Bill Gates – der Mann, der die Pandemie kommen sah

Wenn es etwas gibt, was in Zukunft Millionen von Menschen tötet, dann ist das eher ein Virus als ein Krieg – und wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet. Wer ist der Mann, der diese Prognose schon vor fünf Jahren wagte?

Christof Leisinger, New York 11 Kommentare
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Bill Gates war nicht immer nur der Sympathieträger, den er heute für viele ist.

Bill Gates war nicht immer nur der Sympathieträger, den er heute für viele ist.

Nati Harnik / AP

Die Corona-Pandemie verändert die Welt. Wer hätte sich früher schon vorstellen können, dass man kaum noch arbeiten oder soziale Kontakte pflegen können würde, dass die Schulen und fast alle Geschäfte für längere Zeit geschlossen oder langfristige Pläne plötzlich Makulatur sein würden? Selbst die amerikanische Regierung ist aus allen Wolken gefallen. Dabei hat einer das so kommen sehen und sie sogar wiederholt gewarnt: Bill Gates.

Wir sind überhaupt nicht auf eine Pandemie vorbereitet

Vor genau fünf Jahren beschrieb der Philanthrop im Rahmen einer öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung, was heutzutage wie ein Film abzulaufen scheint: «Wenn es etwas gibt, was in den nächsten Jahrzehnten mehr als zehn Millionen Personen töten kann, dann ist es sehr wahrscheinlich eher ein hochansteckendes Virus als ein Krieg», sagte er damals. Und er setzte noch einen drauf: «Wir haben Unmengen Geld in die nukleare Abschreckung investiert, aber kaum etwas in ein System, das eine Epidemie verhindern könnte. Wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet.»

Heute zeigt sich, wie recht er damit hatte. Wie kam der Milliardär zu diesen bemerkenswerten Aussagen? Tatsächlich gilt er als einer der innovativsten Köpfe überhaupt. Im Unterschied zu vielen anderen kann er sich bei der Meinungsbildung auf eine ziemlich einzigartige Kombination aus Erfahrung und Wissen verlassen, wenn es um digitale Innovationen, Unternehmertum und philanthropische Aktivitäten im öffentlichen Gesundheitswesen geht.

Gibt es ein Problem, redet Gates meist nur von Herausforderungen. Kreativ, wie er ist, sieht und analysiert er solche anders als andere, und sobald er eine Lösung gefunden hat, setzt er seine Ideen beharrlich, aber zum Teil auch ziemlich rücksichtslos um. Nach aussen tritt er heute professionell, freundlich und diplomatisch auf. Das war aber nicht immer so.

Vom «Computernerd» zum Unternehmer

In seiner Jugend, als Schüler an der Lakeside School in Seattle, war Gates bekannt als «Computernerd». Wenn es darauf ankam, konnte er nächtelang programmieren und sich dabei nur von Pizza und Coca-Cola ernähren. Sein strukturiertes Denkvermögen trug damals massgeblich zur Entwicklung eines Programms bei, mit dem die Schule die Stundenpläne in kürzester Zeit aufstellen konnte – ein Prozess, für den der Lehrkörper vorher Wochen gebraucht hatte.

Im zarten Alter von 16 Jahren zeigten sich dann auch erstmals seine unternehmerischen Fähigkeiten. Er gründete zusammen mit seinem Schulkameraden Paul Allen die erste Firma, mit der sie damals 20 000 Dollar verdienten. Gut drei Jahre später hoben sie Microsoft aus der Taufe und hatten danach gar keine Zeit mehr, ihr Studium an der Harvard-Universität abzuschliessen. Die Gründung der Softwareschmiede vor 45 Jahren war so etwas wie der Startschuss für die digitale Revolution.

Ein Vertrag mit dem IT-Riesen IBM verhalf den beiden Jungunternehmern zum grossen Durchbruch. Der damalige Hersteller von Grossrechnern wollte verspätet in die Massenproduktion von Personalcomputern einsteigen, hatte aber keine Software dafür. Gates täuschte den Managern vor, ein Betriebssystem für sie zu entwerfen. In Wirklichkeit gab er wenig Geld für ein Programm namens QDOS (Quick and Dirty Operating System) aus, das er leicht modifizierte und an IBM auslizenzierte. Diese Vereinbarung war die Grundlage für Bill Gates’ heutiges Privatvermögen von etwa 100 Milliarden Dollar.

Schliesslich ging der Verkauf von Desktop-Computern in den Folgejahren durch die Decke, und bei jedem Gerät wurde eine Lizenzgebühr fällig. Aus diesem Grund ist Microsoft in dieser Phase so stark gewachsen, wie das heutzutage nur bei jungen, erfolgreichen Internetunternehmen üblich ist.

Gates war ein hektischer und anspruchsvoller Unternehmenschef. Berauscht und besessen vom Erfolg, dachte er Tag und Nacht nur an die Firma – und das erwartete er auch von seinen Mitarbeitern. Phasenweise ging er sogar so weit, sich zu merken, wessen Auto wie lange auf dem unternehmenseigenen Parkplatz stand.

Wer kann schon in die Zukunft schauen?

Allerdings hatte der Workaholic auch eine ganz andere Seite. Schon in jungen Jahren begann er die Tradition, einmal im Jahr eine «thinking week» einzulegen. Heute zieht sich der Büchernarr regelmässig in eine einfache, abgelegene Hütte am Wasser zurück, um mehrere Tage hintereinander ungestört lesen zu können. Damals durchforstete er in seiner Auszeit Doktorarbeiten und versuchte auf diese Weise Zukunftstrends zu erspüren, statt mit seinem Porsche an einen schönen Strand zu fahren.

Offensichtlich ist Bill Gates in der Lage, selbst komplexeste Informationen rasch aufzunehmen, zu verarbeiten und strukturiert im Gedächtnis zu speichern. Wegbegleiter vermuten, er könne aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse um die Ecke nach vorne schauen. Gates’ Frau Melinda bestätigt ihren Eindruck: «Sein Gehirn funktioniert wie der Hauptprozessor eines Computers.» Die beiden hatten sich bei Microsoft kennengelernt, 1994 geheiratet und danach drei Kinder bekommen.

Im Jahr 2000 ist Gates als Chef bei Microsoft zurückgetreten, nachdem er das kommerzielle Potenzial des Internetzeitalters unterschätzt und nachdem er mit überheblichem Ungeschick eine kartellrechtliche Klage provoziert hatte. Zwar blieb er dem Unternehmen noch bis 2008 als technologischer Vordenker und bis März dieses Jahres als Verwaltungsrat erhalten. Allerdings gewann die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung in seinem Leben eine immer grössere Bedeutung. Das Ehepaar führt die Milliarden Dollar schwere Institution gleichberechtigt, bis heute.

Das Team liess sich bei der Zielsetzung ursprünglich von einem «New York Times»-Artikel mit dem Titel «Für die Dritte Welt ist Wasser immer noch ein tödliches Getränk» inspirieren. Erschrocken von der hohen Kindersterblichkeit in der Dritten Welt, beschlossen die beiden, etwas dagegen zu tun. Gates geht dabei rational und nüchtern wie ein Programmierer vor, der ein Softwarepaket unter limitierenden Randbedingungen entwickelt und der mit begrenzten Ressourcen den grösstmöglichen Effekt erzielen möchte.

Massive Investitionen in Impfprogramme

Die Stiftung gibt Jahr für Jahr zwischen vier und fünf Milliarden Dollar aus. Sie investiert in armen Regionen in den Aufbau von Schulen, sie finanziert klimafreundliche Wirtschaftsformen auf dem Land, und sie unterstützt sinnvolle Ideen, welche bis zur Umsetzung Jahre brauchen. Eine davon ist die Entwicklung einer wasserlosen Toilette, um die prekären sanitären Verhältnisse in ärmlichen Teilen Afrikas und Asiens zu verbessern.

Das meiste Geld nimmt sie allerdings in die Hand, um die Verbreitung von Krankheiten wie Polio, Malaria, HIV und Tuberkulose unter Verwendung modernster Datenanalyse-Methoden zu verfolgen und um sie einzudämmen. Mit Impfstoffen beschäftigt sich die Stiftung schon länger im Rahmen der Gavi Alliance in Genf.

Bill Gates hat sich in diesem Rahmen nicht nur die entsprechende fachliche Kompetenz angeeignet, sondern in seinem Ehrgeiz frühzeitig auch das Ziel ausgegeben, Polio völlig auszurotten. Das ist in jüngerer Vergangenheit nur aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände knapp verfehlt worden. Heute appelliert Gates wieder an vorderster Front für eine globale Kooperation bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus und ruft die Amerikaner dazu auf, zu Hause zu bleiben.

Trumps verpasste Chance

Natürlich ist Bill Gates auch Donald Trump mehrfach begegnet. Er hat ihn bei diesen Gelegenheiten in seinem missionarischen Eifer auch auf die Risiken einer Pandemie angesprochen. Noch vor etwa zwei Jahren versuchte er ihn mit der Vorstellung zu locken, als «jener berühmte» Präsident in die Annalen einzugehen, der die Entwicklung eines «Super-Grippeimpfstoffs» als Vorbereitung auf eine globale Seuche angestossen habe. Trump zeigte sich zwar oberflächlich interessiert, leider hat er aber nur eine Durchführungsverordnung zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe unterzeichnet und weder ein entsprechendes Gesetz verabschiedet noch ein Budget vorgesehen.

11 Kommentare
Christian Caire

Die prophetischen Qualitäten von Herrn Gates würde ich auch nicht zu hoch bewerten. Gewöhnlich ist die Beschäftigung mit Pandemien nicht eben Tagesgeschäft. In den einschlägig befassten Bereichen ist diese Erkenntnis hingegen Allgemeingut. Was mir bei dem als Philanthropen bezeichneten Gegenstand dieser Betrachtung fehlt, sind die Bestandteile seiner Philanthropie, die durchaus kühles, wirtschaftliches Kalkül und Interesse bezeugen. So ist Herr Gates auch in die recht kürzlichen "Pandemien" Vogelgrippe (2005) und Schweinegrippe (2009/10) involviert gewesen. Als größter privater Sponsor der WHO (14 % Anteil am Budget) hat seine Stimme dort Gewicht. Das WHO, z.B. der damalige deutsche Direktor Klaus Stör hat seinerzeit (Vogelgrippe) vor bis zu 7 Mio. Toten gewarnt; tatsächlich waren es dann 152. Die rund 950 Mio. €, die von zahlreichen Regierungen aus Steuermitteln für (im Übrigen wirkungslosen) Impfstoff (Tamiflu) ausgegeben wurden, waren hingegen real. Nach Ausbleiben der Pandemie wurden diese vernichtet. Profiteur z.B. Roche. Eines der Pharmaunternehmen, die im Bereich Vaccine einen Schwerpunkt haben und an denen die Bill + Melinda-Gates Found. Anteile halten. Zu nennen sind hier Gilead, Novartis, Glaxo, Roche und Sanofi. So schließt sich mancher Kreis und ich wage die Behauptung, dass neben einem philanthropischen Impetus auch das Motiv steht, an solchen Ereignissen zu verdienen. Das muss man nicht beklagen, aber erwähnen sollte man es doch.

Peter Stalder

Dass die Prognose  von Bill Gates unbeachtet blieb, lässt damit erklären, dass sie undatiert war. Der früh warnende Arzt in China stellte nicht eine Prognose, sondern rapportierte ein Faktum. Dass ihn die Lokalbehörden in Wuhan mundtot machten, wurde im Westen zwar ausgiebig kritisiert, seine Warnung sowie auch die nachfolgende dramatische Entwicklung in Wuhan wurde aber trotzdem nicht ernst genommen. Hat man denn angenommen, das Virus würde lokal bleiben bzw. sich bei uns anders verhalten. 

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