Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Taifun in Japan: Zwangspause in der Bar

Foto: SPIEGEL ONLINE

Taifun in Japan "Roke" stürzt Tokio ins Pendlerchaos

Taifun "Roke" wirbelte Tokio gehörig durcheinander, allerdings nicht so, wie es düstere Prognosen ausgemalt hatten. Doch der Verkehr in der Mega-Metropole geriet gewaltig ins Stocken, zehntausende Pendler füllten die Restaurants im Zentrum - und einige hatten sogar richtig Spaß dabei.

Am späten Abend erinnerten nur noch herumliegende Regenschirme daran, dass vor ein paar Stunden die Ausläufer von Taifun "Roke" durch die Stadt gefegt waren. Gewaltige Wassermassen sind niedergegangen, Bäume wurden entwurzelt, Strommasten eingeknickt. Doch in Tokios Zentrum ist von derlei Zerstörungen nichts zu sehen. Dafür herrenlose Schirme, ein paar umgeworfene Fahrräder - und mehrere Zehntausend Pendler, die auch am Abend noch an einem der großen Bahnhöfe in der japanischen Hauptstadt festsitzen, weil die S- und U-Bahnen am Nachmittag den Verkehr eingestellt hatten.

Die Metropole war, gemessen an den düsteren Prognosen, glimpflich davongekommen - auch dank gigantischer Kavernen unter der Stadt, über die Wassermassen ins Meer abgeleitet werden können. Zuvor waren in Regionen, die der Taifun direkt getroffen hatte, mindestens 13 Menschen ums Leben gekommen. Hunderttausende Haushalte im Landesinneren waren zeitweise ohne Strom. Auf Fernsehbildern waren überschwemmte Ortschaften zu sehen. In der Stadt Nagoya retteten sich Bewohner aus überschwemmten Gebieten in Schlauchboote.

Als in Tokio die Straßen am Abend schon fast wieder trocken waren, traf "Roke" in Fukushima ein. Die nach dem Tsunami im Februar havarierte Atomanlage liegt 240 Kilometer nordöstlich der japanischen Hauptstadt. Schon am Mittag hatte es dort heftig geregnet. Die größte Sorge sei ein Anstieg des radioaktiven Wassers in den Turbinenhallen, sagte ein Sprecher der Betreibergesellschaft. Darauf sei man vorbereitet und werde auch einen plötzlichen Pegelanstieg aushalten, hieß es weiter - am späten Abend gab es dann Entwarnung, der Sturm zog westlich der Anlage vorbei, nur eine Überwachungskamera sei ausgefallen. "Das Schlimmste scheint vorüber", sagte ein Sprecher des Betreiberfirma Tepco.

In Tokio hatten etliche Firmen ihre Mitarbeiter frühzeitig nach Hause geschickt - am Mittwochabend saßen die Pendler trotzdem fest, "Roke" hatte ihnen den Heimweg abschnitten. Wegen starker Regenfälle und heftigem Sturm kam der Nahverkehr zum Erliegen, zwei Fernverkehrsstrecken wurden gesperrt, Fluggesellschaften mussten rund 450 Verbindungen streichen. Nur Buslinien waren weiter in Betrieb - vor den Haltestellen bildeten sich lange Schlangen. Auf Fernsehbildern waren Hunderte Menschen mit Regenschirmen zu sehen, die vor dem Bahnhof des Ausgehviertels Shibuja ausharrten.

Ein unfreiwilliger Abend unter Kollegen

Auch in Shinjuku, einem Knotenpunkt, an dem wichtige U- und S-Bahnlinien zusammenlaufen, drängten sich Tausende Pendler. Schon an normalen Tagen ist Shinjuku einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt. Am Mittwochabend berichten mehrere Fernsehsender live von den Menschenmassen. Die Moderatoren standen in Regencapes gehüllt auf dem Vorplatz, im Hintergrund kämpften Passanten mit ihren Schirmen, die dem Wind nicht standhielten.

Als der Regen aufhörte, die Züge aber immer noch nicht fuhren, beschlossen etliche, die Wartezeit in einem der zahlreichen Restaurants zu verbringen. So auch eine Gruppe Angestellter, die in einer nahegelegenen Bank arbeiten. Eigentlich sitzen sie um diese Zeit in einer S-Bahn, um in den Osten der Stadt zu fahren. Er habe schon seine Frau angerufen, sagte einer, nun müsse er leider schon wieder mit den Kollegen ausgehen. Sie machten sich lachend auf - in eine mit 23 Grad immer noch warme Nacht.

Andere Reisende saßen, sichtlich genervt, auf Treppenstufen oder auf dem Fußboden und starrten auf ihr Handy. Wieder andere nutzten die Zwangspause für ein Nickerchen. In einer Filiale der japanischen Kette "Mos Burger" waren die Stühle vor allem mit Schülern einer High School besetzt, die dort ihre Hausaufgaben machten. In einem benachbarten Restaurant drängten sich gestrandete Hemdenträger um Schalen mit Reis und Curry, auf dem Gehsteig warteten bereits ein Dutzend Menschen auf freiwerdende Plätze.

Um halb zehn bebte dann auch noch die Erde, in der Präfektur Ibaraki, in der Mitte zwischen Tokio und Fukushima. Nach Angaben des meteorologischen Dienstes handelte es sich um ein leichtes Beben, das in die erste von sieben möglichen Kategorien falle. Auch in Tokio schwankten die Häuser noch spürbar - wenn auch kein Alarm ausgelöst wurde.

Zwar nahmen einige Bahnlinien den Verkehr vor Mitternacht wieder auf - durchgestanden war die Nacht damit für viele Pendler aber immer noch nicht: Etliche Verbindungen waren weiterhin unterbrochen.