Zum Inhalt springen

S.P.O.N. - Im Zweifel links Israels verpasste Chance

Wohin treibt Israel? Die Freundschaft zur Türkei ist zerbrochen, die Chance auf einen Neuanfang mit den arabischen Nachbarn vertan. In einer sich wandelnden Umwelt fällt Israel keine passende Antwort ein. Für die Zukunft lässt das nichts Gutes erahnen.

Die bislang letzte militärische Großtat der türkischen Flotte war das Minenfeld, das der Kreuzer "Nusret" in den Dardanellen legte: Engländer und Franzosen verloren dort im Frühjahr 1915 so viele Schiffe, dass die Marineoperation abgeblasen wurde und Landtruppen geschickt wurden: Das alliierte Desaster von Gallipoli war die Folge. Ministerpräsident Erdogan hat seiner Marine nun schon einen Erfolg beschert, bevor sie überhaupt ausgelaufen ist: Allein die Ankündigung, die nächste Gaza-Hilfsflotte unter militärischen Begleitschutz zu stellen, bringt den Türken in der islamischen Welt Bewunderung und Respekt.

Erdogan ist alles andere als ein Spieler. Er kalkuliert kühl. Kühler als die Israelis es tun. Amerika ist schwächer geworden, die arabischen Staaten sind im Aufbruch. Der Wind in der Levante hat sich gedreht und der türkische Premier hat das erkannt. Er bringt die Türkei auf einen neuen Kurs, während Israel weiter gegen den Wind kämpft. Mit einem politischen Kompass, der schon in der Vergangenheit ins Abseits geführt hat, will die israelische Regierung den Weg in eine neue Zeit finden. Das wird nicht funktionieren. Den Schaden wird das israelische Volk davontragen.

Ohne Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit

Als israelische Sicherheitskräfte vor einem Jahr in internationalen Gewässern das türkische Schiff "Mavi Marmara" enterten und acht türkische und einen amerikanischen Staatsbürger erschossen, hatte die israelische Regierung das getan, was sie seit dem Sechstagekrieg vor 44 Jahren immer getan hat: ohne Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel das durchzusetzen, was sie für die Interessen Israels hält. Und wie schon so oft zuvor hat sie diesen Interessen damit einen schlimmen Dienst erwiesen: Das ohnehin angespannte Verhältnis zur Türkei ist auf unabsehbare Zeit zerrüttet. Mit einer kaum fassbaren Nachlässigkeit haben die Israelis ihr Verhältnis zum wichtigsten Partner in der Region zerstört. Schon im Jahr 2008 hatten sie Erdogan tief gekränkt als der damalige israelische Regierungschef Olmert zu Besuch in Ankara war und mit seinem türkischen Kollegen über alles Mögliche sprach - nur nicht über den wenig später beginnenden israelischen Großangriff auf Gaza. Vertrauensvoller Umgang mit Freunden sieht anders aus.

Es ist der gleiche politische Autismus, der Israel in diesem Frühjahr den arabischen Aufbruch verpassen ließ. Der jüdische Staat hat keine Sekunde lang einen Zweifel daran gelassen, dass es ihm lieber gewesen wäre, der Diktator Mubarak wäre noch im Amt. Was war das für ein verheerendes Signal an die Massen, die in den arabischen Ländern nun endlich das Joch der Despotie abwerfen! Wie viel klüger wäre es gewesen, die Chance des Wandels zu ergreifen und den Aufständischen die Hand für einen Neuanfang der arabisch-israelischen Beziehungen entgegenzustrecken! Aber dafür hätte Israel in den vergangenen Jahren sein palästinensisches Problem lösen müssen. Und auch da hat die israelische Regierung versagt. Die Zweistaatenlösung, die inzwischen weltweit als einzige Lösung für den palästinensisch-israelischen Ewigkeitskonflikt angesehen wird, ist immer noch außer Sichtweite. Es ist eine beinahe pathologische Erstarrung, in der die israelische Politik verharrt. Sie hat Angst vor der Zukunft und außer Gewalt kennt sie kaum eine Antwort.

Der Westen glaubt nicht an seine eigenen Werte

Die Palästinenser werden aller Wahrscheinlichkeit nach am 20. September vor der Uno-Vollversammlung ihren Staat fordern, und unter amerikanischer Führung wird die Forderung, die in Wahrheit alle für berechtigt halten, zurückgewiesen werden. Der Westen wird damit erneut beweisen, dass er an seine eigenen Werte nicht glaubt. Und die jungen Männer in Kairo und Amman, in Gaza und Tripolis werden ihre Lehren daraus ziehen. So viele vertane Chancen auf Frieden in einer Region, in deren Abgründen die Quellen liegen, die wie keine anderen den globalen Großkonflikt zwischen westlicher und muslimischer Welt mit immer neuer böser Kraft nähren.

Die Zeit für Israel wird knapp. Die amerikanische Garantie verliert an Gültigkeit. Die USA konnten weder die Eskalation zwischen der Türkei und Israel verhindern noch dem Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo vorbeugen. Israel hat Freunde in Europa. Aber auch die werden dem Land nicht beistehen können, wenn es sich in eine offene Auseinandersetzung mit einem der Nachbarstaaten manövriert oder gar mit der Türkei. Ob Starrsinn, Hochmut, Selbstüberschätzung, Ungeschicklichkeit oder eine Mischung aus allem verantwortlich ist, wird dann keine Rolle mehr spielen.

In dem Maße, in dem Amerikas Macht schwindet, wird Israel keine andere Wahl haben, als mit den Palästinensern Frieden zu schließen. In der kommenden Weltordnung spielt der Nahost-Konflikt keine große Rolle mehr. Den Chinesen ist Israel egal.