Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Neue Fernzüge: Deutsche Bahn erntet für den "ICEng" Hohn und Spott

Wirtschaft Neue Fernzüge

Deutsche Bahn erntet für den "ICEng" Hohn und Spott

ICx auf freier Strecke ICx auf freier Strecke
Computersimulation des neuen Zuges ICx von Siemens. Bei 250 Stundenkilometern ist Schluss
Quelle: dapd
Im neuen ICx ist vieles kleiner, einfacher und sparsamer. Und weil die Kunden das zu spüren bekommen, hagelt es Kritik und Häme an der neuen Fernzugflotte.

Worum geht es

Mehr anzeigen

Es sollte ein neuer Rekord werden, zum Ruhme der Volksrepublik: Mit 380 Stundenkilometern wollten die obersten Eisenbahner Chinas ihre Züge auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Shanghai pendeln lassen. Schon hatten sie ihre neuen Superschnellbahnen auf den ehrgeizigen Namen „CRH380“ getauft – etwas voreilig, wie sich jetzt herausstellt. Denn nun, wo es losgehen soll, verkündet das Eisenbahnministerium, dass man sich auf der Strecke mit Tempo 300 begnüge.

Nachdem Peking mehr als ein Jahrzehnt lang mit Milliardenaufwand das weltweit größte Hochgeschwindigkeitsnetz aus dem Boden gestampft und immer neue Temporekorde aufgestellt hat, erkennen die Zentralplaner: Verbrauch und Verschleiß explodieren bei diesen Geschwindigkeiten förmlich. Schlagartig hat sich bei den Chinesen jene Nüchternheit breitgemacht, die den Fernverkehr der Deutschen Bahn längst prägt.

Deutschlands Schienenstaatskonzern hat dem Geschwindigkeitsrausch abgeschworen. Das zeigt sich vor allem beim neuen ICx, jener Generation von Fernzügen, die von 2016 an den Intercity sowie den ICE 1 und den ICE 2 ablösen soll. Gegen die Hightech-Bahn ICE 3 ist der ICx geradezu ein Bummelzug, vieles ist kleiner, einfacher und sparsamer. Und weil die Kunden das zu spüren bekommen, hagelt es Kritik und Häme an der neuen Fernzugflotte, noch bevor Siemens die Serienfertigung begonnen hat.

TGV ist kein Maßstab

"Das einzig Gute am ICx ist, dass die Bahn endlich neue Fernzüge bestellt“, ätzt Schienenverkehrsexperte Markus Hecht, der Professor an der Technischen Universität Berlin ist. „Wirtschaftliche Erwägungen, so nötig sie sind, dürfen nicht zu Einbußen beim Reisekomfort führen“, warnt Karl-Peter Naumann, Chef des Fahrgastverbandes ProBahn. „Standards wie beim französischen TGV dürfen für uns kein Maßstab sein.“ Genau das fürchten Experten. In Branchenblättern und Internetforen wird über den „Sparzug“ gespottet, den „IC-Eng“, die „fahrende Sardinendose“.

Wenn man Bahn-Chef Rüdiger Grube reden hört, klingt das naturgemäß anders. „Der ICx ist der modernste Zug der Welt“, schwärmt er. Die Bahn setze damit „neue Maßstäbe“ – auch beim Komfort. Kaum eine Beschreibung kommt ohne Steigerungsform aus. Mit Rekorden kann der ICx durchaus aufwarten, das erkennen auch Kritiker an. Allerdings betreffen die eher den Entstehungsprozess des Zuges: 17 endlose Monate hat die Bahn mit dem Hersteller Siemens wegen der Vertragsdetails gerungen, das Werk selbst ist 8000 Seiten dick, das Lastenheft listet 8900 Einzelanforderungen auf. „Davon abgesehen, ist der ICx auf der ganzen Linie ein Rückschritt“, urteilt TU-Professor Hecht.

Zumindest beim Tempo passt dieser Rückschritt aber in die aktuelle Eisenbahnlandschaft. Gewachsenes Umweltbewusstsein, steigende Energiepreise und ein sich abzeichnender grenzüberschreitender Wettbewerb im Schienenverkehr haben für ein Umdenken gesorgt. Zumindest in Europa müssen Fernzüge nicht mehr um jeden Preis superschnell und spektakulär schön sein. Wichtiger ist, dass sie umweltfreundlich und effizient fahren, sie sollen sich rechnen. Das Motto des „Immer mehr“, das die Bahnbranche seit eineinhalb Jahrhunderten antreibt und das auch in Deutschland noch bis Mitte der 90er-Jahre galt, ist einem „Weniger ist mehr“ gewichen. Der ICx wird weniger wiegen, weniger verbrauchen, weniger kosten – und dabei den Fahrgästen weniger Sitzabstand und wohl auch weniger Komfort bieten als seine Vorgänger.

Ist der ICx also ein Sparmobil?

Das hätte die Bahn gerne gehabt. Bereits 2003 hatte der Konzern eine Ausschreibung über 1000 neue Fernzüge geplant. Doch zu dem Preis, den die DB-Manager zu zahlen bereit waren, wollte niemand liefern. „Züge sind zu teuer“, schimpfte der damalige Personenverkehrsvorstand Karl-Friedrich Rausch oft. Dabei war die Bahn für die hohen Preise mitverantwortlich: In der Privatisierungseuphorie ab 1994 waren die Chefs der damals frisch gegründeten DB AG nach der durchaus richtigen Erkenntnis, den Bundesbahn-Wagenpark komplett modernisieren zu müssen, in einen wahren Kaufrausch verfallen. „Da wurden unbesehen Mondpreise bezahlt“, sagt ein Bahn-Manager. „Die Preise waren damit über Jahre ruiniert.“ Vor allem Hochgeschwindigkeitszüge sind teuer: Ein ICE 3 kostet neu 33 Millionen Euro.

Doch inzwischen schauen die Bahn-Manager viel genauer aufs Geld. Nachdem 2008 die neuen Fernzüge endlich ausgeschrieben wurden und bald Siemens als „bevorzugter Bieter“ gesetzt war, begann ein zähes Ringen um Preise und Details. „Die Bahn-Manager haben uns hart in die Zange genommen“, erinnert sich ein Siemens-Mann.

Mit, je nach Auffassung, mäßigem Erfolg: 22.000 Euro pro Sitzplatz des ICx wollten die DB-Manager zunächst bezahlen, später erhöhten sie auf 28.000 Euro. Unterschrieben haben sie letztlich einen Vertrag, der stolze 39.000 Euro pro Sitzplatz vorsieht. Dafür musste Siemens schlucken, dass der Zug vor Auslieferung einem 14-monatigen Dauertest unterzogen wird und ein erheblicher Teil des Kaufpreises erst nach Abnahme und Auslieferung fällig wird. Zudem wurde der Bahnhersteller vertraglich verpflichtet, Obergrenzen bei den Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten einzuhalten – liegt der ICx über den vereinbarten Eckwerten, zahlt Siemens drauf.

Billig sind die Züge nicht

Anzeige

Von einem Billigzug kann man also nicht sprechen – auch wenn sich die Staatsbahn der Schweiz (SBB) ihre neuen Doppelstockfernzüge 46.000 Euro pro Sitzplatz kosten lässt. Entscheidend war für die Deutsche Bahn letztlich, einen möglichst wirtschaftlichen Zug zu bekommen. Daher ist er zwar teurer als geplant, verbraucht aber deutlich weniger Strom und ist günstiger in der Wartung. Der ICx ist auf 100 Meter Zuglänge zehn Tonnen leichter als die Vorgänger. Deshalb und aufgrund der verbesserten Aerodynamik liegt der Energieverbrauch 30 Prozent unter dem älterer ICE-Züge. In die Abteile werden sparsame LED-Leuchten eingebaut. Bei den Wagenkästen wird statt Aluminium Stahl verbaut, denn Stähle können bei Beschädigungen günstiger ausgebessert werden. Und anders als der ICE 3, den es nur am Stück gibt, kann der ICx nach Bedarf wagenweise zusammengestellt werden. Das ermöglicht einen flexibleren Einsatz.

Solche Effizienzsteigerung werden die Fahrgäste kaum bemerken – die weiteren Maßnahmen, den ICx wirtschaftlicher zu machen, dagegen schon. So sollen in den Wagen mehr Fahrgäste pro Quadratmeter untergebracht werden als bislang. Ulrich Höbel, Projektleiter der Bahn für den ICx, räumt ein: „Wir haben die Wagenkästen verlängert und den Abstand zwischen den Sitzen leicht reduziert.“ Das heißt konkret: In Klasse zwei sinkt der Abstand der Reihensitze von 920 Millimeter im überarbeiteten ICE 1 auf 856 Millimeter, in der ersten Klasse von 970 auf 930 Millimeter.

Das Fachmagazin „Eisenbahn-Revue“ urteilt, mit dieser Bestuhlung werde „für den Fernverkehr eine einmalig dichte Packung erreicht“. Experte Hecht sieht das auch so: „Die Bahn will mehr Leute in die Waggons packen, um die Rendite zu steigern. Hoffen wir, dass die Klimaanlagen des ICx unter dieser größeren Belastung funktionieren.“

Bahn-Manager Höbel wischt die Kritik am vermeintlichen Massentransport beiseite: Die Verringerung der Sitzabstände sei ohne Komforteinbußen möglich, der neuen Technik bei der Bestuhlung sei Dank. So klappe der Sitz bei „Rücklage“ nicht mehr nach hinten und damit dem nächsten Fahrgast vor die Brust. Und dann rechnet der Bahn-Manager vor: Die moderne Bestuhlung beschere den Kunden sogar mehr Kniefreiheit, 826 Millimeter in der zweiten Klasse beim ICx statt 808 Millimeter beim redesignten ICE 1; 900 Millimeter in der ersten Klasse beim ICx statt 898 beim ICE 1. „Tatsache ist, dass der Sitzabstand verkürzt wurde. Wie bequem man am Ende sitzt, wird sich in der Praxis zeigen“, kommentiert ProBahn-Chef Naumann die Zahlenspiele. Bei der Lufthansa, zum Vergleich, beträgt der durchschnittliche Sitzabstand 760 Millimeter.

Weniger Toiletten pro Fahrgast

Naumann, berufsbedingt häufiger Bahn-Kunde, stößt sich allerdings eher an der geplanten Ausstattung des Zuges. Von den „neuen Maßstäben beim Komfort“, die Bahn-Chef Grube verspricht, kann er bei den derzeitigen Simulationen nichts erkennen. „Dass es Deckenmonitore und dynamische Displays gibt, ist gut, aber insgesamt sehe ich Verbesserungsbedarf“, sagt Naumann. So gebe es weniger Toiletten pro Fahrgast als bisher – und damit schlicht zu wenig. Und: „Ob die Zahl der Vis-à-vis-Plätze mit Tischen ausreicht, wird man sehen müssen. Dass es keine abgeschlossenen Abteile mehr gibt, ist ein Makel.“ Die Bahn hält dagegen, nur ein Fünftel der Fahrgäste bevorzuge Abteile. Die aber werden sich an Großraum-Plätze gewöhnen müssen.

Andere Experten monieren, dass es keine Lounge, keine Fußstützen, keine individuellen Leselampen mehr gibt wie bei Teilen der bestehenden ICE-Flotte. Im Eisenbahnfreunde-Forum wird angesichts der ICx-Simulationen „buchhalterische Langeweile statt innovativer Lösungen“ erahnt, Kommentatoren lästern über „Schlabberlätzchen, die die Kissen am Kopfbereich ersetzten“. Die „Eisenbahn-Revue“ kritisiert „schwach ausgeformte Kopfstützen“ und bilanziert: „ICE-Komfort auf heutigem Niveau darf man sich nicht vorstellen.“

Nun ist die Vorstellung von Komfort womöglich subjektiv. Klar ist dagegen, dass der neue Fernzug deutlich langsamer als seine Vorgänger sein wird. Während der ICE 3 auf 320 Stundenkilometer kommt, ist für den ICx bei Tempo 230 bis 249 Schluss. Und das hat nicht nur Öko-Gründe: „Die Bahn tut das, um Hochgeschwindigkeitsanforderungen nicht erfüllen zu müssen. Sinn ergibt die Drosselung nicht“, kritisiert Schienenexperte Hecht die Abbremsung. „Je langsamer Züge sind, desto mehr muss man davon einsetzen, um auf vergleichbare Kapazitäten zu kommen.“ In anderen Hochgeschwindigkeitsländern wie China, Frankreich und Japan sieht man das ähnlich. Tempo 230 kommt dort aller Effizienzbemühungen zum Trotz nicht infrage. Der neue Superschnellzug für die französische Staatsbahn SNCF ist zumindest für 360 Stundenkilometer ausgelegt.

Züge müssenzu oft anhalten

Anzeige

Die Bahn ficht solche Kritik nicht an. „Länder wie Frankreich oder China sind mit Deutschland nicht zu vergleichen. Dort fährt man Hunderte Kilometer ohne Stopp, unsere ICEs halten im Schnitt nach 70 Kilometern“, sagt ein Bahn-Manager. Selbst auf der deutschen Rennstrecke zwischen Frankfurt und Köln muss der ICE 3 mehrfach halten, darunter in Limburg und Montabaur – beide Stationen liegen keine 20 Kilometer auseinander. Da lohnt das Beschleunigen auf 300 Stundenkilometer kaum. „Was wir in Deutschland brauchen, ist ein Fernzug, der für viele Halte geeignet ist. Nach dem Motto: ,Schnell rein, schnell wieder raus‘“, sagt der Bahn-Manager. Ein ICE 1 oder 2 bringt es zwar auf Tempo 280. Aber: „Die Tatsache ist, dass der Fahrplan auf 250 Stundenkilometer ausgerichtet ist.“

Da wundert es nicht, dass Siemens und die Bahn beim ICx die äußere Form eher betulich gestaltet haben. Im Vergleich zum atemberaubenden Design des neuen E 5 in Japan oder des AGV von Alstom sieht der deutsche Schnellzug der Zukunft aus wie ein dicklicher Hummeljunge. „Der ICx ist ein bisschen das Arbeitstier, der robuste Fernverkehrszug der Deutschen Bahn, der auch ökonomisch passt“, sagt Maria Leenen, eine Bahnexpertin und Chefin des Beratungsunternehmens SCI. „Allerdings macht es auch Sinn, die ökonomischen Vorteile an die Fahrgäste weiterzugeben“, findet sie.

Ein ICx-Ticket solle daher günstiger sein als eines für den superschnellen ICE 3. Wenigstens das.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema