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Internet-Enquete Netzpolitiker wollen über Online-Überwachung streiten

Der Bundestag nimmt Online-Nachhilfe - doch strittige Themen wie Internetsperren und Vorratsdatenspeicherung will der Vorsitzende der Enquete-Kommission ausklammern. Vertreter der anderen Parteien widersprechen dem CDU-Mann.
Parlamentssitz (Archivbild): Bürgerbeteiligung in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken

Parlamentssitz (Archivbild): Bürgerbeteiligung in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Hamburg - Eigentlich wollen sie ja alle dasselbe: Grundsätzlich soll die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft zu Werke gehen, die großen Linien der Netzpolitik wollen die 34 Parlamentarier und Sachverständigen bis zum nächsten Sommer abstecken. Wie das allerdings vonstatten gehen soll - und was überhaupt alles dazugehört - darüber herrscht Uneinigkeit.

So sprach sich der Vorsitzende der Enquete-Kommission, der CDU-Politiker Axel Fischer, gegen die Diskussion von "Kampfthemen" wie Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren aus. Gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"  sagte der Unionspolitiker, solche Themen müssten an den Rand gestellt werden. Er wolle weg von der Tagespolitik, schließlich müsse man die netzpolitischen Ziele der nächsten 20, 30 Jahre erarbeiten.

Nur halten Vertreter der anderen Parteien gerade die anlasslose Speicherung von Vorratsdaten für eine der zentralen Debatten. So sagt der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil: "Sie steht exemplarisch für die Abwägung zwischen Freiheitsrechten und Sicherheitsinteressen." Netzpolitiker der SPD plädieren für  ein angepasstes Gesetz, mit dem keine Ortungsdaten und E-Mail-Verbindungen gesammelt werden dürfen. Über solche Themen will Klingbeil streiten: "Wo, wenn nicht in der Enquete-Kommission, sollen wir solche Grundsatzfragen diskutieren. Wir können nicht ständig wichtige Fragen ausklammern, nur weil einige offenbar die Debatte scheuen."

Zukunftsvisionen und Tagesgeschäft

Eine Abstimmung vor der parlamentarischen Sommerpause über das mindestens so strittige Thema Netzneutralität - Provider wollen für die besonders schnelle Übertragung von Datenpaketen extra kassieren dürfen - war im letzten Moment vertagt worden. Die Opposition hätte die Abstimmung ansonsten gewinnen können, weil den regierenden Parteien wegen eines Krankheitsfalls eine Stimme gefehlt hätte. Zuvor hatten sie deswegen schon Abstimmungen zum Thema Urheberrecht verloren.

Vorratsdatenspeicherung

Parallel zur Enquete diskutiert der Bundestag eine Novellierung des Telemediengesetzes, die Regierungskoalition will darin die Netzneutralität nicht festschreiben - die Opposition hätte in der Enquete gerne das Gegenteil beschlossen. Wegen der Vertagung sprach Netzpolitik.org-Blogger Markus Beckedahl, der für die Grünen in der Enquete sitzt, damals von einer Schmierenkomödie .

Wenn nun der Vorsitzende Fischer ein Schielen auf die Tagespolitik beklagt, liegt er damit gar nicht so falsch. Weil aber die Politik über mehr als zehn Jahre dem Internet lieber abwartend begegnete und all zu frühe Festlegungen scheute, hat sich eine Menge grundsätzlicher Fragen angestaut. Die werden nun zum Teil angegangen, nicht nur von der Enquete. Zwischen Grundsätzlichem und politischem Tagesgeschäft lässt sich da nicht sauber trennen.

Nach und nach enttäuscht

In Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung sagt Enquete-Mitglied Halina Wawzyniak: "Wir von der Linken haben von Anfang an gesagt, das die Enquete kein Alibi sein soll. Das wird sie aber, wenn sie sich abstrakt beispielsweise mit Datenschutz beschäftigt, aber aktuelle Gesetzesvorhaben außen vor lässt." Der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz kündigt an: "Ich gehe davon aus, dass wir es an geeigneter Stelle thematisieren werden." Sogar für "zwingend notwendig" hält das der Grünen-Politiker Konstantin von Notz.

Zu beiden Themen - Netzsperren und Vorratsdaten - hat es große öffentliche Proteste und Verfassungsklagen gegeben. Mehr als 58.000 haben sich dieses Jahr gegen die Datensammlung ausgesprochen. Gerade sammelt ein Zusammenschluss von Bürgerrechtsaktivisten und Datenschützern wieder Unterschriften für eine Online-Petition , damit ein europaweites Verbot der massenhaften Datensammlung ohne konkreten Verdacht Thema im Bundestag wird.

Eine Petition gegen Internetsperren hatten sogar rund 134.000 Bürger unterschrieben, die Initiatorin Franziska Heine musste sich bei ihrem Auftritt im Bundestag trotzdem saloppe Sprüche von gewählten Volksvertretern mit mehr Rederoutine anhören - und die maßgeblich für das kritisierte Netzsperren-Gesetz verantwortliche CDU-Ministerin, Ursula von der Leyen, stand für Fragen nicht zur Verfügung: Sie blieb der Sitzung fern.

Bürger-Interesse hält sich in Grenzen

Die Fronten verhärteten sich, Netz-Nutzer begegneten Politikern, die über das Internet sprachen, oft nur noch mit Häme. Mit dem Einsatz der Internet-Enquete knapp vier Wochen später verbanden etliche Netz-Anhänger große Hoffnungen. Die wurden nach und nach enttäuscht. Zum Teil zwangsläufig, weil eine Enquete-Kommission der Regierung eben keine Gesetze vorschriebt, sondern grundsätzliche Stellungnahmen erarbeitet.

Zum Teil aber auch fahrlässig. Zum Start der Enquete hatte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Michael Kretschmer noch erklärt, Ziel sei eine breite Bürgerbeteiligung in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken. Es kam dann anders: Bis auch nur eine Beteiligungsplattform eingerichtet war, verging fast ein komplettes Jahr. Das Interesse der Bürger hält sich jedoch in Grenzen, die Absage einzelner Enquete-Vertreter an wichtige Streitthemen wird daran kaum etwas ändern.