Das Tier, das am Unispital eine schlafende Frau gebissen hat, dürfte ein Stadtfuchs vom rechten Limmatufer sein. Vermutlich haben ihn Menschen angefüttert und verzogen.
Während im Hallwilersee ein krokodilähnliches Tier die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt (oder wenigstens wohlige Schauer auslöst und die Medien füttert), sorgt in Zürich ein Fuchs für Schlagzeilen. Er hat sich laut einer Meldung von Tele Top in ein Patientenzimmer des Unispitals geschlichen und eine Patientin gebissen. Eine Balkontüre stand offen. Die Wunde der Frau wurde gesäubert und verbunden; sie ist wohlauf. Über den Verbleib des Tieres gibt es keine Hinweise.
Ganz so fiebrig wie im Fall des Aargauer Kaimans dürfte die Suche nach dem frechen Fuchs nicht verlaufen. Gefährlich ist er kaum. Ob er die Frau wirklich «angefallen» hat, wie das der «Blick» schreibt, ist fraglich. Laut einer Unispital-Sprecherin hing der Arm der Frau «möglicherweise über den Bettrand». Die Wildtierbiologin Sandra Gloor hat dafür eine Erklärung: Füchse seien spielerisch und experimentierfreudig veranlagt. Menschen fielen sie aber nicht einfach an. Vermutlich habe das Tier erkunden wollen, wie die Hand schmeckt, die da aus dem Bett heraushing.
Gefährliche Situationen mit Füchsen seien sehr selten, sagt Gloor. Wenn sie sich zu stark an den Menschen gewöhnten, würden sie eher lästig und fordernd. Die Praxis der Stadt, solche Tiere abzuschiessen, sei richtig. Potenziell könne es zu gefährlichen Situationen kommen, wenn Füchse dazu übergingen, in Wohnungen ein und aus zu gehen.
Man kann davon ausgehen, dass es sich bei dem beissenden Fuchs vom Unispital um einen Stadtfuchs handelt, genauer: um einen Stadtfuchs vom rechten Limmatufer. Sandra Gloor hat ihre Dissertation zum Thema Stadtfüchse geschrieben und anhand genetischer Proben gezeigt, dass die Zürcher Füchse unter sich bleiben. Stadtfüchse paaren sich auch kaum mit Landfüchsen. Die Tiere gehören zwar zur selben Art, aber es wandern schlicht kaum Füchse vom Umland in die Stadt ein, weil die Fuchsdichte in der Stadt deutlich höher ist als auf dem Land. Wenn, dann sucht ein Stadtfuchs in der Landschaft sein Glück. Pendler zwischen Wald und Stadt kommen in Quartieren wie dem Friesenberg vor; sie sind aber die Ausnahme.
Interessant ist, dass es in Zürich zwei Stadtfuchspopulationen gibt. Auch zwischen ihnen gibt es kaum Austausch. Obwohl Füchse gute Schwimmer sind und natürlich auch eine der zahlreichen Brücken überqueren könnten, bildet die Limmat eine natürliche Grenze. Die Tiere seien im Allgemeinen fit und gesund, sagt Gloor. Wie die Landfüchse leiden allerdings auch die Stadtfüchse seit einigen Jahren an der Fuchsräude, einer für sie tödlichen Krankheit. Der Bestand ist von früher 1200 auf 600 zurückgegangen. Im ganzen Kanton sind es gemäss aktuellen Angaben der kantonalen Jagdverwaltung 5500 Tiere (wobei es sich in beiden Fällen um grobe Schätzungen handelt.)
Dass derart viele Füchse in der Stadt leben, hat zwei Gründe: Sie finden erstens ein gutes Nahrungsangebot vor. Als hundeähnliche Tiere können sie sich sowohl tierisch als auch pflanzlich ernähren. In der Stadt hat es stets genügend Essensreste. Füchse fressen aber auch Fallobst oder Beeren. Zweitens bietet die Stadt ausreichend Schutz. Mittels Sendehalsbändern vermochte Sandra Gloor zu ergründen, wo sich die Füchse tagsüber zur Ruhe legen. Meistens seien es Orte, wohin sich kaum jemand verirre. Das könne durchaus in unmittelbarer Nähe zu Menschen sein. Ein Tier machte es sich beispielsweise im Freibad Heuried, wenige Meter vom lauten Treiben in der Badi entfernt, gemütlich. Es ruhte auf einem von stacheligem Gestrüpp umgebenen Lüftungsschacht – ein Ort, den wohl nur der Gärtner kennt.
Geht es ans Gebären, bauen sich Füchse ihren Bau in Gärten oder Grünanlagen. Im Friedhof Sihlfeld macht sich die Fuchspopulation vor allem im Frühsommer bemerkbar. Dann kommt es vor, dass spielerisch aufgelegte Jungfüchse Grabdekorationen umwerfen oder verschwinden lassen. In solchen Fällen kommt es zu Reklamationen, die sich aber in Minne auflösen, sobald der vermeintliche Übeltäter benannt ist.
Jungfüchse sind pelzig und süss. Gerade dies kann ihnen im Siedlungsraum zum Verhängnis werden. Menschen vernarren sich in sie und meinen, sie mit Haferflocken oder Hundefutter aufziehen zu müssen. Erreicht das Tier die Adoleszenz, reicht ihm das Napffutter aber nicht mehr, und es beginnt, sich an Kehrichtsäcken und dergleichen gütlich zu tun. Es ist der Moment, da ein Anruf an einen der vier von Grün Stadt Zürich angestellten Wildhüter gelangt. Aber das Todesurteil unterschrieben haben zuvor die vermeintlichen Tierfreunde mit ihren Anfütterungsübungen. Appelle, diese zu unterlassen, Mülltonnen gut zu verschliessen und Katzen nicht im Freien zu füttern, verhallen weitgehend ungehört.
Um einen einst angefütterten Jungfuchs könnte es sich auch beim Übeltäter vom Unispital handeln. Jedenfalls weist ihn sein unübliches Verhalten als sogenannt halbzahmen Fuchs aus. Der zuständige Wildhüter stehe im Kontakt mit dem Spital, sagt Marc Werlen, Sprecher von Grün Stadt Zürich. Falls sich Vorfälle mit diesem Tier häuften, werde sich der Wildhüter auf die Lauer legen. Er hat verschiedene Möglichkeiten, ihm das Leben sauer zu machen – mit dem Ziel, dass es sich wieder entfernt. «Vergrämen» heisst das in der Fachsprache. Man schüttet zum Beispiel Fuchsbauten zu (selbstverständlich nach Auszug der Jungtiere), damit sich keine neue Familie einnistet. Oder man setzt Gerüche ein, die der Fuchs nicht ausstehen kann. Der Abschuss sei die Ultima Ratio, sagt Werlen. Rund zehn Mal pro Jahr fällt dieses Verdikt.
Das letzte Mittel könnte auch im jetzigen Fall angezeigt sein. Ein Wildtier kann man leicht an Menschen gewöhnen – einen Weg zurück gibt es hingegen nicht. Füchse, die die Scheu vor Menschen verlieren, werden mit Schokolade oder Trockenfrüchten in die Falle gelockt und gleichentags erschossen. Während man über den Ausgang des Aargauer Sommertheaters rätseln darf und für den Kaiman, so es ihn gibt, noch Hoffnung besteht, dürfte die Zürcher Episode für den Hauptdarsteller ein tragisches Ende nehmen.