Verhütung und Hartz IV:Schwanger aus Armut

Beratungsstellen schlagen Alarm: Frauen, die Hartz-IV bekommen, müssen Verhütungsmittel aus ihrem Regelsatz bezahlen. Doch viele können sich die Pille schlicht nicht leisten - und verzichten.

Charlotte Frank

Mit der Fruchtbarkeit lassen sich in Deutschland trefflich Geschäfte machen: Es gibt Tausende Frauen, die ein Kind bekommen wollen, aber nicht können, und Millionen, die könnten, aber nicht wollen. Experten schätzen, dass mindestens sechs Millionen Frauen täglich die Antibabypille schlucken. Es wären sogar noch mehr, wenn alle, die die Pille wollen, diese auch bekämen. Doch monatlich kostet sie bis zu 16 Euro. Für Hartz-IV-Empfängerinnen ist das unerschwinglich.

40 JAHRE PILLE IN DEUTSCHLAND

Vielen Hartz-IV-Empfängern ist die Pille zu teuer.

(Foto: EPD)

Bis zur Einführung der Agenda 21 bekamen bedürftige Frauen die Pille auf Rezept, seit 2005 ist damit Schluss. Nun müssen sie Verhütungsmittel aus ihrem Regelsatz bezahlen - und Beratungsstellen schlagen Alarm: Immer mehr ALG-II-Empfängerinnen verzichten darauf, die Pille zu nehmen. Die Folge ist eine drastische Zunahme ungewollter Schwangerschaften. Zuletzt veröffentlichte die Beratungsorganisation Pro Familia eine Umfrage aus Köln, wo die Zahl regelmäßig verhütender Hartz-IV-Empfängerinnen seit der Reform von 67 auf 30 Prozent gesunken ist.

Schon im Frühjahr warb das SPD-regierte Bremen deshalb dafür, bedürftigen Frauen die Pille kostenlos zukommen zu lassen - vergeblich. Nun, da die Regelsätze ohnehin neu verhandelt werden, hat Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD) einen zweiten Versuch unternommen. Über eine Bundesratsinitiative will er erreichen, dass Hartz-IV-Empfängerinnen die Pille nicht mehr aus eigener Tasche bezahlen müssen. In den vergangenen Tagen hat er in Berlin kräftig für diesen Vorschlag geworben. Alle SPD-regierten Länder unterstützen seine Initiative, "selbst die meisten CDU-Kollegen bestreiten das Problem nicht mehr", sagt Baaske.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zählt jedoch nicht zu diesen Kollegen. "Ihre Bewertung, dass Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II häufiger zu ungewollten Schwangerschaften tendieren, weil sie sich die Finanzierung von Verhütungsmitteln aus dem Regelsatz nicht leisten können, teile ich nicht", schrieb sie im März dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der sich in der selben Sache an sie gewandt hatte. Diese Einschätzung ist erstaunlich: Der aktuelle Regelsatz sieht für "individuelle Gesundheitsleistungen", von denen unter anderem die Praxisgebühr bezahlt werden muss, 15,55 Euro vor. Selbst ein billiges Präparat der Antibabypille kostet in etwa so viel wie dieser gesamte Posten.

Vereinzelt laufen deshalb schon Pilotprojekte, bei denen Hartz-IV-Empfängerinnen die Pille kostenlos erhalten. Flensburg etwa hat 2009 für etwa hundert Frauen 22.000 Euro ausgegeben. Auch Berlin zahlt Bedürftigen seit 2008 die Pille, dort schlägt dieser Posten aber mit 2,6 Millionen Euro zu Buche - dafür ist die Zahl der Abtreibungen in der Hauptstadt aber seit 2007 um vier Prozent gesunken. Im benachbarten Brandenburg, wo Minister Baaske nun für das gleiche Projekt auf Bundesebene wirbt, ist die Zahl um sieben Prozent gewachsen.

An diesem Punkt setzt Baaske an: "Jeder Schwangerschaftsabbruch kostet 500 Euro", sagt er, da ließe sich doch viel Geld sparen, das man in die Verhütung stecken könnte. Allein: Für die Pille müsste der Bund aufkommen, Abtreibungen zahlen die Länder. Am Ende läuft der Streit also auf eine Umverteilungsfrage hinaus. Solange die nicht geklärt ist, wird öffentliches Geld lieber in Schwangerschaftsabbrüche gesteckt als in die Verhinderung ungewollter Schwangerschaften.

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