Kombibahnhof statt Stuttgart 21:Wie Geißler die Bahn zum Schauspielern brachte

"Ich bin völlig verblüfft", sagte Bahn-Vorstand Volker Kefer, als Heiner Geißler den Kompromissvorschlag zu Stuttgart 21 präsentiert hatte. Tatsächlich war der Bahn die Idee des Schlichters schon länger bekannt. Verkehrsminister Ramsauer versuchte gar, sie Geißler auszureden. Auch der geistige Vater des Kombibahnhofs ist von dem Konzept nicht überzeugt.

Daniela Kuhr und Sebastian Beck

Wenn Volker Kefer eines Tages nicht mehr Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn sein will, sollte er über eine Karriere als Schauspieler nachdenken. Es war eine großartige Leistung, die der 55-Jährige am vergangenen Freitagabend den Fernsehzuschauern geboten hat. Kefer stand in Stuttgart vor dem Sitzungssaal, in dem wenige Minuten zuvor Schlichter Heiner Geißler seinen Coup gelandet und plötzlich den Vorschlag für einen Kombibahnhof aus dem Hut gezaubert hatte. Ein Fernsehreporter wollte von Kefer wissen, ob er überrascht sei. "Überrascht ist noch ein milder Ausdruck", sagte Kefer und lächelte hilflos. "Ich bin völlig verblüfft. Ich kann dazu jetzt gar nichts sagen."

Stuttgart 21 Kombi-Bahnhof Geißler S21

Tief- und Kombi-Bahnhof im Überblick: Klicken Sie auf das Bild, um die komplette Grafik zu sehen.

(Foto: SZ-Grafik)

Die Reaktion wirkte glaubhaft - und war doch gespielt. Kefer mag alles Mögliche gewesen sein, irritiert, genervt, verärgert, aber sicher nicht "verblüfft".

Jedenfalls nicht am Freitag. Wohl aber zwei Tage zuvor. Am späten Mittwochvormittag hatte sich Geißler mit Kefer im Bahntower in Berlin getroffen. Offiziell ging es nur darum, die Präsentation des Stresstests für den Freitag vorzubereiten, also des Tests, in dem die Bahn erfolgreich die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 nachgewiesen hatte.

Doch am Ende des Gesprächs zog Geißler ein Papier aus der Tasche: Statt den kompletten Stuttgarter Hauptbahnhof in einen Tiefbahnhof umzuwandeln, könnte man doch Regional- und Fernverkehr entkoppeln. Der Regionalverkehr würde dann weiterhin oberirdisch über einen etwas verkleinerten Kopfbahnhof abgewickelt, während der Fernverkehr unter die Erde in einen Durchgangsbahnhof verlegt würde. Auf diese Weise bekämen Projektgegner und -befürworter jeweils das, was ihnen wichtig sei, meinte Geißler. Kefer traute seinen Ohren nicht.

Nach wochenlangen Schlichtungen, einem monatelangen Stresstest und 3000 Arbeitsstunden, die die Gutachter des Schweizer Ingenieurbüros SMA investiert hatten, um das Testergebnis zu überprüfen, kam Geißler auf einmal mit diesem komplett neuen Vorschlag. Da hätte Kefer sein Sprüchlein bringen können. Da war er tatsächlich völlig verblüfft.

Statt aus 16 oberirdischen Gleisen acht unterirdische zu machen, wie es Stuttgart 21 vorsieht, würden bei Geißlers Kombimodell nur vier Gleise in einen Tiefbahnhof verlegt, während zehn bis zwölf oben blieben. Das hätte aus Sicht des Schlichters mehrere Vorteile. Vor allem bräuchte man nicht mehr gut 50 Tunnelkilometer, sondern nur 27, was die Baukosten erheblich senken würde. Das von Geißler beauftragte Ingenieursbüro SMA schätzt sie beim Kombimodell auf bis zu drei Milliarden Euro - statt der für S 21 veranschlagten 4,1 Milliarden. Kritiker wenden allerdings ein, dass darin noch nicht die Kosten für die Erneuerung des Kopfbahnhofs enthalten seien. Sie glauben, dass das Kombimodell mindestens genauso teuer wird wie S 21.

Nach Geißlers Vorschlag käme der viergleisige Tiefbahnhof unter die heutigen Kopfbahnhofgleise. Das heutige Bahnhofsgebäude würde seine Funktion behalten. Weil man unterirdisch nur die Hälfte der Gleise bauen würde, könnten die Bahnsteige dort breiter werden, beispielsweise 13 statt zehn Meter, was vor allem für Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen bequemer wäre. Beim Bau des Kombimodells würden weniger Parkflächen beeinträchtigt; verschont bliebe der Park aber nicht. Auch in diesem Fall müssten Bäume gefällt werden. Die Bedenken von Umweltschützern, was die unterirdischen Mineralquellen anbelangt, würden ebenfalls nicht entkräftet.

Die Zeitfrage als Knackpunkt

Aus Sicht der SMA "besticht die Kombinationslösung" jedoch vor allem durch die weitgehende Trennung von Nah- und Fernverkehr. Das eröffne ganz neue Perspektiven für den Nahverkehr. Auch könne der Kombibahnhof mehr als nur die 49 Züge pro Stunde abwickeln, die man bei dem Stresstest für S 21 als Zielvorgabe hatte. Das allerdings behauptet die Bahn auch für S 21 selbst. Insgesamt kommen Geißler und die SMA-Fachleute in ihrem 16-seitigen Papier zu dem Ergebnis, dass der Kombibahnhof "sehr robust bezüglich größerer Störungen" sei.

Stuttgart 21- Stresstest

Bahn-Technikvorstand Volker Kefer (links) mit Schlichter Heiner Geißler: "Überrascht ist noch ein milder Ausdruck."

(Foto: dpa)

Als Geißler seine Idee am Mittwoch Kefer präsentiert hatte, wollte der CDU-Politiker am liebsten sofort ein Signal: Ja oder nein, sollte Kefer sagen. Doch der dachte gar nicht daran. Stattdessen suchte er unmittelbar nach Geißlers Weggang das Büro von Bahn-Chef Rüdiger Grube auf. Der reagierte nicht weniger verblüfft.

Da Geißler mittlerweile auch Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) informiert hatte, leiteten die drei umgehend eine Telefonkonferenz mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ein. Man habe keine fünf Minuten gebraucht, um sich einig zu sein, dass der Vorschlag "zur Unzeit" komme, erzählt einer der Beteiligten. Ramsauer versuchte am nächsten Tag noch, Geißler die Idee auszureden, doch vergebens.

Insofern war die Bahn vielleicht tatsächlich ein bisschen überrascht. In jedem Fall aber war es Gerhard Heimerl. Der Verkehrswissenschaftler hatte die Idee eines Kombibahnhofs Ende der 80er Jahre entwickelt. Freitagabend saß er nicht vor dem Fernseher, wurde aber von einem Bekannten sofort angerufen. "Ich konnte zuerst gar nicht glauben, dass mein Uraltvorschlag plötzlich wieder rausgezogen wird", sagt Heimerl. Zumal es ja "gute Gründe" gegeben habe, warum man ihn weiterentwickelt habe.

Der Kombibahnhof sei gut, wenn man nur den Fernverkehr verbessern wolle. Betrachte man aber den gesamten Verkehrsknoten Stuttgart, sei ein kompletter Durchgangsbahnhof "deutlich überlegen". Vor allem könnten Regionalzüge, die sonst im Kopfbahnhof enden, bei S 21 weiterfahren. Fahrgäste müssten also seltener umsteigen.

Zudem würde bei einem Kombibahnhof die Stadt weiter von dem breiten Gleisfeld durchtrennt, während man bei S 21 hundert Hektar Fläche gewinnen würde. Mit ähnlichen Argumenten war das Kombimodell im Planfeststellungsbeschluss 2005 abgehandelt worden.

Kritiker von S 21 wie der Bahnexperte Michael Holzhey stehen dem Vorschlag durchaus positiv gegenüber: "Abgesehen davon, dass der Bau von Stuttgart 21 auf der Liste der Schienenprojekte nicht oberste Priorität hat, ist der Kompromiss ein guter, kein fauler." Eine Kombilösung sei wesentlich leistungsfähiger und stabiler. Auch berge der Bau weniger Risiken für den laufenden Betrieb der Bahn.

Der Knackpunkt sei aber die Frage, wie weit das Projekt zeitlich zurückgeworfen werde. Heimerl rechnet mit acht bis zwölf Jahren. Holzhey widerspricht: "Maßstab muss der realistische Fertigstellungstermin von S 21 sein, also etwa 2025. Den kann die Kombilösung durchaus erreichen, bei gutem Willen der Beteiligten." Und damit kommt es am Ende wohl doch wieder auf dasselbe an: den guten Willen der Beteiligten. Beim Kombimodell genau wie bei S 21.

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