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Linke will Israel-Gegnern den Rücken stärken

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi beklagt eine "inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus" und will weiterhin Kritik an Israel üben Linke-Fraktionschef Gregor Gysi beklagt eine "inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus" und will weiterhin Kritik an Israel üben
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi beklagt eine "inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus" und will weiterhin Kritik an Israel üben
Quelle: picture alliance / dpa/dpa-Zentralbild
Die Bundestagsfraktion der Linkspartei relativiert ihren Beschluss zur Abgrenzung von Antisemitismus: Kritik an Israel sei nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Nach dem Zentralrat der Juden fordert nun auch die Deutsche Bischofskonferenz die Linkspartei zu einer klaren Abgrenzung von antisemitischen Tendenzen auf. "Da, wo es antisemitische Tendenzen gibt, müssen diese benannt werden", sagte Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, gegenüber "Welt Online". Nichts anderes habe der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, getan.

Graumann hatte in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben, die Linkspartei befinde sich in einem "Kerker des Israel-Hasses". Er verwies dabei unter anderem auf Boykottaufrufe von Linken gegen israelische Produkte, auf die Teilnahme zweier Linken-Bundestagsabgeordneten an der sogenannten "Gaza-Flottille" und auf Äußerungen von Linken-Politikern in Duisburg und Bremen, die das Existenzrecht Israels als "Hirngespinst" und "läppisch" bezeichnet hatten.

Linken-Parteichef Chef Klaus Ernst warf Graumann daraufhin Diffamierung vor und forderte ihn auf, "die Niederungen der Parteipolitik schnell wieder zu verlassen".

Zentralrat hat "gutes Recht"

Es sei das "gute Recht" des Zentralrats, "sich in die Politik einzumischen", sagte hingegen Erzbischof Zollitsch. So sei es etwa "nicht akzeptabel", wenn Linken-Bundestagsabgeordnete bei einem Auftritt des israelischen Präsidenten Shimon Peres demonstrativ sitzen blieben.

"Wenn der Staatspräsident Israels im Bundestag spricht, repräsentiert er ein Volk", sagte Zollitsch. "Und es gehört zum Respekt gegenüber diesem Volk, sich gegenüber dem Repräsentanten entsprechend zu verhalten. Von demokratischer Einstellung zeugt das Verhalten der Abgeordneten nicht."

Shimon Peres hatte im Januar 2010 zum Holocaust-Gedenktag eine Rede gehalten. Beim Schlussapplaus waren die drei Linken-Parlamentarierinnen Sahra Wagenknecht, Christine Buchholz und Sevim Dagdelen nicht aufgestanden. "Der Vorgang zeigt, wie schwer sich einige Abgeordnete der Linken mit dem Staat Israel tun", betonte Zollitsch.

"Die Partei sollte Klarheit schaffen"

Er rief die Linke auf, die Forderung einer Zwei-Staaten-Lösung und das Eintreten für das Existenzrecht Israels in das neue Grundsatzprogramm aufzunehmen: "Die Partei sollte diesbezüglich Klarheit schaffen." Diese Haltung vertrete auch die katholische Kirche.

"Insbesondere der Heilige Stuhl hat mehrfach und deutlich eine gerechte Zwei-Staaten-Lösung und das Existenzrecht Israels und eines palästinensischen Staates gefordert", so Zollitsch.

Auch innerhalb der Linken mehren sich die Stimmen, die ein klares Bekenntnis zu Israel im neuen Grundsatzprogramm fordern. Nach Thüringens Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow plädiert auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, dafür, eine Anerkennung Israels im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung im Programm festzuschreiben.

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"Die Klärung des Verhältnisses zu Israel ist Bestandteil der Geschichte der Linken", sagte Enkelmann "Welt Online". "Da haben wir einiges aufzuarbeiten, Ost wie West. Ein klares Wort wäre für unsere Partei angebracht."

"Die Absage an den Antisemitismus festschreiben"

Ähnlich sieht es der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich: "Wir sollten die Debatte zum Anlass nehmen, die Absage an den Antisemitismus einerseits und das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels andererseits festzuschreiben", sagte Liebich dieser Zeitung. Er gehe davon aus, dass es dafür auch eine Mehrheit in der Partei gebe: "Nur weil einige derzeit besonders laut sind, heißt das nicht, dass sie die Mehrheit haben."

Gleichzeitig verteidigte Liebich die harsche Kritik von Parteichef Klaus Ernst am Vorsitzenden des Zentralrats der Juden. "Ernst hat versucht, sich schützend vor die Partei zu stellen", sagte Liebich. Graumanns Vorwürfe hält er zwar "im Kern für berechtigt", nicht aber den des Antisemitismus.

"Es gibt in unserer Bundestagsfraktion und in unserer Parteiführung keine Antisemiten", behauptet Liebich. "Es gibt überzogene Kritik an Israel, der man etwas entgegensetzen muss."

Unterstützung angesichts der neuesten Ereignisse

Auch Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch kann sich ein klares Israel-Bekenntnis im Programm vorstellen: "Noch vor einem Jahr hätte ich bestritten, dass dies ins Grundsatzprogramm aufgenommen werden muss. Angesichts einiger Ereignisse in den letzten Monaten unterstütze ich den Vorschlag von Bodo Ramelow."

Ausgelöst hatte die Debatte der Aufsatz zweier Wissenschaftler von der Universität Gießen und der Universität Leipzig, in dem sie starke antisemitische Tendenzen in der Linkspartei beklagt hatten . Doch längst geht es nicht nur um die Frage, wie die Partei mit dem Thema Antisemitismus umgeht.

Die Debatte ist Aufhänger für grundsätzliche Fragen geworden. Die linksradikale Zeitung "Junge Welt", Hausorgan der vornehmlich aus dem Westen stammenden Fundamentalisten in der Linkspartei, hat die Diskussion zur "Kampagne" erklärt, mit der sich die Reformer an ein künftiges rot-grünes Bündnis anbiedern wollten.

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Die Reformer werfen wiederum dem Gegenlager vor, die Debatte zu instrumentalisieren, um Machtfragen zu klären.

Unruhe über Entwurf für einen zweiten Israel-Beschluss

Für Unruhe sorgt auch ein Entwurf für einen zweiten Israel-Beschluss, den Fraktionschef Gregor Gysi bereits auf der letzten Fraktionssitzung angekündigt hatte. In dem Papier, das "Welt Online" vorliegt, heißt es: "Es ist nicht hinnehmbar, wenn einer Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet wird. Wir werden nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, nur weil sie die Politik der israelischen Regierung kritisieren."

Die "inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus" schade dem Kampf gegen ihn, heißt es weiter. Die Linke werde auch weiterhin die Politik der israelischen Regierungen öffentlich kritisieren, "wann immer dies wegen deren Völker- und Menschenrechtswidrigkeit notwendig ist".

Darunter versteht die Linke laut Papier unter anderem die Blockade des Gaza-Streifens, die israelische Siedlungspolitik sowie "die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv an einer Zweistaatenlösung mitzuwirken". Zum Schluss werden auch alle Mitarbeiter der Abgeordneten aufgefordert, sich für diese Positionen einzusetzen.

Relativierung des ersten Entwurfs

Damit relativiert der Entwurf zum Teil einen Fraktionsbeschluss vom 6. Juni, in dem eine klare Abgrenzung vom Antisemitismus vorgenommen wurde. Er hatte den Aufruf enthalten, sich weder an Boykottaufrufen noch an der diesjährigen Gaza-Flottille zu beteiligen. Der Beschluss war einstimmig gefasst worden; allerdings hatten nach heftigen Diskussionen zuvor Abgeordnete den Raum verlassen und nicht mitgestimmt. Teilnehmern der Sitzung zufolge soll Gysi indirekt mit Rücktritt gedroht, wenn der Beschluss nicht gefasst würde.

Die Linken-Parlamentarierin Annette Groth, die im vergangenen Jahr an der Gaza-Flottille teilgenommen hatte, nannte die Abstimmung hinterher "undemokratisch" und "gefährlich". Der Beschluss sei nur "durch großen psychologischem Druck" zustande gekommen.

Vertreter des Reformer-Flügels sehen im neuen Entwurf nun einen Kotau der Fraktionsführung vor den Israel-Gegnern in der Linken. Intern haben einige von ihnen bereits deutlich gemacht, dem neuen Papier nicht zustimmen zu wollen. Eigentlich sollte dieses am heutigen Montag dem Fraktionsvorstand vorgelegt und auf der Fraktionssitzung am Dienstag offiziell beschlossen werden.

Doch nach Informationen von "Welt Online" wird hinter den Kulissen heftig diskutiert, ob es überhaupt einen zweiten Beschluss geben sollte.

"Die Stimmung in der Fraktion ist auf einem Nullpunkt angelangt", sagt ein Abgeordneter über die Kontroverse. Von Sachthemen ist bei der Linken schon seit Wochen keine Rede mehr. Die Zerreißprobe geht weiter.

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