Die neue Weltsprache

Mit den Gesten für iPhone und iPad lässt sich nicht nur ein Betriebssystem steuern – es sind die Keime eines weltweit verstehbaren Zeichensystems. Und demokratische Zauberei.

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Von
  • Peter Glaser

Es ist so etwas wie die erste neue Sprache des transnationalen Zeitalters, in das uns das Internet und die mit ihm verbundenen Gerätschaften befördert: Die Fingergesten für iPhone und iPad sind weit mehr als nur Steueranweisungen für Apple-Gadgets. Sie sind die Vorboten einer neuen Verständigungsmethode, die schon jetzt überall auf der Welt verstanden wird. Noch ist das Vokabular sehr beschränkt. Aber es entwickelt sich – Tippen, Ziehen, Schubsen, Schieben, Strecken, Stauchen. Durch Wiederholungen, etwa zwei- oder dreimaliges Tippen und Kombinationen wird aus einem schlichten Grundbestand an Zeichen vulgo Gesten rasch ein wachsender Ausdrucksfächer. Gegenüber dem simplen Klick, Drag und Drop ist das ein bedeutender zivilisatorischer Fortschritt. Man möge bedenken, dass auch unser Alphabet nur aus 26 Buchstaben besteht, deren Kombinationsmöglichkeiten uns allerdings eine Unendlichkeit an Geschriebenem beschert.

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Es gibt sogar schon sowas wie Slangs, also nichtoffizielle Versionen der Gestensprache. Beim Sn0wbreeze-Jailbreak von iOS 4.3 (Beta) lassen sich beispielsweise die neuen, vierfingrigen Multitouch-Gesten aktivieren, die in den Testversionen des Betriebssystems enthalten waren, aber in der ausgelieferten Version wieder entfernt wurden (und mit denen man zwischen Apps hin- und herblättern kann). Und am Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken versucht man, auch die Kommunikation mit Autos per Fingergesten zu bewerkstelligen.

Heute ist noch ein wenig Phantasie nötig, um sich vorzustellen, mit welcher differenzierten Fingerfertigkeiten in einer nahen Zukunft kommuniziert werden wird. Ich meine, niemand konnte sich anfangs vorstellen, dass aus SMS mal ein ernsthaftes Kommunikationsmittel wird. Ich dachte selbst erst, dass Jugendliche – ständig das Handy vor den Augen und mit drei- und vierfach belegten Winztasten schnell wie Nähmaschinen am Buchstabenaneinanderreihen – damit Kontrollbotschaften von Außerirdischen empfangen ("bitte einen liter milch mitbringen. TÖTE DEN PRÄSIDENTEN!"). Und längst ist die nächst schwierigere, weil noch kürzere Kommunikationsform vom Stapel gelaufen, nämlich Twitter.

Dass eine Sprache, die von Außerirdischen gesprochen wird, heute übrigens bereits zur Qualifikation für einen Job gehören kann, zeigt auch, wie weit die Zukunft bereits von der Gegenwart eingeholt wurde: Anfang der achtziger Jahre hatten die Produzenten des Kinofilms "Star Trek III – Auf der Suche nach Mr. Spock" den Linguisten Marc Okrand engagiert, der für die nichtirdische Rasse der Klingonen eine eigene Sprache erschuf. 1985 veröffentlichte Okrand das "Klingon Dictionary" (das es inzwischen auch als App gibt). Vor einiger Zeit nun schrieb der sozialpsychiatrische Dienst im Bezirk Multnomah County im US-Bundesstaat Oregon eine Stelle für einen Betreuer aus, der fließend Klingonisch spricht. "Wir müssen die Sprache unserer Klienten sprechen", erklärte Jerry Jelusich aus der Personalabteilung des Dienstes, der sich um etwa 60.000 Patienten kümmert. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass einige von ihnen Klingonisch als ihre eigene Sprache ansehen und nur noch Klingonisch sprechen. Mit Hilfe des sprachkundigen Betreuers soll die Benutzung der kleinen Klingonisch-Englisch-Übersetzungscomputer überflüssig werden, mit denen man sich bisher behalf.

Die Apple-Gesten-Sprache wird die natürlichen Sprachen nicht ersetzen, aber wie eine Fremdsprache, die jeder versteht, den Austausch zwischen den Menschen verbessern. Konstruierte Sprachen, sogenannte Plansprachen, gibt es schon lange. Einige davon wie etwa die Gebärdensprache für Gehörlose, sind außerordentlich erfolgreich. Gebärdensprechende können sich, über herkömmliche Sprachgrenzen hinweg, Witze erzählen. Schon das ist ein nicht zu unterschätzender Fortschritt im Globalen Dorf. Andere, wie etwa das Esperanto, haben schwere Zeiten hinter sich – bis in die fünfziger Jahre wurden Esperantisten verdächtigt, Spione oder Freimaurer zu sein.

Ob man sich mal mit Applegesten Witze erzählen wird? Na klar. Menschen können auch in Programmiersprachen Liebeserklärungen oder Jokes abfassen, warum nicht in Gestensprache? Kein Lebewesen hat ein wendigeres Ausdrucksvermögen als der Mensch. Sagt der eine zum anderen <fuchtel><wisch><schrumpf>. Alle werden lachen, bis auf einen, der das politisch unkorrekt findet. (se)