Über die Feigheit der europäischen Politiker – Seite 1

Europa, der Euro und die Krise – über diese Themen haben sich unser Redakteur David Hugendick und der Schriftsteller Robert Menasse in einem E-Mail-Wechsel unterhalten. Da uns die umfassenden und argumentstarken Antworten des österreichischen Schriftstellers so gut gefielen, haben wir sie hier als Text zusammengefasst:

Die Geschichte der EU ist zunächst eine vernünftige Konsequenz aus der Geschichte, pragmatische Folge der Einsicht, dass sich die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, allesamt Produkt des Nationalismus und der Interessenskonflikte der Nationalstaaten, nicht mehr wiederholen dürfen. Die Idee war, die Ökonomien so miteinander zu verflechten, dass dies zu gemeinschaftlichem Handeln, Solidarität, nachhaltigem Frieden und gemeinsamen Wohlstand führt.

Der Vernunftgrund der EU ist also die Überwindung des Nationalismus in einer nachnationalen Entwicklung, vorangetrieben durch supranationale Institutionen. Das Problem ist heute: Die gegenwärtigen politischen Eliten Europas befördern wieder ein Denken in nationalen Kategorien – mehr noch: nationalistische Ressentiments – und wundern sich, dass die supranationale Union knirscht und kracht. Wenn supranationale Politik von Politikern gemacht wird, die in erster Linie sogenannte nationale Interessen verteidigen, dann führt das nur zu wachsenden Widersprüchen statt zu gemeinschaftlichen Lösungen.

Die gegenwärtige Krise der EU ist keine Finanzkrise – es ist doch absurd, dass am historisch höchsten Stand der Produktion gesellschaftlichen Reichtums auf dem reichsten Kontinent die für Infrastruktur und Gemeinwohl notwendigen Ausgaben plötzlich nicht mehr finanzierbar sein sollen. Nein, wir haben eine simple politische Krise, die Finanzkrise ist nur ihr Symptom, ein Ausschlag des Nationalismus in den eigentlich supranationalen EU-Institutionen.

Es gibt alle möglichen Vorstellungen davon, was eine Nation sei, die widersprüchlichsten Gefühle und Fantasien, die im Einzelnen einer Überprüfung in der Realität nicht standhalten, daher gibt es auch keine allgemeingültige Definition von "Nation". Materiell nachweisbar ist bei der Idee "Nation" nur, was sie an historischen Katastrophen produziert hat.

Die Nation ist abstrakt die EU konkret

Und jetzt stellen Sie sich vor: ein Franzose, ein Deutscher und ein Österreicher reden miteinander, und es fällt der Begriff "Nation": Alle nicken. Jeder glaubt, augenblicklich zu wissen, was gemeint ist. Dabei versteht zweifellos jeder etwas ganz anderes darunter. Kommt das Gespräch aber auf die "EU", beginnt sofort eine Auseinandersetzung, ohne gemeinsamen Nicken, jeder versteht, erwartet oder befürchtet etwas anderes. Ist es nicht grotesk? "Nation" ist ein Abstraktum, das jeder als etwas Konkretes zu verstehen glaubt, "EU" ist ein konkretes Projekt, das jeder als völlig abstrakt und abgehoben empfindet. Selbst die höchstdekorierten deutschen Intellektuellen und die neuesten französischen Philosophen sind bei ihren intellektuellen Höhenflügen nicht davor gefeit, immer wieder in den Niederungen der Stammtische zu landen und aufzutanken.

Wenn das also unbeirrbar und gegen alle Erfahrungen in den Köpfen ist, dann ist es für Politiker, deren Job ja von nationalen Wahlen abhängt, sehr riskant, der Öffentlichkeit zuzurufen: "Vergesst mal das nationale Geschwurbel! Wir bauen mit der EU rationalere Rahmenbedingungen für unser Zusammenleben auf!" Aber auch wenn ich das einsehe, ich verachte sie für ihre Feigheit, die dumm ist: Denn wer den Nationalismus unterfüttert, "weil die Menschen nun einmal so sind", wird von den Nationalisten hinweggefegt werden. Denn in der europäischen Union und in der globalisierten Welt kann nationaler Furor nie wirklich befriedigt werden. Und die Wut wird maßlos werden, wenn die Menschen begreifen, dass die "Verteidigung nationaler Interessen" von Anfang an ein Betrug war: Verteidigt werden ja nur die Interessen der nationalen politischen und wirtschaftlichen Eliten.

Was sind eigentlich "nationale Interessen"?

Nun gibt es aber historische Momente, in denen sich ganz kurz die Möglichkeit auftut, etwas zu verwirklichen, das kurz davor noch völlig unrealistisch erschienen ist . Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Auschwitz (als Chiffre für die grauenhafteste Konsequenz des Nationalismus) war ein solcher Moment. Im Bewusstsein, dass das Geschehene nie wieder passieren darf, haben Franzosen und Deutsche beschlossen, das Europa der verfeindeten Nationalstaaten zu überwinden, nationale Souveränitätsrechte aufzugeben und eine supranationale Institution zu schaffen.

Zunächst mit der Montan-Union zur gemeinsamen Kontrolle der kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl. Damit war die nachnationale Entwicklung eingeleitet. Es war unglaublich kühn und sehr riskant, das damals den Franzosen zu erklären: Sie waren die Sieger, und die Deutschen waren ein Volk von Kriminellen – und denen sollten Teile der Souveränität Frankreichs abgetreten werden? Aber es ist gelungen. Die Deutschen sollten sich mit unendlicher Dankbarkeit daran erinnern.

Es waren Menschen am Werk, die politisch wirklich Größe hatten. Ihre Visionen überwintern heute nur noch in Sonntagsreden – während Montag bis Freitag populistisch wieder die Fiktion "nationale Interessen" verteidigt wird . Erforderlich ist jetzt aber die Bereitschaft, eine radikale Reform der Organisationsform der EU in Angriff zu nehmen. Die aktuelle Krise der EU ist nämlich im Grunde die Folge ihrer mittlerweile überholten Kompromisse in der institutionellen Organisation der Gemeinschaft: Die europäischen Nationalstaaten haben sich supranationale Institutionen gegeben, aber mitten hinein, zwischen die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, eine Institution gesetzt, die die nachnationale Entwicklung systematisch behindert, indem sie nationale Interessen verteidigt, das ist der Rat. Der wachsende Widerspruch zwischen Integration und nationalen Sonderwünschen innerhalb der EU-Institutionen ist der Grund für die politische Blockade in Europa, die dann alle größeren und kleineren Probleme produziert, darunter eben auch die Haushaltskrise.

Primitive Rhetorik

Nun könnte man fragen: Gibt es nicht doch so etwas wie nationale Interessen? Darauf eine Gegenfrage: Wenn die Westdeutschen nicht mehr einsehen, dass es Transferzahlungen in die neuen Bundesländer geben muss, bauen wir dann wieder die Mauer? Wenn die Bayern nicht mehr einsehen, dass sie mehr in den Bund einzahlen, als sie bekommen, beginnen wir dann gleich wieder mit der deutschen Kleinstaaterei? Das ist doch lächerlich, oder? Aber wenn die Europäer aus Deutschland für Kredite der Europäer aus Griechenland bürgen sollen, dann wird allen Ernstes diskutiert, ob man Griechenland nicht besser bankrott gehen lassen und aus der Euro-Zone hinauswerfen soll? Das ist unernst.

Ernst wird es nur dadurch, dass dies allen Ernstes so diskutiert wird. Es ist bestürzend, wie schnell in Deutschland wieder die allerprimitivsten nationalistischen Vorurteile abgerufen werden konnten: DIE Griechen sind faul und korrupt, während WIR Deutschen fleißig arbeiten und unseren Haushalt in Ordnung halten. Hatte Deutschland nach 1945 nicht gewisse Lehren gezogen? Aber was sich jetzt an deutschen Stammtischen abspielt, die ihre Filialen nicht nur in der Bild , sondern auch in der FAZ eröffnet haben, und wie sich die Rhetorik bestimmter Teile der politischen und wirtschaftlichen Eliten dem Gerülpse von Vorstadtschlägern annähert, ist schockierend.

Die Deutschen haben an den Griechen gut verdient

Wenn ein solch verächtlicher Nationalismus heute wieder möglich ist, dann muss man mit Nachdruck auf ein paar Fakten hinweisen: Woher kommen die griechischen Schulden? Zu einem beträchtlichen Teil auch daher, dass der griechische Staat sehr teuren, unnützen Krempel in Deutschland eingekauft hat, vor allem Waffen, also Kriegsspielzeug. Das ist eine Meisterleistung der deutschen Verkäufer gewesen: einem Nato-Mitglied einzureden, es müsse gegen die Türkei, ein anderes Nato-Mitglied, aufrüsten. Ein EU-Mitglied müsse sich militärisch gegen einen EU-Beitrittskandidaten verteidigen können. Was werfen die Deutschen den Griechen also vor? Dass sie ihnen wie geschmiert so viele Waffen verkaufen konnten, bis sie pleite waren.

Wo sind da jetzt die "nationalen Interessen"? Der deutsche Steuerzahler fühlt sich in seinem Deutschtum gewiss nicht besser, wenn Griechenland sich unnütz militärisch aufrüstet. Und die griechischen Steuerzahler haben auch kein Interesse daran, dass ihre Regierung deutsche Waffen und U-Boote kauft, für die sie dann selbst Lohnkürzungen und Steuererhöhungen hinnehmen müssen, um sich dann auch noch sagen lassen zu müssen: "Ihr habt lange genug über Eure Verhältnisse gelebt!" Im Übrigen: Die griechischen Schulden belaufen sich auf zwei Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes – die USA wären glücklich, wenn Kalifornien nur diese Schulden hätte.

Auffällig ist jedenfalls, welche unrühmliche Rolle in dieser anschwellenden Krise der Europäische Rat gespielt hat. Es war der Rat, der zunächst bei der Euro-Einführung eine begleitende gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik verhindert hat. Jeder wusste, dass eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Finanzpolitik ein Unding ist. Der Rat hat dann auch die Maastrichter Stabilitätskriterien aufgehoben, als es Deutschland und Frankreich so passte, weil sie selbst die Kriterien nicht erfüllen konnten. Deutschland und Frankreich wollten einer Abmahnung durch die Kommission entgehen – das erst hat die Schleusen einer fahrlässigen Budgetpolitik geöffnet, an deren Ende dann Deutschland glaubt, die Griechen bestrafen zu müssen.

 Das Europäische Parlament, eine Sondermülldeponie

Und dann war es der Rat, der die Hilfe für Griechenland, als sie noch billig zu haben war, so lange verhindert hat, bis sie auf Grund der schwindelerregend steigenden Risikozinsen schockierend teuer wurde. Auch das ein Grund, warum alle, die sich mit Herz und Hirn mit der EU beschäftigen, zu diesem Punkt kommen: Was jetzt überlebensnotwendig ist, ist eine Reform des institutionellen Gefüges der EU, ein Zurückdrängen und letztlich das Abschaffen des Rats.

Und wenn der deutsche Otto jetzt fragt: "Und wer bitte soll dann meine Interessen in der EU vertreten?", sollte er sich zunächst einmal selbst die Frage stellen, was denn seine Interessen sind.

Ob es zum Beispiel in seinem Interesse ist, dass sein Geld abschlägt, weil die deutsche Kanzlerin eine gemeinsame europäische Finanzpolitik verhindert, im Glauben, den Finanzplatz Frankfurt vor "Zugriffen von Brüssel" schützen zu müssen. Und dass sie nach langem Eiertanz eine "Wirtschaftsregierung" vorschlägt , die ein Betrug ist: Denn das, was sie so nennt, haben wir bereits, nämlich die Treffen der Staatschefs der großen Länder im Rat. Was sie also als Lösung der Krise vorschlägt, ist, dem Rat, der die Krise verursacht hat, jetzt zusätzlich den Titel "Krisenmanager" zu geben. Man kann nicht einmal sagen, dass dadurch der Bock zum Gärtner gemacht wird, sondern: Der Bock, so Merkels Vorschlag, soll ab jetzt Gärtner genannt werden.

Eine europäische Medienpolitik ist nötig

Es ist übrigens bestürzend, wie undurchsichtig dieser simple Sachverhalt in den deutschen Medien dargestellt wurde. "Merkel doch für europäische Wirtschaftsregierung" war gut für Schlagzeilen, aber dass sie im Grunde gesagt hatte: "Raider heißt jetzt Twix", wurde nicht mehr reflektiert. Es ging nur noch darum, ob "wir Deutschen" noch mehr Souveränität an Brüssel abgeben werden müssen. Hier zeigt sich ein großes Versäumnis der EU-Politik: Eine europäische Medienpolitik wurde komplett vergessen. Eine nachnationale Union, in der es nur nationale Medien von Einfluss gibt – das kann ja nur zu beschränkten Sichtweisen im öffentlichen Diskurs führen!

Eine europäische Medienpolitik wäre ein unbedingtes Desiderat. Was wäre, wenn zum Beispiel deutsche Lehrer über europäische Medien die Information erhielten, dass griechische Lehrer bei etwa gleichen Lebenskosten nur 800 Euro Monatsgehalt bekommen, von denen ihnen nun wegen des Gegrummels von Frau Merkel 20 Prozent gestrichen werden sollen? Oder wenn deutsche Taxifahrer wüssten, dass ihre griechischen Kollegen auf vielleicht 500 Euro im Monat kommen. Ob sie dann noch immer den Quatsch von den "faulen Griechen , die über ihre Verhältnisse leben" nachbeten würden? Oder würden sie sich dann nicht eher mit ihren griechischen Kollegen solidarisieren?

Jedenfalls: Wenn Otto jetzt darüber nachgedacht hat, was denn seine Interessen sind, sollte er die Vertreter seiner Interessen wählen. Dazu gehört das europäische Wahlrecht reformiert. Gegenwärtig ist es so, dass er zweimal in Hinblick auf die europäische Politik wählt, einmal merkt er es gar nicht, das ist bei den Bundestagswahlen, und einmal interessiert es ihn nicht, das ist bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Bei den Bundestagswahlen fragt sich doch kein Wähler, welcher der Spitzenkandidaten ein vernünftiger Europapolitiker wäre. Aber nach der Wahl sitzen die Gewählten im Rat und sollen Europapolitiker sein!

Und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament kann der Wähler nur nationale Listen wählen. Nationale Parteien schicken die Abgeordneten in das Europäische Parlament, dem vom Rat die vollen parlamentarischen Rechte verwehrt wurden. Es kann ja sein, dass ein Kandidat einer nationalen Liste ein engagierter europäischer Parlamentarier wird. Das ist dann ein Glück. Aber in diesem System angelegt ist es nicht. Ich finde, die europäische Demokratie darf keine Glückssache sein. Wissen Sie, wie viele Kandidaten auf den Listen, die die nationale Parteien für die Europawahlen aufstellen, bloß nach Brüssel entsorgt werden, weil sie innenpolitisch gescheitert sind und ihre Parteien nicht wissen, wohin mit ihnen? Ich finde, das Europäische Parlament darf auch keine politische Sondermülldeponie sein. Jedenfalls ist es kein Wunder, wenn so viele Wähler kein Interesse an diesem Parlament haben.

Der Europäische Rat gehört abgeschafft!

Mit dem Lissabon-Vertrag wurde das Parlament zwar aufgewertet, aber zu einem viel zu teuren Preis: Gleichzeitig wurde auch der Rat aufgewertet und gestärkt, er hat einen eigenen Präsidenten bekommen, was eine Meisterleistung der politischen Selbstblockade darstellt: Jetzt hat der Rat sozusagen zwei Präsidenten, nämlich den wechselnden des jeweiligen Vorsitzlandes und den ständigen Präsidenten. Dazu kommt der Kommissionspräsident , der davor noch als der "EU-Präsident" galt, aber jetzt in eine Art Paralleluniversum abgeschoben ist. Und dann haben wir noch den Parlamentspräsidenten, dessen Kommunikation mit der Kommission, die ja das Initiativrecht besitzt, zwischen den Mühlsteinen des Rats zermahlen wird. Das ist eine groteske Konstruktion, das ist der Sündenfall des Lissabon-Vertrags: Die halbherzige Aufwertung des Parlaments wurde mit der realen Blockade der EU-Politik erkauft. Daher noch einmal: Abschaffung des Rats, Ausstattung des Parlaments mit allen Rechten eines entfalteten souveränen Parlamentarismus, Wahl der Abgeordneten nicht mehr in der Nation, sondern in den Regionen. War uns das nicht versprochen? Ein nachnationales Europa der Regionen?

Den Wienern zum Beispiel ist Bratislava oder Sopron im Grunde viel näher als Bludenz oder gar Klagenfurt. Welche national-patriotischen Interessen sollten sie mit den Bludenzern oder Klagenfurtern teilen? Wenn sie mit Bludenzern gemeinsame Interessen haben, dann hat das doch nichts mit "Österreich" zu tun. Also, die Regionen, die natürlich nicht an den ohnehin schon verschwundenen nationalen Grenzen Halt machen, wählen Abgeordnete ins Parlament. Das Parlament wählt die Kommissare. Die Kommission, heute schon die einzige wirkliche europäische Institution, entwickelt die Gesetzesvorlagen und Richtlinien, über die das Parlament dann abstimmt.

Der Nationalismus stirbt ab

So können die großen Rahmenbedingungen definiert werden, die Finanz-, Wirtschafts-, Steuerpolitik, und was regional entschieden werden kann, bleibt bei den regionalen Parlamenten. Das alles wäre nachvollziehbar, wählbar und abwählbar, würde das Bewusstsein jedes Einzelnen als Europäer stärken und entspräche auch dem Selbstverständnis der Menschen als in ihrer Region verwurzelte Europäer. Der Nationalismus stirbt ab, mittelfristig kann man auch die nationalen Parlamente abschaffen. In so einem Europa müssten wir uns nicht mehr mit so irrationalen Phänomenen herumschlagen, wie zum Beispiel, dass der Herr Cameron, obwohl seine Nation nicht einmal bei der europäischen Währungsunion mitmacht, eine gemeinsame europäische Finanzpolitik blockieren kann, um seinen Finanzspekulationsmarkt London City zu schützen. Dann könnte er sich konzentrierter mit der Frage beschäftigen, warum wegen seiner nationalen Politik halb England brennt. Das wäre also für alle viel besser.

Wem das zu utopisch klingt: Die Römischen Verträge waren ein Jahr vor ihrer Unterzeichnung noch utopischer. Der Mauerfall war noch am Tag davor völlig utopisch. Wenn es eine historische Erfahrung unserer Generation gibt, dann diese: Die sogenannte pragmatische Vernunft der sogenannten Realisten hat sich dramatisch lächerlich gemacht. Es ist auf Grund unserer Erfahrungen die Pflicht unserer Generation, den politischen Eliten immer wieder zuzurufen: "Denk an die Römischen Verträge und erinnere dich an den Fall der Berliner Mauer! Es ist viel mehr möglich, als Du für machbar hältst!"

Aber die Abschaffung des Rats wird mit den gegenwärtigen politischen Eliten nicht zu machen sein. Es muss womöglich erst alles zusammenbrechen, die politischen Sonntagsredner werden vor den rauchenden Trümmern ihrer Politik stehen müssen – um dann erst die Größe aufzubringen, ganz betroffen wieder einmal zu sagen: "Wir wollen eine Welt aufbauen, in der das nie wieder passieren kann!"