Wenn es jemand wissen muss, dann sie. Christine und Dieter, 75 und 82 Jahre alt. Am vergangenen Sonntag sitzen sie schon anderthalb Stunden vor Anpfiff im Stadion von Turbine Potsdam, zum ersten Mal zwei Reihen höher als in den Vorjahren, damit sie nicht mehr so viele Treppen steigen müssen. Dieter trägt das Trikot von Bianca Schmidt, Christine das von Anja Mittag. Sie sind Frauenfußball-Experten. Ist er schon da, der WM-Boom? Christine schaut links, schaut rechts. "Noch sehe ich nichts, aber es ist ja auch noch über eine Stunde Zeit", sagt sie.

Christine und Dieter haben zu Hause vor dem Fernseher nur zwei WM-Spiele verpasst. Sie wissen das so genau, weil sie nach Schlusspfiff alle Ergebnisse in den Spielplan ihrer Programmzeitschrift eingetragen haben und zwei Felder immer noch leer sind. Die Beiden haben mit der deutschen Mannschaft gefiebert, sich erst gefreut und dann auf die Bundestrainerin Silvia Neid geschimpft, weil sie Birgit Prinz nicht hat spielen lassen. Und sie haben sich gefragt, was die WM wohl mit ihrem Sport machen wird.

Vor einem Monat, in den drei WM-Wochen , katapultierte sich eine Sportart so schnell ins öffentliche Bewusstsein wie nie zuvor. Zehntausende saßen in den Stadien, Millionen vor den Fernsehern. Für wenige Wochen gehörte der Fußball den Frauen. Es gab Live-Übertragungen und Titelseiten, Feuerwerke und Trauertränen.

Schon damals war unklar, wie viel Euphorie sich in den Alltag retten lässt, in die Stadien der Frauenfußball-Bundesliga, die nicht nach Versicherungskonzernen oder Großbrauereien benannt sind, sondern nach Sozialisten oder Physikern. War der Frauenfußball ein Sport für einen Sommer oder war der eine Sommer erst der Anfang? Beim Saisonauftakt des Deutschen Meisters Turbine Potsdam gegen den Hamburger SV gab es keine eindeutige Antwort.

Jene, die auf den Boom hoffen, bauen auf den Wiedererkennungswert. Und da waren sie, die bekannten Gesichter: Babett Peter, die Potsdamer Abwehrchefin, die auch in der DFB-Abwehr zu den Besten gehörte. Genoveva Anonma, die Frau aus Äquatorialguinea, die sich während der WM gegen Vorwürfe wehren musste, sie sei ein Mann und in die WM-Allstar-Auswahl berufen wurde. Und da ist noch Yuki Nagasato, die Japanerin, die immer so nett lächelt. Auf sie sind sie in Potsdam besonders stolz, eine echte Weltmeisterin .

Das erste Tor ist ein WM-Tor. Nach acht Minuten köpft Nagasato einen langen Ball vor die Füße von Anonma, die zum 1:0 trifft. Martin, Benny und ihre Freunde applaudieren, nicken sich anerkennend zu. Zu fünft stehen sie auf der Gegengeraden, da, wo die Karten nur vier Euro kosten. Die Studenten sind das erste Mal beim Frauenfußball. "Ich bin überrascht, dass es so voll ist", sagt Benny.

Sonst gehen sie zum SV Babelsberg, dem Drittligisten, der ebenfalls im Karl-Liebknecht-Stadion spielt. Früher fuhren sie auch mal zur Hertha nach Berlin. Das war auf Dauer aber zu teuer, außerdem mögen sie das Olympiastadion nicht, wegen der Laufbahn. In Potsdam stehen Martin und Benny so nahe am Spielfeld, dass sie die Spielerinnen schnaufen hören.

Glauben sie an einen Frauenfußball-Boom? "Kein Boom, es wird eher ein schleichender Prozess sein", sagt Benny. Ein Freund von ihnen hatte die Turbine-Idee. Er schrieb eine Rundmail über Facebook. "Die ersten Antworten klangen noch skeptisch, es wurde gewitzelt", sagt Martin. Dann sind sie aber doch gegangen, wegen der WM. Das Turnier habe ein paar Kneipenklischees verändert. "Da waren sauspannende Spiele dabei", sagt Martin. Ihm fällt ein, wie die USA im Viertelfinale Brasilien schlugen.