Zeit-Community, Vorhang und Schluß

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Gestern kündigte Sebastian Horn, der leitende Community-Redakteur bei Zeitonline, ein nach reiflicher Überlegung beschlossenes, neues Leserartikel-Projekt an: der nach dem Relaunch im September 09 bereits verordnet ordnungslose, verschämt versteckte Leserblog wird nämlich heute dicht gemacht.

Interessant daran ist die Weise, wie er die endgültige Aufhebung von Pluralität und Spontanität als Innovation und Maßnahme zur Qualitätssicherung zu verkaufen versucht. Man wolle nämlich die guten Leserartikel endlich besser präsentieren - sie werden in Zukunft neben unseren Redakteuren, im selben Layout, redigiert, rechtschreibüberprüft, bebildert und im thematisch passenden Ressort auf der reichweitenstarken Homepage von Zeitonline erscheinen.

Heißt im Klartext: ab heute ist es nicht mehr möglich, selbst Artikel zu veröffentlichen, sondern das hat bei der Redaktion beantragt zu werden. Wo sie politisch überprüft, mundgerecht zurecht gestutzt, von allen E cken und Kanten befreit und in einem weit geringeren Umfang als bisher vielleichtvielleicht im redaktionellen Teil veröffentlicht werden. Zeilenhonorar ist zugunsten dieser Ehre selbstredend ganz überflüssig, es wird aber ein symbolisches Dankeschön für jeden veröffentlichten Text geben. Mehr dazu verraten wir morgen. (also heute Kinder, wird's was geben ...;-)...) Das reiche ich noch nach, sobald es online ist.

Auch die Kommentare werden nun der Diskussionen verunmöglichenden 1500-Zeichen-Begrenzung unterliegen, was ebenfalls als Gewinn vakooft wird: an den Kommentarbereichen wird sich mit dem Start des neuen Leserartikel-Projekts nichts ändern. Der einzige (positive) Unterschied wird sein, dass zukünftig auch unter Leserartikeln alle Kommentarfunktionen (empfehlen, als bedenklich melden, etc.) zur Verfügung stehen werden.Ist das nicht putzig? Die haben es in gut eineinhalb Jahren nicht auf die Reihe gekriegt, eine simple Antwortfunktion im Leserblog einzurichten, also einen kleinen Teil der technischen Verschlimmbesserungen wieder zurück zu nehmen - als Ersatz dafür werden nun Leserfleißkärtchen und -denunziationen angeboten.

Die Kirsche auf dem Kuchen ist aber, daß das Konzept vollkommen aufgeht, sichtbar an den Reaktionen der Mehrheit der noch verbliebenen Leserblog-Nutzer. Kaum jemand scheint überhaupt zu begreifen, daß das der finale Kehraus für die ehemals lebendige, vielfältige und interessante Zeitcommunity ist. Es wird auch offenbar nicht erfasst, daß das neue Leserartikel-Projekt nicht wirklich neu ist, sondern genau der biedermeierlichen Lösch- und Sperr-Praxis seit Relaunch 09 logisch entspricht. Die Nutzer haben sich offenbar so an die per Ordre de Mufti verfügte Desorganisation gewöhnt, daß nun in erster Linie die Eitelkeiten der eigenen Ergüsse (mit und ohne Reim) der Redaktion auf peinliche Weise angedient werden. Na, wenn da nicht mal schwere Entäuschungen voraus sind!

Die Unfähigkeit der verbliebenen Nutzer zu ein ganz klein bißchen Loyalität untereinander oder gar zu Solidarität mit zu Unrecht, nämlich unter politischer Zensur und gegen jede Netiquette entsorgten Nutzern zeigte sich ja bereits seit längerer Zeit, was mich persönlich zum Abschied aus der Restcommunity veranlaßte. Daß aber der neue Kakao, durch den die Nutzer dort gezogen werden, nicht nur erklärtermaßen bereitwillig getrunken, vorauseilend für wohlschmeckend befunden, sich artig dafür bedankt, sondern sogar um mehr gebettelt wird - das hat mich am Ende nun doch überrascht.

Ach Du liebe Zeit!

Danke an alle Teilnehmer dort, die mir früher mal Erkenntnisse und Augenöffner beschert haben. Und willkommen an alle, die sich nun wohl beim Freitag einfinden werden.

Lieber Jakob Augstein, liebe Freitag-Redaktion, bitte sehen Sie genau hin, was Zeitonline seit gut eineinhalb Jahren macht. Genau das sollten Sie bei Ihrem Relaunch besser vermeiden. Das geht los bei den schönfärberischen Lügen von Wolfgang Blau bis in den Bundestag hinein, geht weiter über die Verwechslung von proklamiertem Anspruch und Realität und hört bei der Sprachlosigkeit seitens der Redaktion gegenüber den Nutzern noch lange nicht auf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

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