17. November 2019

Sehnsucht nach Moral

In einem durchaus technischen Gespräch über Treibhausgase kam mir mein Gesprächspartner zuletzt mit frommer Christenpflicht. Dabei meinte und meine ich nur, wenn schon »Klimamaßnahmen«, dann bitte effiziente, wirkungsvolle.
   Hinterher dachte ich mir: Haben wir Moral und Sitte nicht in Schulen, Gesprächen und Argumentationen seit fünfzig Jahren hintangestellt, verdränt, tabuisiert, um ja niemandem zu nahe zu treten. Kreuze raus aus den Klassenzimmern, Schulgebete erst recht! Wir haben alle Vorschriften sachlich begründet, oft mühsam, etwa »fahr nachts um vier nicht über eine rote Ampel, es könnte blitzen«, statt »sowas tut man nicht!« 
RQ-4 Global Hawk, Foto Bobbi Zapka
Hatten wir noch in der Schule – ich mag’ gar nicht sagen, wie lang das her ist! – diskutiert, ob kriegerisches Kamikazefliegen moralisch erlaubt sei, so tolerieren wir heute Drohnen und »Kollerateralschäden« und andere Schweinereien ohne mit der moralischen Wimper auch nur zu zucken. 
   Abfall, Zigarettenstummel auf den Boden werfen, da mahnt keiner: »Das muss doch dann wieder wer aufkehren!« Vielleicht weil das Straßenkehren (langsam) das Nationalprodukt erhöht, meine ich sarkastisch. Wir wollen dem Anderen (und inzwischen sogar der Anderen) nicht dreinreden. Unsere Wegschaugesellschaft.
   Und doch moralisieren wir andauernd, allerdings abstrakt (wie hier). 
   Ich führe das auf einen Hunger nach Moral zurück – bei sich und ausgeprägter immer beim Anderen.
   Dabei ist Moral fremdgeprägt, von Zeitungen, Lobbyisten, Trends, Populisten und Populistinnen … Selber drüber nachdenken, sich sozusagen die Herkunft einer Moralvorschrift abzuleiten, bleibt aus. 
   Ich erinnere mich noch der Boatpeople während des Vietnamkrieges. Da fühlte ich mich, ehrlich, schuldig dafür, dass auf den freien Meeren nicht die deutsche Kriegsmarine ausrückt und die Flüchtlinge rettet, selbst wenn bloß weit weg »die Völker aufeinander schlagen«. Später haben wir dann Deutschland am Hindukusch (Struck 2002) verteidigt, und tun’s Jahr für Jahr wieder. 
   Heute bin ich gegen Rettungsaktionen im Mittelmeer mit Ablieferung in der EU, Motto: Einen extra unvorsichtigen Bergsteiger fliegt der Hubschrauber auch nicht erst noch hinauf zum Gipfel.
   Wenn schon neues Moralisieren, dann sollte nun auch das Wann und Wie, das Warum oft und offen besprochen werden, vom Kirchen, Besserwissern, in der Schule und in der Politik. Statt das Schwadronieren nur Rechten zu überlassen.
   Moral muss sein!

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