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Kultur Tischgespräch

Philippe Jordan

Freier Feuilletonmitarbeiter
Bananen sind besser als Doping: Trotzdem wählt der Dirigent Beelitzer Spargel und Riesling

Junges Grün, nette Leute, eine sprudelnde Fontäne im Hintergrund und eine sich zur Kolonnade fügende Säulenreihe - nein, der Dirigent Philippe Jordan speist nicht königlich in Potsdam, sondern gutbürgerlich am Schöneberger Viktoria-Luise-Platz: zur endlich ausgebrochenen Frühlingszeit ein Locus amoenus der besonderen Art.

Darauf erst einmal einen frischen, goldgelb leuchtenden Riesling von der Remstalkellerei. Der Wein, die gepflegten Biere vom Alpirsbacher Klosterbräu und die ausufernden Maultaschen-Folge als Vorspeisenouvertüre verraten es: Das Wiesenstein, im Untertitel "Speisemeisterei", ist ein Schwabe, wovon es in Berlin ja nicht wenige gibt. Und zwar einer der lecker üppigen Art. Hat der 36-jährige Schweizer, der ganz in der Nähe wohnt, eine besondere Affinität zu Spätzle & Co? "I, wo, eigentlich meide ich Nudeln ja, aber ich habe erst gestern Abend dieses großartig unprätentiöse Lokal mit Freunden entdeckt, und es hat uns so geschmeckt, dass ich gern gleich noch einmal hierher gehe."

Philippe Jordan ist eben mal wieder in Berlin und probt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und dem Rundfunkchor Beethovens 9. Sinfonie und Strawinskys Psalmensinfonie; eine der gegenwärtig selten gewordenen Stippvisiten zu Hause. Schließlich ist er seit fast zwei Jahren Musikdirektor der Pariser Oper, einer der begehrtesten Chefposten der Musiktheaterwelt. Da bleibt nicht mehr viel Zeit zum Gastieren. Neben viel Repertoire ist an der Seine der neue "Ring des Nibelungen" gegenwärtig seine Hauptaufgabe.

"Es gibt nichts Besseres, nicht Gewaltigeres, um mit einem Orchester wirklich zusammenzuwachen", sagt Jordan nüchtern, um dann vom feinen weichen Tonfall seiner zwei Klangkörper zu schwärmen. "Siegfried" ist eben absolviert, jetzt steht die dunkle, weltmüde abgründige Tonreise der "Götterdämmerung" noch zum Saisonschluss bevor. Die Kritiken für ihn waren bisher hervorragend, weniger für Günter Krämers doch sehr ausgelaugt dünkende Deutung. "Was soll man da heute noch auf der Bühne erzählen", stöhnt Philippe Jordan fast wie ein Stoßgebet zum Opernhimmel. "Wir Dirigenten scheinen es leichter zu haben. Diese Partituren faszinieren nach wie vor, sind immer neu auslotbar. Da kann wirklich jeder einen eigenen Weg finden."

Zwei Klangkörper? "Ja, da wir ja das Palais Garnier und die Bastille-Oper bespielen, sind das fast zweihundert Musiker, aufgeteilt auf zwei feste Besetzungen, die dann jeweils immer ein Stück gemeinsam absolvieren. Die heißen aber nicht A und B, oder Eins und Zwei, denn das würde immer eine Rangfolge implizieren. Sondern das blaue und das grüne Orchester, das ist in Frankreich offenbar auch politisch neutral."

Die Vorspeisen sind gewählt: Zu einem Friseesalat mit gegrillten Steinpilzen und gerösteten Weckenknödelrädle gesellen sich Entenmaultaschen auf Birnen-Bohnen-Gemüse und ein sauberer Remstal-Muskateller. Und hinter uns leuchtet es zartlila: "Was duftet doch der Flieder, so mild, so stark und voll!" Auch die "Meistersinger" hat Philippe Jordan schon dirigiert. Was also fehlt noch von Wagner? ",Lohengrin' und ,Tristan', das eine ist Zufall, das andere bewusst, denn diese Oper sollte man nicht als junger Dirigent anfassen. Dafür braucht man wirklich Erfahrung. Das Ding saugt einen sonst aus."

Wie bereitet man sich auf so eine Herausforderung vor? "Mit viel Schlaf. So wie ich auch vor Vorstellungen immer ruhe, ausspanne, ich muss nicht einschlafen, aber abschalten können. Man muss ganz frei sein." - "Auch körperlich locker?" - "Mental. Wir haben ja einen ungesunden Beruf. Wenig und nicht wirklich organische Bewegung, viel in dunklen Räumen, Nachtarbeit, spätes Essen. Ich kenne keinen Kollegen, der nicht schon in jungen Jahren Rückenprobleme hat. Manche müssen deswegen ja bisweilen sogar absagen. Man merkt das sofort nach einer langen Vorstellung, wenn da was verspannt oder verrenkt scheint. Dann ist Fitnessstudio angesagt, oder gleich Chiropraktiker. Meiner ist in der Schweiz und hat magische Finger."

Darf man sich sonst irgendwie vor Vorstellungen dopen? "Ein doppelter Espresso hilf wahre Kreislaufwunder", plaudert es generös aus der Vorbreitungsschule für Dirigentenstars. "Und natürlich viel Wasser trinken. Aber nicht zu viel, denn Harndrang im letzten 'Meistersinger'-Akt wäre bei zweieinhalb Stunden Länge ungünstig."

Da er, der hervorragend Klavier spielt, sein Handwerk von der berühmten Pike auf als Korrepetitor gelernt hat, bisweilen noch Sänger begleitet oder Kammermusik spielt, muss er dafür richtig üben. "Vor solchen Auftritten trinke ich meist ein Glas Sekt, das schafft die nötige Mischung aus Beschwingtheit und Ruhe." Sonst kein Alkohol? "Nur hinterher. Aber nach einem langen Opernabend, noch vor dem Applausvorhang, ein vom Assistenten gereichtes, schnell gezischtes, kaltes Bier - herrlich." Sein Vater Armin hingegen, ebenfalls ein berühmter, vor fünf Jahren gestorbener Dirigent, war da anders: "Der brauchte seinen Whisky, auch schon vor der Vorstellung".

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Philippe Jordan schwört auch, wie viele Dirigenten, auf Bananen. "Ich mag sie zwar nicht besonders, aber ich habe niedrigen Blutdruck, es gibt nichts Besseres, um in konzentrierter Form Energie und Vitamine zu sich zu nehmen." Auch Schokolade ist erlaubt. Nur einmal, bei einer "Meistersinger"-Vorstellung in Zürich, da mussten es dann zusätzlich noch Spritzen sein: "Ich hatte richtig Grippe, habe mir auch was zum Hinsetzen basteln lassen, und dachte trotzdem im dritten Akt, ich kippe jetzt um, fühlte mich völlig desorientiert."

Sonst freilich muss er von seinem Pult aus alles zusammenhalten: "Das habe ich beispielsweise bei Michael Thalheimers 'Entführung aus dem Serail' an der Berliner Lindenoper deutlich erfahren. Da spielte vieles im zweiten Stock, da musste ich weit ausufernder dirigieren - und habe es auch gleich im Rücken zu spüren bekommen."

Apropos Berlin. Er hat hier viel dirigiert, war Assistent von Daniel Barenboim, dann Kapellmeister an der Staatsoper. Sind da jetzt alle Kontakte abgerissen? "Wir suchen Termine", heißt es diplomatisch. "Und Paris geht vor. Außerdem möchte ich ja auch mehr Konzerte geben, aber die Oper, ohne die ich nicht sein kann, schluckt viel Zeit. Jetzt ist das Verhältnis Oper und Konzert 70 zu 30 Prozent, 50 zu 50 wäre mir natürlich lieber."

Apropos Thalheimer. "Wenn der in Paris ist, isst er immer in der Brasserie Bofinger, die liegt ja gleich gegenüber der Bastille-Oper", erzählt Philippe Jordan. "Das ist mir aber zu zeremoniös für den Alltag. Da gehe ich nur hin, wenn ich jemanden ausführen will." Das sagt einer, der selbst nicht kocht, der gerne isst, aber durchaus auch den Pragmatiker herauskehrt. "Ich mag die Pariser Opernkantine. Die können zaubern. Ich bin schließlich durch die Panierhölle von Ulm, Berlin oder Graz gegangen."

Da kommen - zufällig - auch die Freunde von gestern vorbei, die im Wiesenstein offenbar ebenfalls zu Wiederholungstätern werden, gleichzeitig sind jetzt die Hauptgerichte aufgetragen: Philippe Jordan speist schlicht - "es ist Saison, ich kann nicht anders" - Beelitzer Spargel mit Kartoffeln und Hollandaise, die Begleitung Edelfisch-Mixed-Grill mit dreierlei Saucen und kleinen, leider zu fetten Rosmarinkartoffeln.

In Paris werden übrigens eineinhalb Stunden Mittagspause eisern eingehalten. Darüber sei wohl auch Daniel Barenboim bei seinem gescheiterten Chefversuch an der Opéra nationale gestolpert. In Berlin freilich setze er sich über jede Tarif- und Mittagsordnung hinweg.

Wie lernt man eine Sinfonie? "Durch strenges, wiederholtes Dirigieren. Eine Beethoven-Sinfonie hat man frühestens beim 30. Mal auch in der Praxis verstanden. Deswegen schaue ich, dass ich Instrumentalwerke auch in geringem Abstand mit verschiedenen Orchestern musiziere. Nur das ist für mich pädagogisch. Ich habe jetzt Mahlers Erste seit acht Jahren zum ersten Mal wieder dirigiert. In der ersten Probe war da gar nichts mehr, erst beim zweiten Anlauf kam die Erinnerung wieder."

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Man dirigiert immer wieder dieselben Stücke, um sie zu verstehen. Ein Paradox? "Schon, aber, wenn es gelingt, immer wieder neu und naiv anzufangen, dann ist es richtig. Und danach suche ich bei jedem Auftakt."

Dessert? Eines für zwei. Die Wahl fällt auf ein herrlich cremiges Schwarzwälder Parfait mit Kirschragout. Ein rundes, kulinarisches Finale.

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