Die Kolonialherren des Internets – Seite 1

Die "nächsten zwei Milliarden Internetnutzer" werden jünger und ärmer sein als jene, die sich bereits im Netz herumtreiben. Diesen Satz sagte Jimmy Wales, der Gründer der Wikipedia, auf einem Podium des eG8-Forums am Dienstag in Paris, zu dem Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy eingeladen hatte. Im Netz wurden die Worte daraufhin tausendfach verbreitet . Auf dem eG8-Forum zum Thema Internet aber, das Sarkozy im Vorfeld des jährlichen Treffens der G-8-Staaten einberufen hatte, scheint man Wales nicht verstanden zu haben.

Es ist grundsätzlich ein gutes Zeichen, dass die G-8-Staaten und damit die Führer der mächtigsten Industrienationen der Welt das Internet zur Kenntnis nehmen. Es ist ein gutes Zeichen, dass das Internet während es G-8-Treffens selbst eines der wichtigen Themen sein wird. Lange genug hat es gedauert.

Ein eher schlechtes Zeichen ist aber, wer dort über das Netz redete. Die Teilnehmer der Podien des eG8-Forums lassen sich in zwei Gruppen sortieren. Zur sehr viel größeren ersten Gruppe gehören beispielsweise Vertreter von Facebook, Google, Cisco, Amazon, eBay, Microsoft, Qualmcomm, Vivendi, HTC, Blackstone, Orange, Alcatel-Lucent, Groupon, Murdoch, Disney, Twitter, McKinsey. Allesamt Schwergewichte der digitalen Industrie.

In die zweite und sehr viel kleinere Gruppe lassen sich die folgenden Teilnehmer einordnen: Jimmy Wales (Wikipediagründer), Lawrence Lessig (Rechtsprofessor), John Perry Barlow (Mitgründer der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation), Jeff Jarvis (Journalistikprofessor), Mitchell Baker (Chefin der Mozilla-Stiftung). Kurz: Leute, die Wissenschaft oder Zivilgesellschaft vertreten.

Die Führer der G 8 hatten sich also die Unternehmen eingeladen, die Milliarden mit dem Netz verdienen. Als Garnitur gab es einige wenige progressive Denker.

Mitbestimmung statt Konsum

Damit nicht genug. Sarkozy hatte zuvor verkündet, es gehe darum, das Internet zu zivilisieren – im Sinne von kontrollieren. Denn es sei ein neues Grenzgebiet, ein Territorium, das es zu erobern gelte. Was sicher nicht zufällig so klingt, als wolle er in den Wilden Westen vordringen und ihn sich mit stählernen Rössern Untertan machen.

Wie einst der Wilde Westen ist auch das Internet allerdings nicht so wild und unbewohnt , wie Sarkozy suggeriert. Die Stimmen derjenigen aber, die dort längst wohnen, wurden auf dem eG8-Forum in Paris nicht gehört. Auch ihre Themen spielten keine Rolle, um Netzneutralität beispielsweise ging es nicht.

Im Netz selbst wurde das auch wahrgenommen. Jarvis beispielsweise twitterte , er fühle sich wie ein Ureinwohner, der Kolonialherren beim Aufteilen seines Landes zuschaue: " At #eg8 I feel like a native American or African watching colonial powers sailing in to conquer our new land. " Angesichts der Gästeliste und der Dinge, die die Firmenchefs erzählten , steht zu befürchten, dass die heutigen Internetnutzer tatsächlich enden sollen wie einst die Ureinwohner Australiens, Amerikas oder Afrikas: recht- und machtlos.

Insofern kann die Bemerkung von Wales über die kommenden Netzgenerationen als Ausdruck seiner Hoffnung verstanden werden. Als die Hoffnung, dass Milliarden Menschen den paar reichen, weißen Männern lautstark zeigen werden, was sie wirklich wollen: Meinungsfreiheit und Mitbestimmung, nicht nur Konsum.