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Junge Psychotherapeuten: Voller Einsatz - kein Gehalt

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Junge Psychotherapeuten Voller Einsatz - kein Gehalt

Manche bekommen ein paar hundert Euro, andere exakt null Cent. Und während angehende Psychotherapeuten in Kliniken schuften, zahlen sie zugleich für ihre Theorie-Ausbildung. Um sich das leisten können, leben sie oft auf Pump. Jetzt beginnen die "PiAs", sich gegen Ausbeutung zu wehren.
Von Anne Passow

Diagnosen, Patientengespräche, Therapiesitzungen - Sarah Eckhardts Tag ist vollgestopft mit Aufgaben, als sie im Frühjahr 2010 in einem großen Krankenhaus in Berlin zu arbeiten beginnt. Die Psychologin, die gerade ihr Diplom in der Tasche hat, absolviert das sogenannte Psychiatriejahr. Es ist Teil der Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und fordert ihren ganzen Einsatz.

Sie hat viel Verantwortung, eine 30 Stunden-Woche plus Überstunden - und bekommt dafür am Ende des Monats knapp 160 Euro netto. Viel zu wenig, findet die 31-Jährige.

So sieht es auch Christiane Behrendt, 27. Bis zum letzten Frühjahr machte die Diplom-Psychologin ihr Psychiatriejahr in einer Lübecker Klinik. "Ich habe dort Patienten behandelt, Gruppen geleitet und über die Suizidalität von Einzelnen mit entschieden", sagt sie. Weil die Klinik in keiner so beliebten Stadt wie Hamburg oder Berlin lag, bekam Christiane Behrendt immerhin etwa 900 Euro netto für ihre Arbeit. Zufrieden ist sie damit aber nicht: "Ich habe schließlich die gleiche Arbeit wie eine ganz normale Psychologin gemacht."

Wie Sarah Eckhardt und Christiane Behrendt entscheiden sich viele Psychologiestudenten nach ihrem Diplom- oder Masterstudium für eine psychotherapeutische Ausbildung - nur damit können sie später psychotherapeutisch arbeiten, ob in der Klinik oder in der eigenen Praxis. Seit 1999 schreibt das Psychotherapeutengesetz die mindestens dreijährige Ausbildung vor. Neben der praktischen Arbeit in der Klinik gehört auch ein umfangreicher Theorieteil dazu.

20.000 bis 30.000 Euro kostet die Ausbildung

Das Problem: Für ihren Arbeitseinsatz in den Kliniken erhalten die Psychotherapeuten in Ausbildung (kurz: PiAs), oft keinen Cent. Das bestätigt auch ein Forschungsgutachten , das in der Zeit von 2008 bis 2009 das Bundesministerium für Gesundheit erstellen ließ.

"Ungefähr die Hälfte der PiAs bekommt überhaupt keine Vergütung, die andere Hälfte bekommt etwas, das von ganz wenigen Euro bis zu einem vollen Gehalt reicht", sagt Bernhard Strauss. Der Diplom-Psychologe an der Uni Jena leitete die Untersuchung. Reichlich Verantwortung tragen die PiAs trotzdem. Strauss: "Sehr viele haben die Funktion eines Mitarbeiters, das heißt, sie tun das, was eigentlich angestellte Psychologen oder Ärzte machen."

Psychotherapeuten: Hängepartie in der Ausbildung

"Ausbeutung" nennen die Psychotherapeuten in Ausbildung diese Praxis inzwischen und fangen an, sich dagegen zu wehren. Anfang Juni demonstrierten knapp 200 PiAs in Berlin für eine angemessene Bezahlung ihrer Arbeit. Teilweise lenken die Kliniken inzwischen ein. So zahlt die Vivantes-Klinik in Berlin seit Juli nun 400 Euro brutto, statt 200 Euro. "Das ist schon etwas, aber immer noch sehr wenig Geld", sagt Sarah Eckhardt. Sie hat die Proteste in Berlin mit organisiert.

Denn die PiAs bekommen nicht nur wenig oder keinen Lohn - sie müssen auch noch zahlen für die theoretische Ausbildung. Monatlich 380 Euro überweist Sarah Eckhardt an ihr Ausbildungsinstitut; 340 Euro sind es bei Christiane Behrendt. Die Gesamtkosten summieren sich laut Gutachten im Laufe der Jahre auf 20.000 bis 30.000 Euro.

Was tun? Na, Schulden machen eben

Wie stemmen die jungen Psychologen diese Summen? "Indem ich Schulden mache", sagt Sarah Eckhardt. Sie hat von ihren Eltern Geld geliehen und einen Bildungskredit aufgenommen. Auch Christiane Behrendt ist mit Ende 20 noch auf die Unterstützung der Eltern angewiesen; seit kurzem verdient sie sich mit einem Halbtagsjob in einer Psychiatrie etwas dazu.

"Das ist kein Zustand", findet Robin Siegel. Der PiA-Sprecher im Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) arbeitete selbst ein Jahr lang an einer Essener Klinik - fast die ganze Zeit ohne Gehalt. Er fordert eine stärkere Anleitung durch erfahrenes Personal und eine der Verantwortung angemessene Bezahlung.

"Vergleichbare Modelle findet man zum Beispiel bei Sozialarbeitern im Anerkennungsjahr. Die bekommen zwei Drittel des Sozialarbeitergehaltes", so Siegel. Auch im Gutachten empfehlen die Forscher klarere Richtlinien zu den Tätigkeiten und Lernziele der PiAs sowie eine Standardvergütung, "die einen beträchtlichen Anteil eines normalen Gehaltes beträgt", so Bernhard Strauss.

Im Gesundheitsministerium denkt man derweil darüber nach, künftig - ähnlich wie in der Medizin - ein Studium der Psychotherapie als Direktstudium einzuführen, das mit einer Approbation endet und mit einer berufsbegleitenden Weiterbildung fortgesetzt wird. "De facto macht dies eine komplette Überarbeitung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen notwendig", so Ministeriumssprecher Roland Jopp. Damit ist in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr zu rechnen.

Immerhin gute Berufsaussichten

Für Sarah Eckhardt und Christiane Behrendt heißt das: trotz vollem Arbeitsalltag weiter auf Pump leben und alles geben, um die Ausbildung bald abzuschließen. Beide sind überzeugt davon, dass sich ihr Einsatz lohnt. Denn die Jobaussichten nach der kostspieligen Ausbildung sind gut.

"Sehr viele bekommen schon während der Ausbildung einen Fuß in die Tür und haben dann zum Ausbildungsende gleich eine feste Stelle. Dass ein fertiger Psychotherapeut keinen Job findet, ist nicht der Normalfall", sagt Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BptK).

Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verdient ein niedergelassener Psychotherapeut mit eigener Praxis durchschnittlich 65.500 Euro brutto im Jahr; davon gehen die Praxiskosten noch ab. Etwa 40.000 sind es bei einem angestellten Psychotherapeuten in einer Klinik (30 Jahre alt, kinderlos, männlich), so die Deutsche Krankenhausgesellschaft.

Christiane Behrendt fasziniert vor allem der Kontakt zu den unterschiedlichen Menschen: "Mir macht es Spaß, ihnen zum Beispiel dabei zu helfen, einen Weg aus ihrer Depression zu finden. Das ist genau das, was ich machen möchte." In zwei Jahren will sie ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin abschließen, sich dann ihren Traum erfüllen und eine eigene Praxis eröffnen.

KarriereSPIEGEL-Autorin Anne Passow (Jahrgang 1979) hat in Leipzig und Lima (Peru) Hispanistik, Germanistik und Journalistik studiert. Seit 2010 arbeitet sie als freie Journalistin in Hamburg und Umgebung.