Warum die Borkenkäferplage gut für den Wald ist

In den Zürcher Wäldern wütet der Borkenkäfer. Es müssen wohl weit mehr Fichten gefällt werden als im vergangenen Hitzesommer. Für die Waldbesitzer ist das ein Desaster, doch für die Natur könnte es eine Chance sein.

Jan Hudec
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Der Borkenkäfer frisst sein charakteristisches Muster in den Baum, das ihm auch den Namen Buchdrucker eingebracht hat. (Bild: Alexandra Wey / Keystone)

Der Borkenkäfer frisst sein charakteristisches Muster in den Baum, das ihm auch den Namen Buchdrucker eingebracht hat. (Bild: Alexandra Wey / Keystone)

Ein lautes Krachen hallt durch den Wald. Wie in Zeitlupe kippt die majestätische Fichte nach hinten. Dann beschleunigt sie ihren Fall, Äste knacken, während sie durch die Kronen der kleineren Bäume saust, bis sie mit einem dumpfen Knall auf dem Waldboden aufprallt. Zu Fall gebracht haben den 100-jährigen Baum zwei orange gekleidete Forstwarte mit ihrer kreischenden Motorsäge. Doch den Garaus gemacht hat dem 40-Meter-Koloss ein 5 Millimeter grosses, dunkelbraunes Krabbeltier: der Borkenkäfer.

Roland Steiner, graue Haare, Bärtchen und ausgerüstet mit Wanderschuhen, Trekkinghose und Sportshirt, schaut von einer Forststrasse aus auf das kleine, gelichtete Waldstück in der Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland. Zwischen dem niedrigen Buschwerk leuchtet das helle Holz der frischen Baumstümpfe, ein paar letzte Fichten stehen noch und strecken ihre kahlen Stämme trotzig in die Höhe. Förster Steiner sagt: «Wir kommen mit Fällen nicht mehr nach.» Denn der Borkenkäfer ist auf einem rabiaten Beutezug.

Seinen Anfang nahm das Unheil im Januar 2018. Damals fegte der Sturm «Burglind» über das Land und sorgte in den Wäldern für die schwersten Verwüstungen seit dem berüchtigten Sturm «Lothar». Die entwurzelten Bäume bildeten ideale Brutstätten für den Borkenkäfer – und dann kam auch noch der Hitzesommer. Wärme und Trockenheit führten dazu, dass sich der Schädling sprunghaft vermehren konnte. Denn einerseits konnten sich die vom Extremklima geschwächten Bäume schlechter gegen ihn wehren, andererseits entwickeln sich auch die Käferlarven bei warmer Witterung schneller. Das Ergebnis: 2018 wurden fast so viele Käfernester entdeckt wie im Rekordjahr 2003.

Nun würde man erwarten, dass damit der Zenit erreicht war. Doch angesichts der Situation, wie sie Förster Steiner im Wald vorfindet, kommt er zum Schluss, dass heuer alles noch viel schlimmer wird: «Ich rechne damit, dass wir in diesem Jahr zwei- oder dreimal so viel Holz schlagen müssen wie im vergangenen Jahr.» Besonders betroffen sind das Zürcher Unterland und das Weinland.

Der tödliche Buchdrucker

Steiner stapft durch den Wald. Seit über 30 Jahren ist er in den Wäldern um Stadel, Bachs, Steinmaur und Neerach als Förster tätig. Vor einer Fichte macht er jetzt halt. Er betrachtet sorgfältig den unteren Teil des Stammes. Auf Efeuranken, die am Baum hochwachsen, entdeckt er ein braunes Pulver. «Bohrmehl», sagt der Experte. Ein untrügliches Zeichen, dass der Borkenkäfer die Fichte befallen hat. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass die Rinde mit kleinen Löchern durchsetzt ist. Steiner schlägt mit seiner Hippe an einer dieser Stellen ein Stück Rinde weg, darunter kommt ein Käfermännchen zum Vorschein, das für sich und seine drei Weibchen eine kleine Kammer in den Baum gefressen hat.

Die bei uns verbreitetste Unterart des Borkenkäfers befällt fast ausschliesslich Fichten. Die Pioniermännchen bohren sich durch die Rinde und stossen Pheromone aus, um Weibchen anzulocken. Vom Duft angezogen fühlen sich auch weitere Männchen, die den Baum befallen. Nach dem Einbohren in die Rinde findet in der Rammelkammer die Paarung statt, danach fressen die Weibchen Muttergänge in den Stamm, entlang deren sie ihre Eier ablegen. Die Käferlarven tun sich dann ebenfalls am Holz gütlich, wobei ein Labyrinth an Gängen entsteht, das am Ende aussieht, als wären es Zeichen einer extraterrestrischen Schrift. So ist der Borkenkäfer denn auch zu seinem Namen Buchdrucker gekommen, oder lateinisch Ips typographus.

Nach der Verpuppung bleiben die Jungkäfer für ihren Reifungsfrass noch eine Weile unter der Rinde, bevor sie ausfliegen und sich einen neuen Baum suchen. Für die Fichte ist der Befall verheerend. Der Käfer frisst sich durch die äusserste wasserleitende Schicht des Baumes und zerstört diese. Die Fichte kann sich nicht mehr mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgen. Sie stirbt ab.

Mit seinem Auto fährt Roland Steiner den Wäldern seines Forstreviers entlang. In der Ferne deutet er auf die braunroten Kronen, die aus dem Grün hervorragen. «Das sind alles Käfernester», sagt er. Er biegt wieder in den Wald ein und macht vor einer Fichte halt, deren Krone noch grün ist. «Auf den ersten Blick sieht der Baum gesund aus, doch auch er ist befallen.» In einem Netz, das eine Spinne zwischen den Wurzeln aufgespannt hat, liegt wieder das braune Bohrmehl, am Stamm kleben Harztropfen. «Der Baum hat versucht, sich gegen den Käfer zu verteidigen», sagt Steiner. Doch er hat den Kampf verloren und muss nun auch weg.

Ein gesunder und vitaler Baum kann den Borkenkäfer abwehren. Wenn er angebohrt wird, stösst er Harz aus und ertränkt den Käfer darin. Doch die Fichten sind noch geschwächt vom letzten Jahr, und gerade im Weinland und im Zürcher Unterland hat es auch in diesem Jahr wenig geregnet. Gleichzeitig ist die Populationsdichte der Käfer zurzeit so hoch, dass sich auch gesunde Fichten nicht mehr gegen den Befall wehren können. «Die Situation ist dramatisch», sagt Steiner. Schlimm sei das aber nicht primär für die Natur, sondern für die Waldbesitzer.

Preiszerfall beim Fichtenholz

Um den Schaden einzudämmen, bekämpfen die Waldeigentümer den Buchdrucker. Die befallenen Bäume werden gefällt, noch bevor sich die Käfer fertig entwickelt haben und neue Fichten attackieren können. Die gefällten Bäume müssen umgehend aus dem Wald transportiert werden. Alternativ können sie auch entrindet werden, um so die Entwicklung des Käfers zu stoppen. Die Frage ist nur: Wohin mit dem ganzen Holz? Der Markt ist geflutet mit Käferholz, nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus Österreich und Deutschland.

Vor einem Bauernhof in Bachs türmt sich ein Stapel mit Fichtenstämmen. «Wir müssen Flächen mieten, um das viele Holz lagern zu können», sagt Steiner. Er deutet auf einen gräulichen, mehrere Zentimeter breiten Ring, der auf dem äusseren Rand der Schnittfläche der Stämme zu sehen ist. Der Bläuepilz. Normalerweise würde das Holz im Winter geerntet, der Pilz kann sich dann nicht so schnell ausbreiten. Im Sommer sieht es anders aus, und das drückt den ohnehin schon tiefen Preis des Käferholzes weiter.

Weil sie hier kaum mehr Absatz finden, müssen die Zürcher Fichten mittlerweile nach Asien exportiert werden, für 30 Franken den Kubikmeter. «Da legt der Waldbesitzer noch drauf», sagt Steiner. Im Schnitt hätten die Besitzer Kosten von 40 Franken pro Kubikmeter. Noch vor zwei Jahren habe man 90 Franken für das Holz bekommen. Selbst der Markt für Holzschnitzel ist übersättigt. Der Kanton unterstützt die Waldeigentümer deshalb finanziell bei den Massnahmen, die sie zum Schutz des Forstes treffen.

Auf dem Areal der Sägerei Wirth AG in Bachs stehen noch Stapel mit Fichten vom letzten Jahr, während die frischen Bäume bereits wieder angeliefert werden. Stapler mit Paletten und Holzkisten fahren über das Gelände. «Wir kommen nicht mehr nach», sagt Betriebsleiter Michel Wirth. Sie seien immer noch daran, das Holz vom letzten Jahr abzutragen. Die viele Arbeit bereitet ihm aber weniger Kopfzerbrechen als der Preiszerfall am Markt. «Der Druck auf die Preise ist gross. Zwar können wir auch günstiger einkaufen, aber die Margen sind gesunken», sagt Wirth. Und auch Nebenprodukte wie Sägemehl seien schwieriger abzusetzen. «Zum Glück brummt die Wirtschaft. Und als kleinerer Betrieb sind wir anpassungsfähig.»

Fichten sind gar nicht heimisch

Auch im Wald herrscht Hochbetrieb. Dort, wo die beiden orange gekleideten Forstwarte zuvor die grosse Fichte gefällt haben, rollt nun eine Maschine in den gelichteten Wald, die aussieht wie ein riesiger Bagger: der Vollernter. Mit seinem Greifarm packt er einen der herumliegenden Stämme. Zwei Walzen treiben den Stamm durch die Haltevorrichtung, Äste und Rinde spicken durch den Wald, die von Klingen abgetrennt wurden. Dann blitzt eine blau schimmernde Säge hervor, die in Sekundenschnelle den Stamm entzweit. Weiter unten machen sich die beiden Forstwarte mit ihrer Säge an einem Baum zu schaffen. Überall Äste, Reisig, Stämme, Baumstrünke. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld.

Steiner schaut dem Treiben zu. Natürlich sei das ein schmerzvoller Anblick, gerade auch für die Waldbesitzer. «Aber für die Natur ist diese Borkenkäferplage kein Problem», sagt er. Im Gegenteil. Es sei eine Chance für den Wald, sich wieder besser den natürlichen Gegebenheiten anzupassen. Denn eigentlich ist die Fichte in den tieferen Lagen der Schweiz gar nicht heimisch. Mit ihren flachen Wurzeln ist sie für die Trockenheit schlecht gerüstet. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde sie in den vergangenen rund 150 Jahren aber gezielt angepflanzt. Und so kommt es, dass die auch als «Brotbaum» bekannte Fichte heute 36 Prozent des Holzvorrates in den Wäldern des Kantons ausmacht und damit die mit Abstand häufigste Baumart ist.

Beim Kanton geht man deshalb davon aus, dass sich der Fichtenbestand in Zukunft verringern wird. Probleme werde die Fichte vor allem auf zur Austrocknung neigenden Böden und in Reinbeständen haben, schreibt die Baudirektion auf Anfrage. Im Mischwald und insbesondere in höheren und schattigen Lagen habe sie indes durchaus eine Zukunft. Klar ist aber, dass ein Teil der Fichten ersetzt werden muss. Wichtig ist dabei aus Sicht von Kantonsforstingenieur Konrad Noetzli, mit einer möglichst grossen Vielfalt an Baumarten zu arbeiten. Einseitig zusammengesetzte Wälder seien anfälliger auf Schädlinge oder Witterungsereignisse. «Der künftige Wald dürfte also vielfältiger sein als heute. Dies hat ökologische Vorteile, ist aber auch aus Sicht der Risikominimierung sinnvoll», sagt Noetzli.

Im Wald bei Stadel macht sich der Vollernter noch immer über die Fichten her. Doch nun zeigt Förster Steiner auf ein paar Jungbäume, die mit Zäunen gegen Wildschäden geschützt sind. «Der Waldbesitzer pflanzt hier nun Douglasien, die besser mit der Trockenheit zurechtkommen», sagt Steiner. Doch diese Wiederbestockung sei nicht gratis. Der grüne Kantonsrat Robert Brunner und Wald Zürich fordern deshalb einen Rahmenkredit, mit dem die Waldbesitzer unterstützt werden könnten. «Da die Waldwirtschaft im Moment defizitär ist und es auf absehbare Zeit bleibt, braucht es finanzielle Anreize», sagt Brunner. Er plant, im Parlament einen entsprechenden Vorstoss einzureichen. Bei Steiner stösst er damit auf offene Ohren. Die Zukunft des Zürcher Waldes sieht er positiv, der Borkenkäferplage zum Trotz. «Solange wir mit und nicht gegen die Natur arbeiten.»