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S.P.O.N. - Im Zweifel links Zwei Helmuts für Europa

Der Euro ist bedroht - und mit ihm Europa. Die Bundesregierung schwankt zwischen Unentschlossenheit und kurzsichtigem nationalen Egoismus. Es ist an der Zeit, dass die Vorväter sich zusammentun: Helmut Schmidt und Helmut Kohl sollten gemeinsam einen Appell an ihre Nachfolgerin richten.

Begeisterung ist nicht ihr Fach. Vor dem Euro-Treffen in Brüssel hat Angela Merkel vor zu hohen Erwartungen gewarnt. "Eine große Sehnsucht" gebe es, hat Merkel gesagt, nach einem "abschließenden, einem einzigen großen Schritt - am besten spektakulär", mit dem die seit zwei Jahren schwelende Krise der europäischen Währung behoben werden könne. Einen solchen Schritt werde es aber nicht geben - sondern "einen kontrollierten und beherrschten Prozess aufeinanderfolgender Schritte und Maßnahmen".

Es ist das eine, Erwartungen nicht zu sehr hochzuschrauben, damit die Ergebnisse nicht neue Enttäuschungen bringen. Das andere aber ist zu erkennen, wann die Zeit gekommen ist, den Schutz des Nebels zu verlassen und ins Licht zu treten.

Die Dinge sind kompliziert. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble versuchen, zwischen den Erwartungen der Wähler und den Gesetzen der Märkte hindurchzusteuern, ohne einem dieser beiden Ungeheuer zu nahe zu kommen. Aber den Weg des Odysseus gibt es hier nicht: Wenn die Wähler zufriedengestellt werden sollen und die Märkte sich an den Kosten der Krise beteiligen, dann werden die Kosten dieser Krise immer weiter wachsen. Das ist der teuflische Mechanismus der Märkte, das ist aber auch ihre Ehrlichkeit. Wenn man die Gesetze der Märkte nicht außer Kraft setzt - Regulation! -, dann sollte man sich nach ihnen richten. Dazwischen gibt es nichts. Warten, Pragmatismus, Populismus, nationaler Egoismus, das übliche Repertoire des zeitgenössischen Politikers, führen in dieser Lage nicht weiter.

Es gibt in der Politik eine Kraft, die erstaunliche Dinge vermag. Sie macht das Ganze größer als die Summe der Teile, ihre Rechnung folgt nicht mehr buchhalterischen Regeln, sie schaltet die Gesetze der politischen Schwerkraft lange genug aus, dass beim Aufstieg zum Gipfel eine Menge Höhenmeter auf einmal zu überwinden sind. Diese Kraft heißt Vertrauen. Vertrauen schafft Hoffnung, und Hoffnung gibt Stärke.

Merkel hat Mühe mit Hoffnung und Vertrauen. Es sind Faktoren, die sich dem Machtpragmatismus entziehen. Sie schöpfen aus anderen Quellen als das politische Kalkül. Unter den gegebenen Umständen ist das geradezu tragisch. Denn Merkel muss eine Währungskrise lösen. Währung aber besteht überhaupt nur aus Hoffnung. Und Geld ist nichts anderes als greifbares Vertrauen. Aber es liegt darin auch die große Chance dieser Kanzlerin, über sich selbst hinauszuwachsen. Wenn sie Interesse an einem Platz in den Geschichtsbüchern hat - hier wäre einer. Und er ist, wieder einmal, mit Europa verbunden.

Die deutschen Väter des Euro

Europa ist das Schicksalsthema fast aller deutschen Kanzler. Gerhard Schröder hatte seine Zeit im Windschatten der Geschichte. Es gab für ihn keine europäische Herausforderung. Aber die anderen mussten sich daran messen lassen, was sie für Europa getan haben. Ihre großen Leistungen wurden für Europa errungen: Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl - jeder war auf seine Weise ein Europäer, jeder hat das Seine getan, den deutschen Platz in Europa zu finden und zu festigen.

Helmut Schmidt und Helmut Kohl sind die Väter des Euro. Schmidt, der von Wirtschaft etwas versteht und von der politischen Bedeutung der Wirtschaft, hat 1979 gemeinsam mit Giscard d'Estaing das europäische Währungssystem geschaffen und damit den Grundstein für den Euro gelegt. Helmut Kohl, den die Wirtschaft nicht gekümmert hat, der aber von Politik umso mehr verstand und von der Bedeutung, die Europa für Deutschland birgt, hat das Werk gemeinsam mit François Mitterrand vollendet.

Helmut Schmidt und Helmut Kohl - beide haben sich schon mehr oder weniger offensiv zum Thema geäußert- sollten jetzt nicht abseits stehen, wenn es darum geht, diesen größten Fortschritt in der europäischen Einigung zu bewahren.

Deutschland ist auf dem Kontinent das stärkste Land, im globalen Maßstab aber nicht mehr als eine Mittelmacht. Ohne die immer weitergehende Integration hat Deutschland in Europa von einem Tag auf den anderen keine Freunde mehr - sondern nur argwöhnische und misstrauische Nachbarn. Dafür muss man die Nazi-Geschichte nicht einmal bemühen. Dafür genügen die heutigen Kräfteverhältnisse allemal. Allerdings haben die europäischen Länder für deutsche Großmannssucht und eigenes Leid ein besseres Gedächtnis, als den Deutschen offenbar bewusst ist. Wir haben uns ein neues Selbstbild zugelegt, als fröhlich-fußballfeiernde Kumpel von nebenan, die keiner Fliege etwas zuleide tun. Das sehen Niederländer, Franzosen, Dänen und Polen im Zweifel anders. Bei ihnen liegen historische Bilder abrufbereit, die wir gerne vergessen wollen.

Die gemeinsame Währung ist ein Werk des Friedens und des Aufbaus gewesen, wie es in der Geschichte wenige gibt. Schon gar nicht in der europäischen. Die beiden Männer, die deutsche Geschichte geprägt haben wie kein anderer ihrer Zeitgenossen, sollten gemeinsam das Wort für Europa ergreifen und für die deutsche Zukunft. Helmut Schmidt hat den Euro vorbereitet. Helmut Kohl hat ihn geschaffen. Angela Merkel muss ihn bewahren.