die Mehrkosten auch auf die Kunden zu überwälzen.

Und wie steht es mit der Geldpolitik? Werden die Geldschwemme und die noch tiefer gesunkenen Zinsen die Inflation irgendwann anheizen? Staatsgläubige Ökonomen wie Paul Krugman argumentieren, die Geldmenge habe kaum noch Einfluss auf die Inflation; die Furcht vor einer höheren Teuerung sei also unbegründet. Aus der Wirtschaftsgeschichte weiss man aber, wohin es meist führt, wenn Notenbanken während sehr langer Zeit sehr expansiv agieren und dabei selbst vor der (direkten oder indirekten) Finanzierung der Staatsausgaben nicht zurückschrecken, wie neuerdings auch in den USA oder im Euro-Raum der Fall: Die Folgen sind ein Verlust von Vertrauen in die Währung und ein Anspringen der Inflation.

Die Lehren der Wirtschaftsgeschichte

Der Ökonom Peter Bernholz zeigt in einem 2003 erschienenen Buch, dass allen 29 bekannten Hyperinflationen der Wirtschaftsgeschichte ein übermässiges Haushaltdefizit vorausging, das finanziert wurde durch Geldschöpfung. Gut möglich, dass dieses Mal alles anders ist und die derzeit stattfindende Vermischung von Geld- und Finanzpolitik zu keinen inflationären Fieberschüben in langer Frist führen wird. Doch die populäre Begründung «this time is different» fusste in den vergangenen Jahrhunderten selten auf solider Basis, wie Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart in ihrem gleichnamigen Buch über die grössten Wirtschaftskrisen der Geschichte zeigen.

Keine Sorgen wegen der Inflation muss man sich machen, wenn die nun ins System injizierte Liquidität nach Abklingen der Pandemie rasch wieder abgesogen wird. Dass dies geschehen wird, kann aber nicht vorausgesetzt werden. So zeigen die Jahre seit der Finanzkrise eine starke Asymmetrie der Finanz- und Geldpolitik: Wenn sich die Lage zuspitzte, wurde rasch zusätzliches Geld geschaffen. Wenn sich die Lage beruhigte, wurden die Stimuli nicht zurückgenommen. Ein Beispiel lieferte die Euro-Zone, wo trotz solider Konjunkturerholung eine Erhöhung der Zinsen immer wieder auf die lange Bank geschoben wurde, mit stets neuer Ausrede.

Auch in den kommenden Jahren dürfte der politische Druck hoch bleiben, die nun beschlossenen Unterstützungsmassnahmen möglichst lange fortzusetzen. Dass dies langfristig zu höherer Inflation führen könnte, dürfte manchem Politiker durchaus ins Konzept passen. Denn mit Blick auf die eigenen Chancen der Wiederwahl ist es weit bequemer, aufgetürmte Staatsschulden über eine Politik der Inflationierung abzubauen, als den unpopulären Weg zu gehen, die Staatsausgaben zu kürzen oder die Steuertarife zu erhöhen. Aufgrund dieses politökonomischen Anreizes ist die Gefahr gross, dass temporäre Hilfsmassnahmen zu dauerhaften Unterstützungen mutieren.

Die lange Frist hat keine Lobby

Droht im Zuge der Corona-Krise daher ein Hochschnellen der Inflation? In kurzer Frist wird dies kaum der Fall sein. In naher Zukunft wirken die preisdämpfenden Kräfte der Rezession und der tiefen Erdölnotierungen weit stärker. Auf lange Sicht gibt es indes durchaus Gründe, sich Sorgen zu machen über die Wertstabilität des Geldes. Doch die lange Frist hat in den Niederungen der Politik eine schlechte Lobby; das zeigen auch die Debatten zum Klimaschutz oder zur Reform der Vorsorgesysteme. Wenn sich zudem immer weniger Leute noch an eine Zeit mit rasch steigenden Preisen erinnern, erschwert dies die Sensibilisierung für die Inflationsgefahr zusätzlich.