Das lange Warten auf den Limmat-Lachs

Auf ihrem Weg zurück in den Zürichsee haben die grossen Wanderfische ein Hindernis weniger: Das Kraftwerk Dietikon wird bald modernste Fischaufstiege und -abstiege in Betrieb nehmen. Doch in Frankreich warten noch immer unüberwindliche Hürden.

André Müller
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Dank dem neuen Fischpass beim Kraftwerk Dietikon sollen dereinst auch Lachse wieder Richtung Zürichsee finden. (Bild: EKZ)

Dank dem neuen Fischpass beim Kraftwerk Dietikon sollen dereinst auch Lachse wieder Richtung Zürichsee finden. (Bild: EKZ)

Die Kraftwerksinsel in Dietikon ist derzeit eine einzige unübersichtliche Wüste aus Kies und Beton. Das Flusskraftwerk der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) wird derzeit von Grund auf erneuert, der Kanal ist trockengelegt. Doch bald beginnt die Testphase und wird Anfang 2020 in Normalbetrieb übergeführt. Dann wird das Dietiker Kraftwerk 18 Prozent mehr Strom produzieren.

Auch die Fische profitieren von der Sanierung: Rund 9 Millionen Franken, von total 39 Millionen Franken, sind für Auf- und Abstiegshilfen neuester Art aufgewendet worden (und werden deshalb wohl vom Bundesamt für Umwelt übernommen). Flussaufwärts schlängeln sich die Fische künftig durch einen über 100 Meter langen Slalomkurs aus Betonelementen. Das Dietiker Kraftwerk verfügte zwar schon lange über einen Aufstieg für Fische. Doch der neue soll den Tieren eine bessere Hilfe sein, erklärt Martina Breitenstein, Fisch- und Gewässerökologin der Beratungsfirma Creato, auf einem Rundgang durch das Areal.

Nicht alle Fischtreppen funktionieren

Ob solche Bauten den Fischen nützen, hängt von vielen Details ab: So befinden sich die beiden Eingänge in den neuen Dietiker Fischaufstieg nahe beim Turbinenausgang und verfügen dank Unterstützung einer Wasserdüse über eine starke Leitströmung. «Das erleichtert den Fischen die Orientierung», sagt Breitenstein. Dieser Aspekt ist ein grosses Problem bei älteren Fischtreppen: Viele Tiere finden sie gar nicht, weil sie die Strömung immer bloss zur Turbine führt. Extra für Fischarten, die sich dem Grund entlang fortbewegen, reicht der Einstieg zudem stufenlos bis ins Flussbett herab.

Ebenso wichtig ist der sichere Abstieg: Ein neuer, über 200 Quadratmeter grosser Feinrechen sorgt in Dietikon dafür, dass die Tiere nicht mehr in der Turbine landen. Die Stäbe lassen nur 20 Millimeter Platz und sind horizontal angeordnet; da die meisten Fische aufrecht schwimmen, passen sie nicht hindurch. Die neuen Turbinen der EKZ arbeiten zudem mit drei statt bisher vier Schaufeln, was die Überlebenschance von Fischen weiter erhöht. Der Rechen steht im 45-Grad-Winkel zur Fliessrichtung des Kanals, die Tiere werden so von der Strömung in einen Bypass gedrängt und an den Turbinen vorbeigeführt.

Warten auf Frankreich

In Dietikon versuche man, den Stand der Technik umzusetzen, das sei gut, sagt Christian Hossli von der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva. «Leider gibt es aber viele Fischpässe, die nachgebessert werden müssen», daher seien eine Erfolgskontrolle und eine enge Begleitung durch Fischer, Kraftwerk und Fischereiverwaltung wichtig. Die Erfahrung zeige, sagt auch Martina Breitenstein, dass es oft noch nachträgliche Justierungen brauche. Deshalb ist in Dietikon ein einjähriges Monitoring vorgesehen: Am oberen Ende des Aufstiegs können die Fische in ein Becken umgeleitet und anschliessend gezählt werden.

Für Fische ist die Limmat ein grosser Hindernislauf

1
KW Dietikon
2
KW Höngg, Zürich
3
KW Letten, Zürich
4
KW Wettingen
5
KW Aue, Baden
6
KW Oederlin, Baden
7
KW Kappelerhof, Baden
8
KW Schiffmühle, Untersiggenthal
9
KW Turgi
10
KW Gebenstorf
11
KW Stroppel, Untersiggenthal

Ausgeklügelte Fischhilfen wie in Dietikon entstehen in nächster Zeit im ganzen Flusssystem des Rheins. Nicht nur Naturschützer hoffen daher, dass bald auch der Lachs wieder ein regelmässiger Gast im Zürichsee sein wird – wie er das vor 120 Jahren, vor dem Bau der Flusskraftwerke, schon war.

Doch das Werk in Dietikon ist nur ein kleiner Puzzlestein im Bestreben, den Lachs zurück nach Zürich zu bringen. Auch die anderen Schweizer Kraftwerke an Rhein, Aare und Limmat müssen lachsgängige Auf- und Abstiegshilfen erhalten. Der Kanton Aargau, wo sich die meisten Werke befinden, priorisiert diese Arbeiten indes ebenfalls hoch.

Die grosse Hürde liegt weiter flussabwärts. Trotz grossem Druck der anderen Anrainerstaaten gibt es in Frankreich nach wie vor Rheinkraftwerke, die noch nicht mit Fischtreppen ausgestattet sind. «Bevor diese eine Fischwanderhilfe haben, ist es reiner Zufall, wenn ein Lachs über die Schiffschleuse aufsteigen kann», sagt Lukas Bammatter, Fischereiadjunkt des Kantons Zürich. Die Knacknuss sei das Kraftwerk Vogelgrun im Elsass – hier sollen die Fische in den Altrhein gelotst werden, damit sie an allen weiteren Staustufen im Kanal vorbeikommen. Es handle sich aber um eine komplexe Anlage, bei der eine Wanderhilfe nicht einfach zu installieren sei. Doch wenn dieser Engpass beseitigt sei, wolle die Schweiz bereit sein und ihre Kraftwerke bereits lachsgängig ausgebaut haben, sagt Bammatter.

Viele Arten können profitieren

In der Limmat dreht sich aber nicht alles um den Lachs. Solche Zielfischarten seien zwar wichtig, um die Grösse der Hilfen zu dimensionieren, sagt Bammatter. «Doch das Hauptziel ist, allen Fischarten eine Wanderung zu ermöglichen, von den Kleinen und Schwimmschwächsten bis zu den Stärksten. Man wisse inzwischen deutlich mehr über das Wanderverhalten der Fische. «Alle Arten wandern, einige mehr, andere weniger.»

Die Sanierung in Dietikon ist daher sicher auch für Barben und Forellen von Vorteil, speziell auch für die vom Aussterben bedrohte Nase: Die Längsvernetzung ihrer Lebensräume sei zentral für die genetische Diversität, sagt Bammatter. «Sonst entsteht eine Population, die nicht gewappnet ist für negative Umwelteinflüsse.» Die Zürcher Nasen-Bestände seien tief, hätten sich zuletzt aber positiv entwickelt. Weshalb, wisse man nicht genau. «Wir gehen davon aus, dass auch die Nase von der besseren Vernetzung, der Anbindung von Zuflüssen profitiert hat.»

Speziell mit dem Rückweg ins Meer kämpft dagegen der vom Aussterben bedrohte europäische Aal. Wie der Lachs muss er in seinem Leben zwei lange Wanderungen zwischen Ozean und Süsswasser überstehen: Aale werden im westlichen Atlantik geboren und als Larve vom Golfstrom nach Europa getragen, wo sie als junge Glasaale die Flüsse hinauf schwimmen. Nach einigen Jahren kehren sie als ausgewachsene Tiere zur Paarung in den Ozean zurück. Doch anders als kleine Fische überleben die grossen Aale die Reise durch die vielen Turbinen kaum je.

«Die Lösungen an kleineren Kraftwerken – mit einem horizontalen Feinrechen und 15 bis 20 mm Stababstand – funktionieren auch für den Aal», sagt Lukas Bammatter. Für Kraftwerke, die grösser sind als Dietikon, ist das aber nicht praktikabel. Die ETH-Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie testet daher seit einigen Jahren Alternativen, insbesondere einen speziell angeordneten vertikalen Grobrechen, der auch schmalere Fische von den Turbinen abhalten soll.

Ein Wehr bleibt immer eine Hürde

Die neuen Auf- und Abstiege helfen den Fischen auf jeden Fall, dennoch schränkt Bammatter etwas ein: Auch die besten und modernsten Hilfen könnten die freie Fischwanderung nicht vollständig sicherstellen. «Ein Kraftwerk bleibt immer ein Wanderhindernis, es schaffen es nie alle Fische rauf und runter.» Am Schluss gehe es um ein Gesamtpaket: die Fischgängigkeit von Kraftwerken, mehr Restwasser in den Flussläufen, ein besserer Geschiebehaushalt und die Revitalisierung von Ufern und Flussläufen.

Christian Hossli bestätigt diese Einschätzung. Im Unterschied zu anderen Kantonen stehe Zürich nicht schlecht da bei den Sanierungen der Kraftwerke. Allerdings brauche es beim zuständigen Amt mehr Personal, um diese zusammen mit den Betreibern schneller voranzubringen. Prekär sei die Situation in Kleinwasserkraftwerken, die über keine oder schlecht funktionierende Fischtreppen verfügten, beispielsweise in der Töss.

Das grösste Problem sei indes das Kraftwerk Rheinau, dessen drei Wehre über keinen Fischaufstieg verfügen. Wegen des wenigen Restwassers verkomme der Rhein hier zeitweise zu zwei Seen. Weil es sich bei Rheinau um ein internationales Kraftwerk handelt, für das seitens der Schweiz der Bund zuständig ist, hat Zürich aber keine Mittel, selbst rasch für Besserung zu sorgen.

Im Kanton Zürich gab es gemäss einem Sanierungsplan von 2014 insgesamt 55 Kraftwerke, die fischgängig gemacht werden müssen. Seither wurden laut Wolfgang Bollack, Sprecher der Baudirektion, zwei Sanierungen abgeschlossen, nebst Dietikon ist es das Sihl-Kraftwerk Waldhalde. Bei über 80 Prozent der Anlagen seien jedoch Planungsarbeiten im Gange oder schon Projekte eingereicht worden.

Doch das Beispiel Dietikon zeigt: Ein guter Fischschutz kostet einiges. Für manche Zürcher Kleinkraftwerke wohl zu viel, trotz Hilfe aus Bern. Bisher hat noch kein Betreiber das Handtuch geworfen. «Wir gehen aber davon aus, dass bei einigen Anlagen ein Rückbau eine realistische und auch vernünftige Variante darstellen wird», sagt Bollack.