Viel wird dieser Tage über den ORF geschrieben und gesprochen, vor allem über die politische Unabhängigkeit. Stein des Anstoßes ist ein aufstrebender junger Mann, der bald vielleicht neuer Mitarbeiter des ORF wird und zuvor Stiftungsrat war. Die meisten Kommentare beleuchten jedoch nicht, was auch sonst in der öffentlichen Diskussion um dieses Unternehmen und den journalistischen Berufsstand kaum vorkommt: die düstere Gegenwart und Zukunft der freien Mitarbeiter, denen trotz eines Vollzeitjobs aus Spargründen eine Anstellung verwehrt wird und die tagtäglich unter prekären Bedingungen das Programm gestalten.

Dem Rechnungshof zufolge liegt das durchschnittliche, jährliche Bruttogehalt der ORF-Angestellten bei knapp 75.000 Euro. Anders ist das für die Freien. Viele arbeiten seit Jahren für den ORF und verdienen aufgrund der niedrigen Honorare trotz Vollzeitarbeit um die 1500 Euro brutto im Monat. Nach Steuer und Sozialversicherung bleiben davon circa 1000 Euro netto übrig - in vielen Fällen ohne bezahlten Urlaub, bezahlten Krankenstand oder 13. und 14. Gehalt. Das liegt nur knapp über dem Existenzminimum.

Viele Freie erhalten somit pro Stunde Arbeitsaufwand etwa zehn Euro brutto. Für manche aufwändig zu gestaltende Sendungen kann es auch darunterliegen, in jedem Fall aber weit unter dem, was Dienstleister in anderen Bereichen verdienen. So prekär müsste das nicht sein. Viele deutsche Sender zahlen für Beiträge in vergleichbarer Länge und mit vergleichbarem Aufwand das Doppelte bis Dreifache dessen, was der ORF seinen freien Autoren und Gestalterinnen gönnt - oder besser gesagt zumutet.

Dabei liefern die Freien einen guten Teil des Programms. Für viele Sendungen des Aushängeschilds Ö1 etwa kommt weit mehr als die Hälfte der Inhalte von freien Mitarbeitern. Etliche dieser Beiträge werden immer wieder mit Preisen bedacht, auf die der ORF zu Recht stolz ist. Doch der hochgelobte Qualitätsjournalismus basiert auf prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das finden viele begeisterte Hörer im persönlichen Gespräch unglaublich, gerade wegen hochdotierter Posten in anderen Bereichen des Unternehmens.

In Internetforen werden die durchschnittlichen Gehälter der ORF-Mitarbeiter als paradiesisch dargestellt und kritisiert. Es wäre an der Zeit, auch von jenen zu reden, die das hochwertige Programm ebenso mitgestalten, aber von Monat zu Monat kaum wissen, wie sie ihre Miete finanzieren können. Qualitätsjournalismus braucht Zeit und gute Recherche. Wer sich Mitarbeiter am Existenzminimum hält, gefährdet diesen.

Unabhängigkeit zählt zu den Grundlagen eines guten Journalismus. Entscheidend ist aber nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Genauso wie zur Verantwortung eines Unternehmens und seines Managements nicht nur die ökonomische, sondern auch die soziale gehören sollte. (DER STANDARD; Printausgabe, 7./8.1.2012)