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"Digitale Gesellschaft" Schöne Grüße, Ihre Internet-Lobby

Es geht auch professionell: Ein neuer Verband will die Anliegen der Internet-Aktivisten mit mehr Nachdruck und Kontinuität in die Politik tragen. Bei der "Digitalen Gesellschaft" dürfen alle mitmachen - aber nur wenige entscheiden.
Lobbyist Markus Beckedahl: Schlanke Kampagnen-Organisation für Netzthemen

Lobbyist Markus Beckedahl: Schlanke Kampagnen-Organisation für Netzthemen

Foto: dapd

Berlin - Der vorerst erfolgreiche Protest von Internet-Nutzern gegen Netzsperren war mehr oder weniger ein Zufall. Keine Garantie, dass auch der nächste Angriff auf die Freiheit des Netzes abgewehrt werden kann - schließlich sind die Aktivisten schlecht organisiert, Riesenchaos statt Struktur. Die Netzpolitik-Szene: ein Club von Freiwilligen an der Belastungsgrenze.

Das alles sagt Markus Beckedahl nicht, als er am Donnerstag in Berlin auf der Blogger-Konferenz re:publica die " Digitale Gesellschaft " vorstellt. Aber er deutet es zumindest an, indem er den bisherigen Erfolg der Internet-Szene "erstaunlich" nennt und von einer Hundertschaft bestens bezahlter Industrievertreter berichtet, denen man in Berlin begegne.

Die Gründung der "Digitalen Gesellschaft" ist auf dem Treffen der 3000 Alphablogger und Twitterkönige die Nachricht schlechthin - obwohl der den Grünen nahestehende Beckedahl als Betreiber des Blogs netzpolitik.org ohnehin einer der Einflussreichsten von ihnen ist.

Das bedeutet viel Arbeit: Täglich werden er und seine Mitstreiter zu Veranstaltungen eingeladen, erzählt Beckedahl. Diskussionen, Anhörungen, Hintergrundgespräche - vieles davon müssen sie absagen, die Zeit reicht schlicht nicht aus. Denn für Politiker aller Parteien gehört es spätestens seit dem Erfolg der Piratenpartei zum guten Ton, sich netzpolitische Nachhilfe zu holen oder sich zumindest mit den Internet-Aktivisten öffentlich zu zeigen.

Weniger diskutieren, mehr machen

Also haben sie einen Verein gegründet, eine Website ans Netz gebracht und eine Praktikumsstelle ausgeschrieben. Es ist ein konsequenter Schritt, sich eine professionelle Struktur zu geben. Ein Ziel: die Arbeit auf mehreren Schultern zu verteilen, wenn möglich auch in Form von Arbeitsplätzen. Mit der "Digitalen Gesellschaft" wollen sie sich nun einmischen in den Politikbetrieb, wollen Gesetzesvorhaben zu Urheberrecht, Vorratsdatenspeicherung oder Netzneutralität kritisch begleiten - und Massenproteste organisieren, wenn nötig.

Sie, das ist eine Berliner Clique um Markus Beckedahl, insgesamt 15 Leute, auch aus dem Chaos Computer Club und dem Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung. Einige davon wollen lieber nicht mit ihrem richtigen Namen mit der "Digitalen Gesellschaft" in Verbindung gebracht werden - der Arbeits- oder Auftraggeber könnten etwas dagegen haben. Die kleine Truppe soll jetzt schnell Kampagnen auf die Beine stellen, sagt Beckedahl. Man habe keine Zeit, erst monatelang herumzudiskutieren.

In dem vollbesetzten Saal der Kalkscheune, einem Veranstaltungszentrum mitten in Berlin, ist wohl jedem klar, an wen sich dieser Seitenhieb richtet: die Piratenpartei. Die konnte ihren anfänglichen Erfolg bisher nicht in politisches Kapital umwandeln, sondern zerlegt sich in Selbstdebatten und geht mit Themen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen oder Gentechnik fremd.

"Wir haben keine Schlauchboote"

Mitglied werden kann man bei der "Digitalen Gesellschaft" vorerst nicht, nur Fördermitglied, also ohne großen Einfluss auf die Vereinsgeschicke. Wie es denn um die Transparenz bestellt sei, wie um die Beteiligung der Internet-Nutzer, wird Beckedahl gefragt. Schließlich sind genau das Themen, die von der Politik eingefordert werden. Wer legitimiert die Internet-Lobbyisten mit ihren Anliegen? An den Aktionen der "Digitalen Gesellschaft" könne man sich beteiligen - oder eben nicht, sagt Beckedahl. Man habe eben keine neue Partei aufstellen wollen.

Greenpeace steht Pate: Auch die Umweltorganisation verzichtet auf zu viel Basisdemokratie, kriegt dafür aber ordentlich was umgesetzt. Angesichts der bisher glücklosen Piratenpartei muss das keine schlechte Idee sein - und auch ohne "Digitale Gesellschaft" ist Beckedahl einer der ersten Ansprechpartner für Politiker und Medienvertreter, wenn es um das Internet geht. "Wir haben keine Schlauchboote", sagt Beckedahl auf den Vergleich mit den Umweltaktivisten angesprochen. Viel mehr Antworten gibt es nicht. Auch die Website hilft nicht weiter. Großspenden sind willkommen, immerhin das ist klar.

Die erste Mitmach-Kampagne zeigt zum Beispiel ein Portrait des derzeit wohl berühmtesten Raubkopierers. "Warum ist das Urheberrecht eigentlich so kompliziert?" steht neben dem Kopf des Ex-Ministers zu lesen, das Publikum johlt und applaudiert - ganz anders als bei der müden Keynote am Mittwoch, wo ein Mitarbeiter einer internationalen Agentur den Firmengründer als Visionär pries und das Prinzip AAL - andere arbeiten lassen - erklärte.

Für einen Augenblick sind sie wieder alle Anwesenden Teil einer Bewegung, die Internet-Generation, die das Netz gegen Übergriffe aus Wirtschaft und Politik schützen muss. Nur als Beckedahl darauf hinweist, dass die Gründung der "Digitalen Gesellschaft" bereits vor einem dreiviertel Jahr angestoßen wurde, fühlen sich etliche der überraschten Netz-Aktivisten noch etwas überraschter .