Kolumne

Das Coronavirus, der «Kobra-Effekt» und warum ein Grossbrand droht, der nur schwer zu löschen sein wird

Die 2020er fangen katastrophal an – und eine Krise kommt selten allein. Das Coronavirus setzt prokrastinierte Probleme auf die Tagesordnung – gleichzeitig.

Milosz Matuschek
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Milosz Matuschek ist stv. Chefredaktor des «Schweizer Monat». Zuletzt veröffentlichte er «Kryptopia» und «Generation Chillstand».

Milosz Matuschek ist stv. Chefredaktor des «Schweizer Monat». Zuletzt veröffentlichte er «Kryptopia» und «Generation Chillstand».

Es ist schon jetzt ein «annus horribilis». Als wären Klima, Iran-Konflikt, Flüchtlingskrise oder Negativzinsen nicht schon genug gewesen, haben wir jetzt auch noch Covid-19. Und das Virus wirkt wie ein Katalysator. Aufgehäufte Probleme stehen nun gleichzeitig auf der Tagesordnung, es droht ein Flächenbrand.

Aus der Forstwirtschaft ist bekannt, dass wilde Wälder den künstlichen überlegen sind. Erstere kennen kleine Brände, die im Ökosystem temporal und beschränkt vorkommen, aber letztlich eingedämmt werden können. In Letzteren wird jeder kleine Brand verhindert, es wird interveniert und besser gewusst. Man verlagert den Moment der Wahrheit in die Zukunft. Zum Grossbrand, der dann nur noch schwer zu löschen ist. Australien konnte zuletzt ein Lied davon singen.

Seit Jahren verlagert die Politik die Probleme in die Zukunft. Das Gebot der Stunde war stets das möglichst komfortable Prokrastinieren der Probleme. Flüchtlingskrise? Erdogan macht den Türsteher. Drohende Rezession? Mehr Geld drucken, bis in den Negativzinsbereich. Daran hat sich auch in der Corona-Krise nichts geändert. Die Politik fährt auf Sicht und versucht dadurch Stärke zu simulieren, dass sie versäumte Krisenvorsorge durch immer brachialere Freiheitsbeschränkungen überdeckt. Doch die Prokrastination von Problemen ist immer ein Bumerang: Was auf die lange Bank geschoben wurde, kommt jetzt im Zeitraffer zurück.

Der Online-Gigant Amazon wird in der Coronakrise auf dem Rücken von Einzelhändlern - und seinen Mitarbeitern - nun noch mächtiger.

Der Online-Gigant Amazon wird in der Coronakrise auf dem Rücken von Einzelhändlern - und seinen Mitarbeitern - nun noch mächtiger.

Jeenah Moon / Reuters

Die Corona-Krise verdichtet und konzentriert gerade so ziemlich alles: Aufmerksamkeit, Zeit, Geld, Macht. Das Virus verlangt nach sofortigen Entscheidungen und ermöglicht zugleich eine ungeahnte Machtfülle – ein Trend, der sich ohnehin schon seit Jahren abzeichnet.

Wir befinden uns nicht erst seit dem Coronavirus in Zeiten einer Refeudalisierung, durch welche Macht, Geld und Entscheidungsbefugnisse in immer weniger Hände geraten. Staatliche Akteure regieren jetzt per Notstandsrecht durch. Der Online-Gigant Amazon wird auf dem Rücken von Einzelhändlern nun noch mächtiger. Dank Bail-outs und staatlichen Unterstützungsleistungen geraten Unternehmen in den Traktorstrahl des Staates, der dadurch seine dirigistische Wirtschaftspolitik in Zukunft noch leichter wird durchsetzen können. Der Bürger sitzt derweil im Wohnungsknast mit täglichem Freigang und darf dabei seine Fussfessel, pardon, sein Handy orten lassen.

Es gehört leider zu den schlechten menschlichen Eigenschaften, dass man einmal eingeschlagene Wege nur ungern verlässt, auch wenn sie unweigerlich auf eine Klippe hinführen. Gelang es schon bisher nicht, Geldpolitik, Überwachungsstaat und Refeudalisierung einzudämmen, gelingt es jetzt noch weniger. Denn in Zeiten akuter Krisen übersteigen Probleme die Lösungskapazitäten der Beteiligten schnell. Es droht ein sogenannter «Clusterfuck». Mit diesem Begriff werden seit dem Vietnamkrieg ausweglose Situationen beschrieben, in welchen alles schiefzugehen scheint. Ungelöste Probleme entladen sich im ungünstigsten Moment, und hastig improvisierte Lösungen gebären neue Probleme.

Ein Beispiel dafür ist der «Kobra-Effekt». Ein britischer Gouverneur hatte im Indien der Kolonialzeit einmal die Idee, einer Kobraplage durch ein Kopfgeld auf Kobras Herr zu werden – was dazu führte, dass Menschen Kobras züchteten. Passiert durch grosszügige Rettungsversprechen vonseiten des Staates nicht gerade dasselbe, siehe zum Beispiel Adidas? Es wird gerade ein Anreiz dafür gesetzt, sich für bedürftig zu erklären. Je mehr vermeintliches Freibier es gibt, desto leichter fällt eben so manchem auf, dass man durstig ist – oder es bald sein könnte.

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