Anna Gauto war im erweiterten Kader der U-16 und U-19 Nationalmannschaft aktiv. Von 1992 bis 2008 spielte sie für den FFC Wacker München. Sie unterstützt die Sportredaktion von ZEIT ONLINE während der Frauenfußball-WM. © Privat

Als ich die Nationalmannschaft beim WM-Eröffnungsspiel vor 74.000 Menschen im Berliner Olympiastadion einlaufen sah , habe ich mich gefragt: "Wie weit wärst Du gekommen, wenn Du Dich für die Apfelschorle entschieden hättest?"

Fußball spielen lernte ich mit den Jungs aus der Nachbarschaft. Wenn es nicht hagelte, spielten wir jeden Tag, bis es dunkel wurde. Nach meinem zwölften Geburtstag trat ich in eine Mädchenmannschaft in München ein. Mit dreizehn kam ich in die Oberbayernauswahl. Dann musste ich ein Jahr pausieren, weil mich eine Gegenspielerin umgegrätscht hatte: Schien- und Wadenbeinbruch. Sie besuchte mich im Krankenhaus und schenkte mir ein Minnie-Mouse-Handtuch.

1995 wurde ich für die Bayernauswahl gesichtet. Der Auswahltrainer hielt große Stücke auf mich. Er sagte, ich sei das größte Talent in Bayern und machte mich zur Spielführerin. Ich übernahm die Binde pflichtschuldig, fand aber andere Spielerinnen besser.  

In den vergangenen Tagen habe ich mir jedes WM-Spiel des deutschen Teams angesehen, mitgefiebert und mitgelitten. Die Jungen, wie Alexandra Popp oder Kim Kulig, kenne ich nur aus dem Fernsehen. Gegen manche der älteren Nationalspielerinnen habe ich noch selbst gespielt. Ich glaube, ich wäre nie so gut geworden wie die Spielerinnen heute. Als ich es hätte werden können, wollte ich es nicht.

Im Frühjahr 1996 fuhr ich mit der Bayernauswahl nach Duisburg, wo jedes Jahr der Länderpokal stattfindet und wo Spielerinnen für die Jugendnationalmannschaften rekrutiert werden. Als größter Landesverband waren wir dazu verdammt, unter die ersten Drei zu kommen. Ich hatte Angst, die Erwartungen, die als Spielführerin im zentralen Mittelfeld auf mir lasteten, nicht zu erfüllen. Aber ich wollte die Chance nicht verpassen, von den DFB-Scouts gesichtet zu werden.

In der großen Aula der Sportschule Duisburg-Wedau saßen die Nationaltrainerinnen Tina Theune-Meyer, ihre Co-Trainerin Silvia Neid und die damalige DFB-Referentin Hannelore Ratzeburg wie die Jury von Deutschland sucht den Superstar auf dem Podium. Die Frage war: Wer wird nach dem Turnier direkt für das anstehende Länderspiel gegen Frankreich nominiert?

Ich spielte ein mittelmäßiges Turnier, wurde aber trotzdem zu einem Lehrgang der Jugendnationalmannschaft eingeladen, der mitten in die Sommerferien fiel. Ich sagte ab, weil der Urlaub bei meiner Familie in Südamerika schon gebucht war. Bei einem späteren Sichtungslehrgang war ich dann dabei.