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Debatte Essay

Wo sind denn hier die Frauen?

Eine Pakistanerin in Deutschland wundert sich: In der Morgenkonferenz geben die Männer den Ton an, Professorinnen sind eine Seltenheit, die Kanzlerin trägt immer nur Hosenanzug. Sich feminin zu geben scheint tabu zu sein in dem Land, das sich gegenüber Pakistan so fortschrittlich fühlt

In Pakistan arbeitete ich als Journalistin bei einem Nachrichtenmagazin. "Newsline" hatte durchaus Einfluss auf die Meinungsbildung, dafür aber kein Geld. In den monatlichen Redaktionssitzungen tranken wir würzigen Chai und verrissen das Konkurrenzblatt "Herald". Den Vorsitz führten die Chefredakteurin und ihre drei Ressortleiterinnen, die das Magazin mitgegründet hatten. Unsere Redaktionszentrale war ein Häuschen, das in einer heruntergekommenen Straße in einem Wohngebiet Karachis lag. Wenn es regnete, blieb die Straße wochenlang überflutet. Im Sommer fiel immer wieder der Strom aus und nahm unsere Artikel mit sich, wenn wir nicht alle drei Minuten den Text sicherten. Fünf Mitarbeiter teilten sich vier Computer. Die Redaktionssitzungen fanden in dem Raum statt, den sich die Chefredakteurin mit ihren Ressortleiterinnen teilte.

In Berlin bei der "Welt" sehen die morgendlichen Redaktionssitzungen ein wenig anders aus. Der Konferenzraum im 14. Stock hat riesige Fenster, durch die man auf den Fernsehturm und den Gendarmenmarkt blickt. Im ganzen Raum leuchten Computerbildschirme, während ein Mann nach dem anderen den Raum betritt, im Anzug ohne Schlips oder in einer Tweedjacke mit Ellbogenschonern, in der Hand die Kaffeetasse. Der auffälligste Unterschied ist der Mangel an Frauen.

Das hat mich überrascht. Ich komme ja aus Talibanland, doch so stark wie hier in Deutschland ist es mir noch nie bewusst geworden, dass ich eine Frau bin. Und dass das ein Problem sein könnte. Oder war ich nur paranoid? In Berlin lief mir der Vibrafonspieler Karl Ivar Refseth über den Weg. Karl hatte ich in New York kennengelernt, wo ich studiert und journalistische Erfahrungen gesammelt hatte, bevor ich nach Berlin kam. In einem österreichischen Café in Kreuzberg sprachen wir über die deutsche Machismo-Kultur. Norwegen habe so etwas längst hinter sich gelassen, sagte Karl. Das hatte ich nicht gewusst, also habe ich ein bisschen gegoogelt. Im weltweiten Ranking der Geschlechtergleichheit belegte Norwegen laut dem World Economic Forum 2010 den zweiten Platz, Deutschland den 13., Pakistan den 132.

Beim Googeln begegnete mir auch der Begriff der Frauenquote. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wolle eine Quote von 40 Prozent Frauen in Führungspositionen. Ich versuchte mir vorzustellen, was das bei der "Welt" bedeuten würde. Dort gibt es nur eine Ressortleiterin, gegenwärtig im Mutterschutz, und eine Stellvertretende Chefredakteurin. Die anderen Führungspositionen sind von Männern besetzt. Kein Wunder, dass ich bei der Konferenz so wenige Frauen sah. Zufällig hatte der "Spiegel" kürzlich eine Titelgeschichte zum Thema: "Warum braucht Deutschland die Frauenquote?" Zwei Kulturredakteurinnen berichteten aus der eigenen Redaktion, wo es 28 Ressortleiter und zwei Ressortleiterinnen gebe. "Man sitzt auf der gepolsterten Bank am Fenster und schaut die Herren am Mitteltisch an und denkt: schöne Anzüge."

Meine Patentante Susy aus Dreieich, wo meine Mutter aufgewachsen ist, war ein wenig pikiert, als ich über Sexismus in Deutschland sprach. "Immerhin sind unsere Kanzlerin und einige Kabinettsmitglieder Frauen", sagte sie. "Ihr seid spät dran", sagte ich. "Indien hatte Indira Gandhi schon in den 60er-Jahren, Pakistan Benazir Bhutto in den 80ern, Bangladesh Khaleda Zia in den 90ern. Will ich damit sagen, dass wir keine unterdrückten Frauen hätten, keine ernsten Probleme mit der Ungleichheit der Geschlechter? Natürlich nicht. In Südasien können wir nicht einmal anfangen, über Sexismus oder Lohngleichheit zu reden. Davon sind wir meilenweit entfernt. Was ich aber sagen will, ist, dass Männer in Südasien keine Angst haben vor Frauen in Führungspositionen." Susy war nicht besänftigt.

Ich sprach auch mit einer norwegischen Journalistin, die in Berlin studiert. Ida Svingen Mo (29) findet, dass Frauen in Deutschland ganz anders wahrgenommen werden als in ihrer Heimat. "In Norwegen sind Professorinnen nichts Außergewöhnliches." Der Sexismus sei nicht offensichtlich, und doch seien Frauen in vielen Bereichen unterrepräsentiert. Als ich an der Columbia University in New York studierte, hatte ich eher den Eindruck, Männer seien im Lehrkörper unterrepräsentiert. Viele meiner Professorinnen schafften es, neben ihrer akademischen Arbeit zugleich erfolgreiche Journalistinnen zu sein. Und doch kam es mir nie so vor, als ob sie sich bemühten, unweiblich zu sein - ein Gefühl, das ich in Deutschland oft habe.

Mir kommt es so vor, als würden sich die Frauen in Deutschland eher männlich kleiden: in dunklen Hosen oder Hosenanzügen mit Nadelstreifen. Ich bin daran gewöhnt, dass sich Frauen fraulich kleiden. Bei der Zeitschrift in Karachi etwa tauschten wir uns immer aus über die neuesten Modetrends oder berieten uns über das nächste Investment - den Kauf von Schmuck oder Kleidern. Ähnlich verstört war ich, als ich Konzerte der Berliner Philharmoniker besuchte. Auf der Bühne gab es wenige Frauen, und auch sie trugen meistens Hosen. In New York, wo die Philharmonic mein musikalisches Zuhause war, gab es mindestens so viele Frauen wie Männer auf der Bühne, und Erstere trugen oft lange Kleider. In der Titelgeschichte des "Spiegels" fand ich eine beunruhigende Antwort auf die Frage, warum das in Deutschland anders ist: Hosenanzüge, stand da, seien "besser". Denn: "Weniger Fleisch heißt weniger Angriffsfläche".

"Mich haben die deutschen Frauen schockiert und fasziniert", sagt Ida. "Sie sind so offensichtlich männlich, jedenfalls die Frauen, die am Arbeitsplatz Macht ausüben." Sie frage sich, ob das der Preis des Erfolgs sei. "Es fällt auf, wie männlich sich Angela Merkel geriert", sagt sie. "In Norwegen könnte sie ihre feminine Seite zeigen, und man würde sie trotzdem ernst nehmen." Karl behauptet, die Norwegerinnen seien "entspannter". Gut, ich komme vom anderen Ende der Geschlechtergleichheitsskala, aber ich würde das Gleiche von pakistanischen Frauen behaupten, jedenfalls von denen, die das Privileg der Bildung genossen haben.

Gewiss, die sozioökonomische und soziokulturelle Struktur Pakistans ist sehr kompliziert. Unsere Bildungselite hat eine progressive Einstellung. Ich wurde nicht dazu erzogen, möglichst früh zu heiraten und Kinder zu bekommen. Im Gegenteil. Die größte Angst meines Vaters ist, dass ich einem Mann begegnen und - noch schlimmer - ihn heiraten könnte. Als ich im Winter meine Eltern in Karachi besuchte, erzählte er mir, dass es mit meiner Karriere vorbei wäre, wenn ich vor 35 heiraten würde. Allerdings hat er mich gebeten, meiner Mutter nicht zu erzählen, dass er mir das gesagt hatte. Meine Mutter wiederum hat darauf bestanden, dass meine Schwester und ich eine Universitätsausbildung bekommen. Zwar hätte sie nichts dagegen, wenn ich einen Banker von der Wall Street abschleppe und, hoffentlich, heirate, aber das weiß ich nur, weil ich heimlich ihren Telefongesprächen mit ihren Freundinnen gelauscht habe.

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Wie dem auch sei: Die Vorstellung, meine Eltern würden von mir erwarten, einen Mann zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben, womöglich einen Mann, den sie für mich aussuchen und den ich gar nicht kenne, ist ein westlicher Mythos. Übrigens sind Zwangsehen auch nicht mehr das, was sie früher waren. Die Eltern arrangieren Treffen, ein bisschen wie das Online-Dating, das im Westen so verbreitet ist, und die Kinder entscheiden dann, ob und wie es weitergeht. Zugegeben, es geht in Südasien zuweilen auch konservativer zu, aber auch da sollte man nicht alles nach westlichen Maßstäben beurteilen. Die Ehe meiner Eltern wurde arrangiert, wie man sagt, und sie lieben sich 29 Jahre später noch immer. Ihre Eltern, meine Großeltern, feierten dieses Jahr ihren 47. Hochzeitstag. Es waren arrangierte Ehen, aber niemand wurde zu irgendetwas gezwungen. Es gibt Unterschiede.

Als ich einem deutschen Freund und seiner deutschen Freundin von der Ehe meiner Eltern erzählte, verzog sie das Gesicht. Er aber war beeindruckt: "Sie funktioniert doch." Mich fasziniert schon lange, wie gerade westliche Frauen alle anderen Frauen nach ihren Standards beurteilen. Dabei wissen sie nicht, wie traditionsbefangen sie selbst oft sind, obwohl sie uns so viele Entwicklungsjahre voraus haben. So treffe ich in Deutschland mehr Frauen, die sich Kindern und Partnern widmen, und weniger Frauen, die sich auf ihre Karriere und sich selbst konzentrieren, als unter meinen Freundinnen in Pakistan. Vielleicht sollte der Westen lernen, hinter die Fassade zu blicken und die Dinge differenzierter zu betrachten.

Die Autorin ist Absolventin der renommierten Columbia School of Journalism in New York. Derzeit lebt die pakistanische Journalistin in Berlin.

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