Linke: Genossen attackieren Gysis Politik:"Höchst undemokratisch"

Per Beschluss hatte die Linke den Streit über Antisemitismus in den eigenen Reihen beilegen wollen. Doch nun ist der Zwist erst recht entbrannt, denn der linke Flügel hadert mit dem Beschluss - und der Art, wie Fraktionschef Gysi ihn durchgesetzt hatte.

Daniel Brössler, Berlin

Ein Streit über Antisemitismus sowie den Umgang mit Israel spaltet die Linksfraktion im Bundestag und setzt Fraktionschef Gregor Gysi unter Druck. Mehrere Abgeordnete vom linken Flügel machten klar, dass sie sich nicht an einen Beschluss der Fraktion vom vergangenen Dienstag gebunden fühlen. "Der Beschluss der Fraktion ist auf höchst undemokratische Weise zustande gekommen", kritisierte der nordrhein-westfälische Abgeordnete Andrej Hunko.

Bundestag - Regierungserklärung

Gregor Gysi gerät ins Kreuzfeuer des Antisemitismus-Streits.

(Foto: dpa)

Seine Fraktionskollegin Sevim Dagdelen bezeichnete es als "bedauerlich, dass, getrieben von rechten Mainstreammedien und Politikern, die Linksfraktion der Meinung war, einen solchen Beschluss fassen zu müssen". Es dränge sich "der Eindruck auf, dass bestimmte Leute in der Fraktion die Debatte ausschließlich führen, um innerparteiliche Geländegewinne zu erzielen". Das sei "abstoßend".

Die Fraktion hatte sich in dem Beschluss gegen jede Form des Antisemitismus gewandt. Zudem stellte sie fest: "Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen." Im vergangenen Jahr waren die Fraktionsmitglieder Annette Groth und Inge Höger bei der Gaza-Flotille mitgefahren. Groth kündigte an, sie werde in diesem Jahr aus "terminlichen Gründen" nicht teilnehmen. "Es gibt keinen Grund, aus inhaltlichen Gründen Abstand zu nehmen", stellte sie aber klar.

Der Beschluss vom Dienstag war einstimmig gefallen. Zuvor hatten aber zehn Parlamentarier den Raum verlassen. Fünf fehlten. "Obwohl mindestens die Hälfte der anwesenden Abgeordneten in der Diskussion Kritik am Verfahren geäußert hatten, wurde eine Drohkulisse aufgebaut, die die Einheit der Partei in Frage stellte. Der Beschluss zielt meines Erachtens nicht auf eine Klärung in der Antisemitismusfrage oder der Nahostpolitik, sondern auf die Unterwerfung der Linken, insbesondere ihres linken Flügels, unter die Attacken der Kriegsparteien", monierte Hunko, der sich zur "Antikapitalistischen Linken" zählt. Fraktionschef Gysi wird vom linken Flügel vorgeworfen, den Beschluss mit einer indirekten Rücktrittsdrohung erzwungen zu haben.

Vertreter des Reformflügels nahmen Gysi in Schutz. "Wir sollten die Abwehrkämpfe, die einer wirklichen Auseinandersetzung im Wege stehen, beenden - zuallererst die Anschuldigungen gegen den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi", appellierte der Landesvorsitzende der Linken in Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn. Bestimmte Standpunkte seien "nicht einfach nur Facetten einer Debatte, sondern innerhalb der Linken miteinander unvereinbar", warnte er. Der Landesvorsitzende fügte hinzu: "Die Existenz Israels hängt zum Glück nicht an unseren Parteibeschlüssen und unseren Debatten, unser Selbstbild als antifaschistische Partei schon." Aus seiner Sicht seien "Selbstverständlichkeiten beschlossen worden", sagte der Berliner Linken-Abgeordnete Stefan Liebich.

Gysi verteidigte den Beschluss, dass Abgeordnete und Mitarbeiter sich nicht an der Gaza-Solidaritätsflotte beteiligen sollen. "Die Finanzierung der Aktion ist nicht klar, und deshalb ist das sehr fragwürdig. Ich will doch wissen, wer dahintersteckt und wer es bezahlt, bevor ich mich an irgendeiner Aktion beteilige. Man darf sich schließlich nicht missbrauchen lassen", sagte er der Nachrichtenagentur dapd.

Zugleich nahm er seine Partei gegen in jüngster Zeit erhobene Antisemitismus-Vorwürfe in Schutz. "Es geht nicht, dass behauptet wird, wer die Politik der Regierung Israels kritisiert, ist antisemitisch", sagte Gysi. Da geschehe "grobes Unrecht". Er räumte aber ein, dass es die eine oder andere Äußerung gegeben habe, "die auf großes Unverständnis stößt, obwohl sie gar nicht antisemitisch gemeint ist". Mit dem Beschluss der Bundestagsfraktion seien jetzt "bestimmte Dinge einfach klargestellt".

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