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Goebbels-Zitat Geißlers Starrsinn erschwert S21-Kompromiss

Heiner Geißler sorgt für Wirbel: Er beharrt auf seinem Goebbels-Zitat vom "totalen Krieg". Damit entpuppt er sich als unsensibler Rechthaber und riskiert sein politisches Vermächtnis. Aber noch mehr beschädigt der S21-Schlichter seinen eigenen Kompromissvorschlag im Bahnhofsstreit.
S-21-Schlichter Geißler: Mit jedem Interview vergaloppiert er sich mehr

S-21-Schlichter Geißler: Mit jedem Interview vergaloppiert er sich mehr

Foto: dapd

Berlin/Stuttgart - Er wollte längst in seinen geliebten Bergen sein. Nur weg vom Stuttgarter Kessel, wo der Zank um den geplanten Bahnhof kein Ende findet, wo es weiter brodelt.

Aber das geht jetzt nicht. Denn Heiner Geißler muss mal wieder Recht behalten. Dafür gibt er in diesen Tagen nicht nur seine Gebirgspläne dran, er riskiert sogar sein politisches Vermächtnis: Mit jedem Interview, das der ehemalige CDU-Generalsekretär seit Dienstagmorgen gibt, galoppiert er weiter in die falsche Richtung.

Was ist passiert?

Am Freitagabend - die Luft im mittleren Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses ist verbraucht, viele Stunden haben die Streitparteien hier im vierten Stockwerk schon zusammengesessen, ohne dass man sich auch nur ein bisschen nähergekommen wäre - unterläuft Geißler ein verbaler Fehlgriff: "Wollt ihr den totalen Krieg?", fragt er in die Runde. Eine rhetorische Frage natürlich - aber ein Zitat von Joseph Goebbels, dem Propagandaminister des Dritten Reichs.

Das wissen wohl die meisten im Saal, deshalb zuckt manch einer kurz zusammen. Geißler redet weiter, spricht über die Unvereinbarkeit der Positionen im Bahnhofsstreit und darüber, dass ein Konsens ausgeschlossen scheint. Dann lässt der Schlichter einen Kompromissvorschlag verteilen, von dem außer wenigen Eingeweihten keiner wusste: eine Mischung aus dem bisherigen Kopf- und dem geplanten Tiefbahnhof. Eine spektakuläre Wendung, die am Wochenende breit diskutiert wird. Der Goebbels-Satz ist plötzlich Nebensache.

Das ändert sich am Dienstagmorgen. Denn da gibt Geißler dem Deutschlandfunk ein Interview,  in dem er auch auf sein Zitat angesprochen wird. Anstatt einzuräumen, dass er damit daneben lag, tut Geißler jedoch das Gegenteil: Er rechtfertigt die Verwendung. Weil der Interviewer nicht locker lässt, verheddert sich Geißler weiter: streitet die Goebbels-Konnotation ab, attackiert den Fragesteller. Schließlich sagt er: "Wenn Leute sich wegen etwas Unsinnigem empören, kann ich sie nicht daran hindern."

In diesem Moment ist Heiner Geißler, 81, nur noch ein alter, starrsinniger Mann. Das ist traurig. Vor allem für Geißler selbst. Mag sein, dass er bei dem Interview mit akustischen Problemen zu kämpfen hatte, zumal Geißler trotz elektronischer Hilfe nicht mehr einwandfrei hört. Auch sein Alter darf in einem Live-Gespräch als mildernder Umstand gelten. Aber das schlimme ist: Geißler will seinen Fauxpas einfach nicht einsehen.

Geißler legt immer wieder nach

"Jedes Mal, wenn man etwas aus der Nazi-Zeit auch nur erwähnt, werden manche Leute nervös und verrückt", sagte Geißler inzwischen der "Passauer Neuen Presse". Er verstehe die Aufregung nicht: "Wenn ich in der Nähe von Goebbels bin, ist der Playboy das Mitteilungsblatt des Vatikans." Und überhaupt - das inkriminierte Zitat habe "schon Winston Churchill verwendet, und Prinz Heinrich von Preußen an Friedrich den Großen", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Noch fataler als der Schaden, den sich Geißler selbst zufügt, dürften allerdings die Konsequenzen für seinen Bahnhofskompromiss sein. Manche der S21-Befürworter, denen der Schlichter mit seinem überraschenden Vorschlag in die Quere gekommen ist, stürzen sich nun voller Wonne auf Geißler. Weil sie genau wissen, dass die Kombi-Variante weniger Chancen hat, wenn ihr Urheber beschädigt ist.

Die heftigsten Attacken kommen aus der FDP, der Geißler in seinem denkwürdigen Rechtfertigungsinterview Denkblockaden vorgeworfen hatte. "Total daneben" nennt Generalsekretärin Gabriele Heise das Goebbels-Zitat. "Die Aufhetzung unter dem Unrechtsregime der Nazis eignet sich nicht für launige Vergleiche." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht von einem weiteren "verwirrenden Auftritt" Geißlers, diesem gehe es nur um Eigenprofilierung. "Er sucht die mediale Aufmerksamkeit, damit er als Jopie Heesters des Politikbetriebs noch mit 100 Jahren in den Talkshows sitzen kann."

Scharfe Kritik ist auch aus der SPD zu hören. Anders als der grüne Koalitionspartner von Ministerpräsident Winfried Kretschmann sind die Sozialdemokraten für S21. Fraktionschef Claus Schmiedel attestiert dem Schlichter "Verbalradikalismus", Geißler habe in seiner Wortwahl jedes Maß verloren.

Sie schlagen auf Geißler ein - und treffen sein Kombi-Modell.

"Man muss zuspitzen, damit man gehört wird", sagt Geißler. Das ist ihm zweifellos gelungen, so wie er schon als CDU-Generalsekretär mit heftigen Vergleichen aufhorchen ließ und gleichzeitig die politischen Gegner zur Weißglut trieb. Aber diese Überspitzung und die fehlende Einsicht - das scheint Geißler nicht zu begreifen - werden seiner Sache überhaupt nicht nützen.

Geißlers Analyse der Lage in Stuttgart trifft zu

Ja, die Lage in Stuttgart ist verfahren. Und Geißler dürfte richtig liegen, wenn er prophezeit, der Stadt drohe im Falle des geplanten Volksentscheids eine noch tiefere Spaltung. Aus dieser Überlegung heraus entstand sein Kombi-Vorschlag, erarbeitet mit den Fachleuten der Schweizer Firma SMA. Das sind immerhin jene Experten, die gerade im Auftrag der Bahn das S-21-Konzept begutachtet haben. Die Mischung aus Tief- und Kopfbahnhof könnte Stuttgart befrieden, glaubt Geißler. Derzeit prüft die Landesregierung die Variante auf Leistungsfähigkeit und Kosten, auch im Bundesverkehrsministerium nimmt man es genauer unter die Lupe. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer - grüner Verkehrsexperte und ein Wortführer der S21-Gegner - legte in einem Gastbeitrag für die "FAZ" bereits dar, warum er Geißlers Vorschlag überzeugend findet.

Aber die friedensstiftende Kraft der Kombi-Variante schmilzt dahin, da ihr Erfinder sich selbst demontiert.

In der Südwest-CDU äußert sich interessanterweise niemand aus der ersten Reihe zu Geißlers Goebbels-Zitat. Womöglich aus gutem Grund. Denn der eben erst gewählte neue Landesvorsitzende Thomas Strobl fiel im S21-Streit einst selbst mit einer peinlichen Entgleisung auf, in der Hitlers oberster Hetzer eine Rolle spielte. Strobl, seinerzeit Generalsekretär der Christdemokraten in Baden-Württemberg, verschickte im November 2010 einen Newsletter mit einem Foto des prominenten Bahnhofsgegners und Schauspielers Walter Sittler. Darunter stand: "Sein Vater war Nazi-Funktionär und arbeitete für Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: Walter Sittler, Propagandist der S21-Bewegung".