Die handgeschriebene Weihnachtskarte kommt jetzt von Roboter Sophie

Maschinen der Zürcher Traditionsdruckerei Robert Hürlimann können Hand- und Unterschriften so gut imitieren, dass man den Unterschied nicht mehr erkennt.

Annette Schär
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Die Buchstaben der Schreibroboter sehen nicht immer gleich aus – wie bei einer echten Handschrift eben. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die Buchstaben der Schreibroboter sehen nicht immer gleich aus – wie bei einer echten Handschrift eben. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

«In diesem Raum», sagt Robert Hürlimann und zeigt auf sein Büro, «soll der Zürcher Bürgermeister Hans Waldmann im 15. Jahrhundert zuletzt gewohnt haben – das war sein Wohnzimmer.» Stuckaturen zieren hier die Decke, die Holzböden knarren vernehmlich. Wie in den anderen Räumen des Druckbetriebs, mitten im Zürcher Oberdorf, sind die Platzverhältnisse recht beengt. An einer Wand hängen alte Gautschbriefe, die von zeremoniellen Abschlüssen der Druckerlehrlinge zeugen.

«Mein Urgrossvater Gottlieb Hürlimann hat die Druckerei 1896 gegründet», erzählt Robert Hürlimann, der den Betrieb in vierter Generation führt und den gleichen Namen trägt wie schon sein Vater und sein Grossvater. Ja, in dieser Druckerei atmet man Tradition regelrecht ein.

21 Mitarbeiter hat die Druckerei heute. Für Aufsehen sorgen jedoch eher die unbezahlten «Hilfsarbeiter».

Das Gebäude mit Anbau ist verwinkelt, über ein Treppenhaus gelangt man vom einen Stock zum nächsten, Paletten mit Drucksachen stehen herum, es rattern Maschinen. Moderne Automaten, aber auch ein paar alte Modelle sind dabei: grosse schwarze, schwere Eisendinger mit Kurbeln, Zahnrädchen und Getrieben, in denen sich ein Maschinist die Hand noch zünftig einklemmen könnte.

Von 1920 bis 1980 habe die Firma hauptsächlich davon gelebt, dass sie für die Verkehrsbetriebe Zürich die Billette drucken durfte, erzählt Hürlimann. In den vergangenen Jahrzehnten kam die Druckbranche in die Krise. Hürlimann hat im Druck von Beipackzetteln für Pharmaprodukte oder von Trauersachen eine Nische gefunden. 21 Mitarbeiter hat die Druckerei heute. Für Aufsehen sorgen jedoch eher die unbezahlten «Hilfsarbeiter».

Weihnachtskärtchen im Akkord

In den Nebenräumen ist es bedeutend leiser. Fast unbemerkt arbeiten sie hier klaglos im Akkord: Sophie und ihre Roboterkollegen, die alle einen individuellen Namen tragen. Diese Roboter bestehen im Grunde genommen aus einem grauen Metallkästchen und einem Greifarm und halten einen Stift in der «Hand» – eine Füllfeder, einen Kugelschreiber oder einen glitzernden Gelstift. Jetzt, zur Weihnachtszeit, hat Sophies Team besonders viel zu tun. Die Roboter signieren und beschriften Einladungen, Festtagskarten und Werbemailings, manchmal auch in nächtlichen Schichten.

Roboter wie Sophie können Handgeschriebenes nachahmen, zum Beispiel eine einmal verfasste Grusskarte an die Belegschaft – so oft, wie man sie braucht.

Täuschend echt sieht es aus, was sie gemächlich vor sich hinkritzeln. Robert Hürlimann zeigt Beispiele. Dem fertigen Produkt sieht man das Maschinelle nicht an. Ist eine Schrift erledigt, schiebt die Maschine ein neues Blatt, ein neues Couvert unter. Und weiter geht’s. Im stillen Fluss der Betriebsamkeit liegt etwas Meditatives. Es ist faszinierend, diesen Maschinen beim Schreiben zuzuschauen.

Unterschriftenautomaten, die mechanisch Signaturen schreiben können, werden schon länger eingesetzt. Sie entlasten CEO, Präsidenten oder Prominente, die bisweilen kurzfristig viele Dokumente, Autogrammkarten und anderes signieren müssen. Doch die neue Generation hat bedeutend mehr drauf. Roboter wie Sophie können einerseits Handgeschriebenes nachahmen, also zum Beispiel eine einmal verfasste Grusskarte an die Belegschaft originalgetreu kopieren, so oft, wie man sie braucht. Oder auch mehrere unterschiedliche Unterschriften – etwa eines Verwaltungsrats – unter eine Karte setzen.

Auch personalisierte Varianten sind möglich: Im System ist eine Vielzahl von attraktiven Handschriften programmiert. Das funktioniert dann wie die Fonts Arial oder Helvetica im Computer. Der Roboter kann damit Adressen aus einer Datei oder beliebige Textdokumente handschriftlich wiedergeben. Da der Schreibroboter extra ein paar Varianzen einstreut (das M mal so und mal anders geschrieben), sieht das in vielen Fällen natürlich aus. Auch Schnürlischrift liegt drin. Wer es ganz exklusiv will, kann zu Mehrkosten von 600 bis 1800 Franken auch seine eigene Handschrift programmieren lassen.

«Wer seine Adressdaten nicht herausgeben möchte, kann auch ein Gerät von uns mieten», sagt Hürlimann. Heute, da bei Verträgen immer noch die persönliche Unterschrift als Bekräftigung des eigenen Willens gilt, ist bei einem Handschriftenroboter die Sicherheit natürlich ein grosses Thema. Einige technische Vorkehrungen wurden in die Software eingebaut, um Missbrauch zu verhindern. «Darum hat auch keines der Geräte einen Anschluss ans Internet», sagt Hürlimann.

Effektvolle Werbeschreiben

Die Trauerdrucksachen führten ursprünglich zu diesem Geschäftsfeld, wie Hürlimann erklärt: «Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich viele Angehörige im Moment der Trauer eigentlich nicht um das zigfache Beschriften von Couverts kümmern mögen. Sie haben aber gleichzeitig Hemmungen, die Leidzirkulare digital zu adressieren. Sie empfinden es irgendwie als zu unpersönlich.» Darum habe er sich auf die Suche nach einer Lösung gemacht; in einem internationalen Fachmagazin sei er auf die Roboter gestossen.

Seit vier Jahren arbeiteten diese nun im Betrieb mit. Mit der Zeit habe der Geschäftszweig Fahrt aufgenommen. Nicht nur von Trauernden, auch für Marketingzwecke gab es gehäuft Anfragen. So ist die Zeitersparnis für viele Entscheidungsträger verlockend. Ausserdem erfährt heute ein «persönlich» adressierter Brief weitaus höhere Aufmerksamkeit als ein anonymes Massenmailing. Mit einer echten Marke auf dem Umschlag sieht selbst ein tausendfaches Massenschreiben aus wie ein ganz persönlicher Brief. Wer würde diesen nicht öffnen? Ein Effekt, den sich auch Werbeagenturen gerne zunutze machen.

«Die Leute sagen, Print sei tot. Das stimmt nur bedingt. Der Mensch sehnt sich wieder nach Haptik, nach etwas Echtem.» – Robert Hürlimann

«Die Roboter gaben unserem althergebrachten Betrieb ein bisschen Startup-Feeling», sagt Hürlimann. «Die Leute sagen, Print sei tot. Das stimmt nur bedingt.» Es gebe auch eine Retro-Bewegung: Kunden, die Wertigkeit schätzen. Die sich exklusive Visitenkarten drucken lassen mit Folienprägung. Oder eben das Handschriftliche suchen. «Der Mensch sehnt sich wieder nach Haptik, nach etwas Echtem.» Sein Unternehmen bewirbt die Roboterdienstleistungen konsequenterweise mit dem Slogan «100% handgeschrieben».

Falsche Tatsachen vorspielen?

Natürlich ist das Ganze ein Spiel mit der Widersprüchlichkeit. Im Grunde gaukelt der Einsatz dieser Roboter ja auch falsche Tatsachen vor. Was, wenn der «Betrug» auffliegt, könnte das nicht auch zum Bumerang werden für eine Firma?

Eine klare Antwort darauf hat Hürlimann nicht: «Der Einsatz der Schreibroboter muss schon durchdacht sein, damit die Botschaft so ankommt wie gewünscht», sagt er. Und verweist auf die Eigenverantwortung der Kunden. Viele Firmen wollten ja primär etwas Schönes, Hochwertiges versenden, eine handschriftliche Einladung zum Beispiel. Das habe es früher ja auch schon gegeben. Da habe man billige Hilfskräfte beschäftigt, die die Schreibarbeit übernommen hätten. Heute seien es halt Roboter.

Und wenn jemand zu Werbezwecken täuschend echte, personalisierte Schreiben verwende, «ist doch den Empfängern meistens klar, dass das nicht selbst angeschrieben sein kann». Oft gehe es um den Effekt, den Gag und die Frage «Wie haben die das denn gemacht?». Aber ja, eine Kundin habe auch einmal total entrüstet reagiert: «Alles wird virtuell und digital. Herrje, jetzt ist auch noch das Allerletzte – die eigene Handschrift – ein Fake!»