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Befragen wir das Orakel von Abai

Freier Autor Geschichte
Eine sensationelle, späte Entdeckung: Deutsche Archäologen haben bei Kalapodi eines der wichtigsten griechischen Heiligtümer ausgegraben

Der Geschichtsschreiber Herodot nennt Abai in einem Atemzug mit Delphi und Dodona

Wanderer kommst Du nach Sparta ... - vom zeitgenössischen Dichter Simonides über Schiller und Göring bis zu Böll zieht sich die oszillierende Spur der drei Tage, an denen im Jahr 480 v. Chr. der Spartaner-König Leonidas mit dreihundert Landsleuten und vielleicht tausend griechischen Verbündeten am Thermopylen-Pass in Mittelgriechenland dem Heer der persischen Weltmacht widerstand. Er und seine Leute zahlten mit ihrem Leben und wurden zu Helden verklärt. Denn ihr Tod erscheint als der tragische erste Akt eines klassischen Dramas. Es folgen: Die siegreichen Perser ziehen nach Athen, zerstören die Stadt, werden im Sund von Salamis geschlagen. Am Ende steigt Athen zur ersten Macht von Griechenland und Wiege der klassischen Kultur der Griechen auf.

Doch so einfach, wie es sich der Neuhumanismus damit machte, war es wohl nicht. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot weiß mehr zu berichten. So seien die Perser nicht sofort nach Athen marschiert. Vielmehr stürmten ihre Reitertruppen geradewegs die Straße entlang, die an den Thermopylen beginnt und an dessen Ende das berühmte Orakel von Delphi liegt.

Es ist das Land der Phoker, Erbfeinde der Thessalier. "Die Perser machten alles zur Wüste", schreibt Herodot, darunter die Stadt Abai, wo sich "ein reicher Tempel des Apollon befand ... auch war dort damals wie auch jetzt noch ein Orakel". Im Gegensatz zu Delphi, das Apollon selbst mit Felswürfen gerettet haben soll, ging Abai in Flammen auf. Die Phoker, die am Anfang noch bei Leonidas gestanden hatten, mussten in der Entscheidungsschlacht 479 bei Plataiai im Heerbann des Großkönigs kämpfen - und verlieren.

Vielleicht ist das ein Grund, warum das Apollon-Orakel von Abai aus dem Gedächtnis der Nachwelt weitgehend verschwunden ist. Dabei nennt es Herodot in einem Atemzug mit den berühmten Heiligtümern von Delphi und Dodona in Epirus. Lange schon wurden die Ruinen bei dem Dorf Kalapodi in Mittelgriechenland mit Abai in Verbindung gebracht. Doch die Grabungen, die ein internationales Archäologenteam unter der Leitung von Wolf-Dietrich Niemeier, Direktor der Athener Außenstelle des Deutschen Archäologischen Instituts, seit 2004 vor Ort macht, bestätigen nicht nur das: Sie bringen einen heiligen Ort ans Licht, an dem über mehr als 2000 Jahre hinweg Götter verehrt wurden und der in seinem Erhaltungszustand die Archäologen zum Schwärmen bringt. Von einer Sensation ist die Rede, wie sie heute kaum noch zu erwarten ist.

Denn die beiden Tempel von Kalapodi weisen eine Kontinuität auf, wie sie in den großen Heiligtümern Griechenlands nicht mehr studiert werden kann. In Olympia oder Delphi wurden zwar vor mehr als hundert Jahren gewaltige Ausgrabungen gemacht. Aber die Sensibilität, Schicht für Schicht auch kleinste Scherben oder Pflanzensamen zu sichern und nach allen Seiten hin zu analysieren, fehlte. Durch seine späte Entdeckung können die Ausgräber in Kalapodi nun modernste Methoden zur Anwendung bringen.

Zudem zeigt sich, dass die Leute von Abai zumindest den südlichen ihrer zerstörten Tempel nicht mehr überbauten. Die von den Persern geschleiften Kultbauten sollten, wie Pausanias schreibt, "für alle Zukunft als Denkmäler des Hasses" belassen werden - des Hasses auf die Perser nämlich.

Obwohl die von der Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Arbeiten noch andauern, haben Grabungen gezeigt, dass unter dem 480 verbrannten Tempel eine Abfolge von Vorgängerbauten liegt, die sich bis in die mykenische Palastzeit (vor 1200 v. Chr.), ja bis hinauf ins frühe 2. Jahrtausend verfolgen lassen. Damit könnte Kalapodi zu einem Schlüssel zu den "Dunklen Jahrhunderten" werden, jener Zeit nach dem Untergang der mykenischen Hochkultur, in der sich die hellenische Welt der klassischen Antike herausbildete.

So kamen in dem älteren, spätgeometrischen Tempel (um 800 v. Chr.) eine Wandmalerei mit einer Schlachtenszene ans Licht. Die Technik, die für die freskengeschmückten Paläste der Mykener belegt ist, hatte offenbar die Zeiten überdauert. So dunkel können die Jahrhunderte, die auf den Fall Mykenes folgten, also nicht gewesen sein.

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Für den Stamm der Phoker waren Tempel und Orakel von Abai von herausragender Bedeutung. Denn die Gegend um das Parnass-Massiv ist von der Natur nicht besonders ausgiebig bedacht. Gerade einmal zwanzig Poleis suchten im Land ihr mühsames Auskommen. Im Norden drängten immer wieder die Thessalier, im Osten die Thebaner. Im Süden hatte Delphi, obwohl auf phokischem Boden liegend, seine Selbstständigkeit erlangt, die von einer überregionalen Schutzgemeinschaft, der Amphiktionie, gesichert wurde. Die Leute, die zum Orakel von Abai strebten, waren also eine wichtige Einnahmequelle in Phokis.

Wie lukrativ sie war, belegen die Grabungen in Kalapodi. Sie fördern zahlreiche Votive aus Metall, Bronzeschmuck und Keramik zutage. Für den internationalen Rang, der dem Orakel von Abai in der archaischen Zeit, also im 8. Jahrhundert zukam, steht eine Bronzeschale mit der Reliefdarstellung sich an den Händen haltender Männer. Sie stammt aus einem späthethitischen Fürstentum Nordsyriens. Nahrungsreste sowie Bratspieße und Asche um den Tempel herum bezeugen rituelle Mahlzeiten.

Auch der Beweis, dass es sich wirklich um die Reste des Apollon-Orakels von Abai handelt, konnten Niemeyer und seine Leute erbringen. Nachdem sie im Tempel die Inschrift "dem Apoll geweiht" gefunden hatten, förderte die Entdeckung einer Spolie in einer nahen Kapelle den Namen des Ortes zutage: "Leute von Abai haben Kaiser Konstantin geehrt", stand auf dem Stein, den christliche Baumeister aus antiken Ruinen geschlagen und offenbar weiterverwendet hatten.

Dass Abai auch von den Römern in Ehren gehalten wurde, bezeugt Pausanias: Kaiser Hadrian habe im 2. Jahrhundert n. Chr. neben dem großen Nordtempel einen kleineren dem Apollon errichtet. Dessen Weihgeschenke aus Bronze aber stammten von den Abaiern.

Dass diese sich nicht lumpen ließen, wenn es um ihren Gott ging, entdeckten die Ausgräber in den Resten des geometrischen Tempels. Dort fanden sie einen Schatz aus zwölf eisernen Schwertern, drei Lanzenspitzen, einem Schildbuckel aus Bronze, einem Bogen und einer Gewandnadel: ein Waffenmal (Tropaion), das an einer Wand des Tempels aufgehängt worden war.

Dass die Phoker durchaus stolz auf ihre militärische Leistungsfähigkeit waren, berichtet schon Herodot. Nachdem sie sich Anfang des 6. Jahrhunderts erfolgreich gegen die thessalischen Ritter zur Wehr setzen konnten, erweiterten sie den nördlichen Tempel von Kalapodi und statteten ihn prachtvoll mit der Kriegsbeute aus. Von 2000 Schilden, die die Phoker erschlagenen Thessaliern abnahmen ist die Rede und von großen Bildsäulen, die aus dem Zehnten der Beute finanziert wurden. Als sie es allerdings später, im 4. Jahrhundert, auf Delphi abgesehen hatten und gleich noch dessen Schätze plünderten, bekamen sie es mit dessen Schutzmächten, darunter die Makedonen, zu tun und wurden ziemlich rabiat zur Räson gebracht. Das aber ist eine andere Geschichte.

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